Illustration Kreatives Denken

„Kreativität hat mit Freude am Lernen zu tun“

Schule braucht Raum für Kreativität. Wie man diesen gestalten kann, weiß Schulleiter Peter Pflaum-Borsi. Er erzählt im Interview vom „Ideen-Pingpong“, gemeinsamer Textarbeit und einem Schulalltag mit Möglichkeiten für Besinnung und Achtsamkeit.

PORTAL FÜR ACHTSAMKEIT IN DER PÄDAGOGIK

Das Interview führte Mike Kauschke

Wie sind Sie auf das Thema Kreativität gekommen?

Peter Pflaum-Borsi: Schon während des Studiums hat mich interessiert, wie man Kreativität in der Schule fördern kann. Das hat auch damit zu tun, dass ich Musiker bin und einige Jahre professionell Musik gemacht habe, bevor ich das Lehramtsstudium angetreten habe. Seit 1993 unterrichte ich Musik, Religion und Deutsch am Schulzentrum St. Klara. Seit 2008 bin ich dort als Schulleiter tätig.

In meiner pädagogischen Arbeit versuche ich, kreative Elemente einzubauen, und als Schulleitung möchte ich das Thema Kreativität auch ins Kollegium bringen. Um diesen Aspekt zu stärken, habe ich Ralph Buchner eingeladen, mit uns einen Workshop durchzuführen.1

Er ist Professor für Design und „Transformative Lehre“ an der Hochschule München und beschäftigt sich mit der Vermittlung von Fähigkeiten zu kreativem Denken, interdisziplinärem Dialog und verantwortlichem Handeln.

Welche Methoden oder Prozesse sind dabei unter den Lehrenden besonders auf Resonanz gestoßen?

Pflaum-Borsi: Schon die erste größere Übung fand eine breite Resonanz. Es war ein „Ideen-Pingpong“. Wenn man versucht, kreativ zu denken oder kreative Prozesse anzustoßen, ist es gut, Wertungen außen vor zu lassen und nicht sofort viele Gründe zu finden, warum etwas nicht geht.

So kann man die Ideen einfach kommen lassen. Die Frage war, was die Lehrenden an der Schule sofort verändern würden – egal was es kostet, wer es umsetzt und wie viele Leute daran beteiligt sein müssten.

Man schreibt eine Idee auf ein Blatt Papier, zerknüllt es und wirft es in die Mitte des Raumes. Im nächsten Schritt nimmt jeder einen der Zettel, öffnet ihn, liest die Idee und schreibt daran weiter. Am Ende werden einige der Ideen vorgelesen. Das ist unglaublich motivierend. Manche Ideen sind verrückt, einige aber auch sehr konkret und umsetzbar.

Ich habe diese Zettel aufgehoben, durchgeschaut und versucht, die Ideen zu bündeln. Mit einigen konkreten Ideen sind wir in einen Design Thinking-Prozess gegangen. Eines dieser Projekte war z. B. ein digitaler Infotag zur Außenwerbung, den wir dann auch durchgeführt haben.

Ich markiere nur das, was gut ist – eine treffende Formulierung oder ein starkes Argument.

Welche Rolle spielt für Sie die Kreativität im Unterricht?

Pflaum-Borsi: Ich versuche, meinen Unterricht möglichst kreativ zu gestalten und wende deshalb das Dialogische Lernen von Urs Ruf und Peter Gallin an.2 Im Deutschunterricht arbeite ich seit circa sieben Jahren nur noch nach dieser Methode. Das Herz des Dialogischen Lernens besteht darin, das Gute in dem, was jemand produziert, zu zeigen.

Wenn ich zum Beispiel eine Textaufgabe gebe und die Schüler*innen ihre Texte abgeben, dann korrigiere ich nicht, um irgendwelche Rechtschreibfehler zu finden. Was nicht gelungen ist, interessiert mich nicht. Sondern ich markiere nur das, was gut ist – eine treffende Formulierung oder ein starkes Argument.

