Das Gespräch führte Christina Raftery
Unter Ihrer Email-Signatur steht der schöne und plausible Molière-Satz „Wer so spricht, dass er verstanden wird, spricht gut.“
Susanne Krämer: Ein großes Thema in der Kommunikation ist ja, dass wir oft etwas anderes ausstrahlen als wir durch unsere Worte senden. Das kann zu enorm vielen Missverständnissen führen, gerade, weil wir dem körperlichen Ausdruck viel mehr glauben als dem verbalen.
Wie sind Sie selbst zu diesen Lehrinhalten gekommen?
Krämer: Meine Faszination gilt dem Bereich Kommunikation, also weit über den sprechwissenschaftlichen Schwerpunkt des Fachbereichs hinaus. Die Verknüpfung von psychologischen, sozio-emotionalen und achtsamkeitsbasierten Aspekten des Lehrberufs sind in dieser Form in Deutschland einmalig, nur bei Detlev Vogel in der Schweiz gibt es ein ähnliches Konzept.
Mit Blick auf die zunehmende Beschleunigung und Digitalisierung brauchen wir uns selbst als Ruhepol, um uns in Lern- und Arbeitsprozess nicht zu verlieren. Die Kulturtechnik der Achtsamkeit kann hier einen wichtigen Beitrag in Hochschulen und Schulen leisten.
Fehlt im Referendariat: Auf welche Weise findet Beziehungsarbeit statt?
Würden Sie sagen, dass das Lehramts-Studium ausreichend darauf vorbereitet, Jugendliche empathisch bei ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu begleiten?
Krämer: Auf die praktische Pädagogik ist eigentlich das Referendariat ausgerichtet, idealerweise von hoch qualitativem Mentoring begleitet. Das Problem dabei ist der Fokus auf die Bewertung.
Wichtiger wären Gesichtspunkte wie: Auf welche Weise findet Beziehungsarbeit statt? Wie werden die Kinder wahrgenommen? Was macht den pädagogischen Blick aus? Was bringe ich selbst mit und was kennzeichnet meine eigene Haltung? Das alles auszuprägen ist für mich das Wichtigste für die Professionalisierung als Lehrperson, nicht nur das universitäre Fachwissen.
Betrachten Sie die Lehrtätigkeit als „Rolle“, die authentisch gefüllt werden muss?
Krämer: Im Bereich „Schule“ würde ich im vom Rollenbegriff weggehen. Eine Rolle verlangt der Lehrperson oft eine emotionale Maske ab. Es geht um das authentische nach inneren Werten ausgerichtete Handeln in einer Fuktion.
Jedes Kind und alle Jugendlichen spüren ein „als ob“. Die eigene Haltung drückt sich immer im Körper aus. Daher ist es wichtig, nichts vorzugeben, sondern sich selbst zu beobachten und sich der inneren Gestimmtheiten bewusst zu werden: Wo bin ich gerade im Körper?
Im Morgenstern’schen Sinn vom Körper als „Übersetzer der Seele ins Sichtbare“ sind achtsamkeitsbasierte Übungen eine gute Möglichkeit, darauf einwirken zu können, und sich immer wieder zu fragen: Was möchte ich?
Unbedingt wertvoll in der Klassenzimmer-Situation!
Krämer: Im Referendariat werden die Studierenden regelrecht in die Klassen geworfen. Sie erleben von Schüler:innenseite sehr kritische Nachfragen, oft wird es persönlich. Da gilt es zu schauen: Was springt da bei mir an? Wie wirken neben den Inhalten meines Studiums auch meine eigene Lernerfahrung und die Lehrkräfte meines eigenen Wegs hinein?
Ziel dieser Praxiserfahrung ist für mich keine „Soll“-Erfüllung, sondern die Freiheit, meinen individuellen Weg zu entdecken. Genau da beginnt bewusst pädagogisches Handeln, eine andere Perspektive auf die Thesen der Bildungswissenschaft und die Reflektion: Kann ich diese Theorien praxisnah für mich übersetzen?
Es ist gut, wenn wir von einem rein wissensorientierten Zugang zu einer kompetenzorientierten Haltung kommen.
Sie unterrichten die Weiterbildung „Wache Schule“, haben ein sehr interessantes Buch dazu geschrieben – das sind wertvolle Stützen für die Praxis. Wie wichtig ist die wissenschaftliche Begleitung der Prozesse an den Hochschulen?
Krämer: Gerade für die Etablierung von Achtsamkeit an der Hochschule schätze ich den Wert der Wissenschaft, vor allem als Türöffner für einen Paradigmenwechsel. Gleichzeitig ist es gut, wenn wir von einem rein wissensorientierten Zugang zu einer kompetenzorientierten Haltung kommen.
Ein solcher Wechsel muss an Hochschulen jedoch fundiert wissenschaftlich begleitet, erforscht und diskutiert werden. Die Mischung aus dem wissenschaftlichen Blick und erfahrungsbasiertem Lernen macht es für mich spannend.
Wenn sich dieser wissenschaftliche Blick auf die Meditation richtet: Was verbindet die beiden?
Krämer: Vieles. Beide versuchen, eine Realität ohne Verzerrung von psychologischen Mustern oder bereits gemachten Erfahrungen zu sehen. Es geht um ein Experiment, der dort stattfinden Wirklichkeit nahe zu kommen, das ist für mich auch der Grundgedanke von Achtsamkeit.
Da erschließt sich ein Punkt, der weit über Stressregulation hinaus geht. Da geht es um Prinzipien der Wahrnehmung und des Erlebens. Um zum Anfang unseres Gesprächs zurück zu kommen: Eine vom persönlichen Background abgekoppelte Annäherung jenseits vorgefertigter Sprach- und Denkkonstrukte.
Welchen ethischen Aspekt hat diese Sichtweise?
Krämer: Die Wissenschaft muss im Dienst der Menschlichkeit stehen, nicht dagegen. Ohne dieses humanistische Denken funktioniert sie nicht. Mit Achtsamkeitsübungen knüpfen wir an die eigene Menschlichkeit und integrieren sie automatisch in alle Prozesse. Für die Gestaltung von Gemeinschaft ist das essentiell, und dafür ist die Hochschule ein prägender Ort.
Vielen Dank für das Gespräch!
Susanne Krämer hat von 2013-2020 am Zentrum für Lehrer:innenbildung und Schulforschung der Universität Leipzig den Bereich Kommunikation aufgebaut, u.a. das Seminar „Kommunikation und Achtsamkeit“. Sie leitet dort aktuell das Projekt „Achtsamkeit in der Bildung und Hoch-/Schulkultur“ (ABiK).
Mehr über das aktuelle Projekt ABiK finden Sie hier.