In ihrer Spoken Word Poetry beschreibt sie die Herausforderungen zu lernen und zu warten – und zu erkennen, dass da noch andere sind, denen es vielleicht ähnlich geht.
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Über das Laufen und das Warten und diesen beschissenen Biomüll
Komm her, ganz langsam, ein Schritt nach dem anderen
Komm her, du schaffst das, alles wird gut
Komm her, laufen lernen, erst an der Hand, dann alleine, bis du durchs ganze Zimmer flitzt und alles erkunden willst
Komm her, keine Angst, wir sind da, wir fangen dich auf, fangen dich ein, heben dich auf, heben dich hoch, lassen dich los, wenn du magst
Und los, ganz schnell, die Füße auf den Pedalen
Und los, gib acht, die Hände am Lenker
Und los, keine Angst, wir sind da, wir fangen dich auf, fangen dich ein, heben dich auf, heben dich hoch, lassen dich los, wenn du magst
Und so haben wir gelernt, wie es ist Erfolg zu haben
Jetzt, wo wir laufen können und Fahrradfahren –
Ein bisschen stolz und dieses warme Gefühl in der Brust
Alles wird gut
Und dann haben wir gelernt, wie man den Buchstaben a schreibt und dass man die Hausaufgaben immer machen muss, weil man sonst diesen hässlichen, roten Strich in diesem dicken, wichtigen Buch bekommt
Und dann haben wir gelernt, wie man dividiert, und dass es ja alles gar nicht so schwer sein kann, weil die Lisa, guck doch mal die Lisa, die hat eine 1 mit Sternchen geschrieben und deine 3, die zählt ja kaum, dein Mittelmaß, das reicht hier nicht
Und dann haben wir gelernt, dass bei he she it das s halt mitmuss, und dass die Entscheidung zwischen Französisch, Spanisch und Latein unser Leben auf immer prägen wird
Und dann haben wir gelernt, dass Latein eine beschissene Wahl war, und dass man da eben durchmuss, und dass es immer Lisas geben wird, die die richtigen Entscheidungen treffen und die richtigen Lösungen aufschreiben, bei der Frage, was denn nun zuerst da war „das Huhn oder das Ei?“
Ich weiß es nicht, wie so viele Dinge und machmal ertappe ich mich dabei das vertuschen zu wollen, wenn jemand nach dieser einen Underground Band fragt, die ja wohl wirklich jeder und jede kennen muss, wenn mensch ein winziges bisschen Geschmack hat und „ja“ sage ich, „ja, klar“ sage ich, „kenne ich“, sage ich und lache in der Hoffnung, dass keine vertiefenden Fragen folgen.
Ich weiß es nicht.
Denke ich, als mich die Frau im Matratzenladen fragt, welche dicke ich brauche, und versuche heimlich „Härtegrad bei Matratzen“ zu googeln.
Ich weiß nicht, wie man gute Béchamel soße macht, ich weiß nicht mal wie man das Wort schreibt, aber ich kann die Merkmale der literarischen Epoche des Expressionismus aufzählen.
Ich weiß nicht, wie man den Filter in der Waschmaschine säubert und wieso niemand darüber spricht, wie unangenehm es ist Klopapier zu kaufen. A Quadrat gleich b Quadrat plus c Quadrat. Ich weiß nicht, wie man Pflanzen länger als einen Monat am Leben hält, aber ich weiß, wie die Photosynthese funktioniert, also zumindest so ungefähr.
Wieso sich der Biomüll immer wieder füllt, obwohl ich ihn doch erst geleert habe und wieso ich schon wieder Hunger habe, obwohl ich doch erst gegessen habe und wieso auf dem Boden Staub liegt, obwohl ich vor zwei Tagen gewischt habe und wieso schon wieder Post zum Hochtragen bereit liegt
und wieso es so verdammt anstrengend ist, in einer neuen Stadt Freund*innen zu finden.