Mit diesen Anmerkungen arbeite ich dann in der Klasse und frage: „Warum habe ich hier ein Ausrufezeichen gesetzt? Was glaubt ihr?“ Und dann reden wir darüber und die Schüler*innen können es eigentlich immer nachvollziehen. So entwickelt sich ihr Qualitätsbewusstsein.

Oder ich fordere die Schüler*innen auf, aus einem Text eine gelungene Stelle herauszuschreiben, damit zu arbeiten und zu benennen, was Sie an der Stelle gut finden. So kommen wir in einen Prozess, um über die Qualität von Texten zu sprechen.

Dabei gibt es für mich drei Stufen. Die erste Stufe besteht darin, die Textpassage abzuschreiben und in einen eigenen Text einzubauen. Das ist eine Kopie und viele Musiker lernen ihr Instrument, indem sie gute Passagen kopieren. Die nächste Stufe ist, die dahinterliegende Idee zu verstehen, so dass man sie immer wieder aufgreifen kann.

Die dritte Stufe besteht darin, es kreativ selber zu erschaffen. Natürlich gibt es fließende Übergänge zwischen diesen drei Stufen. Dabei habe ich immer erlebt, dass alle besser werden. Die Texte werden in der Qualität allein deswegen besser, weil die Schüler*innen das Gute leichter erkennen und darüber reden, was funktioniert und was nicht funktioniert.

Keiner hat Lust zu lernen, wenn man immer nur nennt, was nicht funktioniert.

Wahrscheinlich ist es auch ermutigender und unterstützt die Kreativität, wenn das Gute hervorgehoben wird, anstatt hervorzuheben, was schlecht ist.

Pflaum-Borsi: Das ist genau der Punkt. Keiner hat Lust zu lernen, wenn man fünf Punkte nennt, die nicht funktionieren. Kreativität hat viel damit zu tun, Freude am Lernen zu haben. Dadurch verändert sich die Lernatmosphäre in der Klasse. Wenn man das Gute benennt, werden alle beflügelt. Manchmal ist es nur ein Satz, manchmal ein größerer Abschnitt, den ich positiv herausgreife.

Meine Aufgabe ist, darauf zu achten, dass jeder und jede positiv erwähnt wird. Wenn man sich länger damit befasst, findet man auch bei Schüler*innen, von denen man weiß, dass sie nicht die ganz großen Transporteure ausgefeilter schriftlicher Botschaften sind, einen Satz, der einfach gut ist.

Daran freue ich mich dann besonders. Das hört sich jetzt sehr idealistisch an, aber genauso ist es. Deswegen liebe ich das Dialogische Lernen. Wenn man gutes Formulieren lernen möchte, ist es für mich die beste Methode überhaupt.

Man spürt auch die Begeisterung bei Ihnen.

Pflaum-Borsi: Ja, denn es gibt nichts Schrecklicheres als uninteressante Texte zu korrigieren. Dafür sind aber auch die Lehrenden verantwortlich, wenn sie die Schüler*innen auf diesem Niveau belassen. Ich gehe auch manchmal von guten Texten aus Büchern aus, um zu zeigen, wie der Autor, die Autorin vorgegangen ist. Aber das Herz des Unterrichts sind die guten Beispiele der Schüler*innen.

Ich sage dann vor der ganzen Klasse: „Diese Stelle hat mich berührt. Das kann man nicht besser machen. Das ist schön.“ Dann sieht man die Freude und den Stolz der Schüler*innen. Manche sagen dann, mir hat Deutsch noch nie so Spaß gemacht. Und das gibt auch mir ein gutes Gefühl.

Man kann das Dialogische Lernen auch in anderen Fächern anwenden, auch in Mathematik. Dabei geht es dann vor allem um den Rechenweg, nicht um die Lösung, sondern die Originalität, um den weiterführenden Lösungsvorschlag.

Achtsamkeit ist ein wichtiges Element in der Schule der Zukunft und die Grundlage für Kreativität.

Ihre Schule ist eine katholische Schule in der franziskanischen Tradition. Welchen Stellenwert hat die Spiritualität in Ihrer Schule?

Pflaum-Borsi: Wir geben im Schulalltag verschiedene Möglichkeiten für Besinnung und Achtsamkeit. Unsere Woche beginnt zum Beispiel mit einem Morgenkreis, in der Oberstufe heißt es Atempause. Das ist eine ganze Schulstunde, die nicht dem Fachstoff gewidmet ist. Dabei geht es um die Schüler*innen selbst.

Sie kommen aus dem Wochenende zurück, das vielleicht aufregend oder herausfordernd war. Oder es gibt Sorgen in der Klasse, die angesprochen werden wollen. Oder wir platzieren etwas aus dem Jahreskreis oder bringen ein Gedicht mit. Als Musiklehrer habe ich auch oft etwas mit den Schüler*innen gesungen. Das ist eine Stunde, die der Klasse gehört.

Am Anfang meiner Zeit als Lehrer war das oft die schwerste Stunde in der ganzen Woche, denn dafür gibt es keine Ausbildung. Mit der Zeit wurde es zur Stunde, die ich am meisten mochte, weil man auch die Schüler*innen selbst etwas gestalten lassen kann. Und weil man sich tatsächlich Zeit nimmt füreinander.

Jeder Schultag beginnt mit einem Impuls, um gemeinsam anzukommen.

Auch jeder Schultag beginnt mit einem Impuls, um gemeinsam anzukommen. Jemand liest kurz etwas vor, spricht ein Gebet oder wir singen gemeinsam. Es geht um Sammlung, um Achtsamkeit für die Situation, bevor der Schultag beginnt.

Zudem feiern wir jede Woche Gottesdienste für die unterschiedlichen Schulstufen. Dabei ist immer eine Klasse verantwortlich, die eine oder zwei Klassen einlädt.

Den Raum für den Gottesdienst haben wir vor über zehn Jahren neu gestaltet. Es ist ein offener Raum mit Teppichboden und flexiblen Hockern. Man kann dort auch auf dem Boden sitzen oder liegen, etwas malen oder einfach darin sitzen. Man kann da drin Musik machen, man kann zu sich kommen. Er wird für den Religionsunterricht oder für Besinnung genutzt.

Diese Formen von Besinnung sind ein wichtiges Element an unserer Schule. Wir veranstalten auch immer wieder Fortbildungen zum Thema Achtsamkeit in unterschiedlichen Ausformungen, sei es über den Körper oder durch Meditation.

Ich denke, Achtsamkeit ist ein wichtiges Element in der Schule der Zukunft und die Grundlage für Kreativität. Denn wenn wir Kreativität entwickeln wollen oder – ich glaube, das Thema muss man schon groß fassen – wenn wir auf der Erde überleben wollen, dann müssen wir zu uns selbst finden.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

1 Hier finden Sie Informationen zu Prof. Ralph Buchner.

2: Urs Ruf, Peter Gallin: Dialogisches Lernen in Sprache und Mathematik; Bd.1: Austausch unter Ungleichen; Bd.2: Spuren legen, Spuren lesen. Kallmeyer Verlag: 1998. Mehr Infos hier.

 

Peter Plaum-BorsiPeter Pflaum-Borsi ist Musiker, Pädagoge und Schulleiter. Er unterrichtet seit 1993 Musik, Religion und Deutsch am Schulzentrum St. Klara in Rottenburg. Seit 2008 ist er dort auch als Schulleiter tätig. Dazu hat er sich intensiv mit der Theorie und Praxis des Dialogischen Lernens nach Urs Ruf und Peter Gallin beschäftigt und bringt diese in den Unterricht ein.

 

Mike Kauschke ist Autor, Übersetzer, Dialogbegleiter und Redaktionsleiter des Magazins evolve. Mehr über ihn und seine Arbeit finden Sie auf seiner Seite.

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  • Illustration Kreatives Denken: DrAfter123 / istock
  • Mike Kauschke: privat