Es ist ein bisschen wie Warten. Warten, bis es sich endlich einfach nur gut anfühlt, bis wir in diesem Zustand ankommen, in dem die Wohnung für immer sauber bleibt und der Magen für immer gefüllt und die ToDo Liste für immer abgearbeitet und der Körper ausgeruht. Bis der Körper in diesem Zustand ankommt, in dem alles einfach nur vegetiert. Es ist ein bisschen wie Sterben oder ein bisschen wie Warten, bis wir sterben. Obwohl falsch, eigentlich ist es genau das. Wir warten, bis wir sterben. Und das Ziel es ist es, dieses Warten besondern ereignisreich, lebenswert, ordentlich, entspannt, lustig, emotional, hoffnungsvoll, glücklich, bunt, sicher und frei zu gestalten.
Und ganz ehrlich, das ist oft einfach verdammt anstrengend.
Sich immer wieder selbst sagen zu müssen „ich bin da, ich fang mich auf, ich fang mich ein, ich heb mich auf, ich heb mich hoch, ich lass nicht los“
Sich das immer wieder selbst sagen müssen, sich immer wieder selbst daran zu erinnern, das ist verdammt anstrengend.
Weil sich „den Biomüll rausbringen müssen“, machmal so anfühlt, als würden wir alle einfach nur warten, bis wir sterben.
Und natürlich ist das nicht so oder zumindest ist es Ansichtssache. Eine Sache des Blickwinkels. Da sind 180 Grad insgesamt in einem Dreieck, aufgeteilt auf drei Winkel. Die Möglichkeiten sind unendlich.
Aus einem anderen Winkel sind wir klitzeklein, wie Staubkörner, die sich immer wieder neu im Raum arrangieren, zusammenfinden und auseinandergetrieben werden und machmal, wenn die Sonne gut steht, sieht es ein bisschen aus, als würde Glitzer im Raum tanzen.
Aus einem anderen Winkel sind wir riesengroße Wesen mit Bedürfnissen und Zielen, die sich zwischen kaum erträumbar und „magst du mal mit mir einen Kaffee trinken gehen?“ bewegen.
Und auch, wenn es sich vielleicht gerade nicht danach anfühlt
Da sind noch so viele andere Staubkörner, so viele andere Wesen
Die Béchamel soße machen können und uns erklären, wie man den Filter in der Waschmaschine säubert. Wesen, die unsere Lieblingsband nicht kennen und Wesen, die niemals ungläubig gucken würden, wenn wir zugeben, etwas nicht zu kennen oder nicht zu wissen. Wesen, die zu Freund*innen in der neuen Stadt werden und Wesen, die und trösten, wenn wir keine Freund*innen in der neuen Stadt finden. Wesen die bis heute die p/q Formel kennen und Wesen, die bis heute von Matheklausuren Albträume haben. Wesen, die Biomüll rausbringen gar nicht so schlimm finden und Wesen, die sich mit uns darüber abkotzen.
Da sind Menschen, die uns in den Arm nehmen, wenn die Unordnung überfordert, machmal muss man einfach danach fragen.
Hallo? Ich habe Angst. Ich weiß es nicht. Ich trau mich nicht. Seid ihr da? Fangt ihr mich auf? Fangt ihr mich ein? Hebt ihr mich auf? Hebt ihr mich hoch? Lasst mich nicht los.
Hallo. Komm her, ganz langsam, ein Schritt nach dem anderen
Komm her, du schaffst das, alles wird gut
Komm her, du kannst laufen, willst du meine Hand dabei halten?
Komm her, keine Angst, wir sind da, wir fangen dich auf, fangen dich ein, heben dich auf, heben dich hoch, lassen dich los, wenn du magst
Und los, ganz schnell, die Füße auf den Pedalen
Du kannst doch fahren, sollen wir dich begleiten?
keine Angst, wir wissen es auch nicht, wir haben auch schiss, aber wir sind da, wir fangen dich auf, fangen dich ein, heben dich auf, heben dich hoch,
wir lassen nicht los.
Und wenn du magst, können wir morgen einen Kaffee trinken gehen. Und dann warten wir und reden und lachen und weinen und fühlen
Gemeinsam.
Text und Performance: Johanna Schubert