Nicole Dänzer

Achtsamkeit nicht zum Programm machen

Erfahrungsbericht von Nicole Dänzer, Pädagogin und Gründerin der Momo-Kitas

Das Konzept der Momo-Kitas ist achtsamkeitsbasiert und beziehungsorientiert. Hier spricht die Gründerin über ihre Vorstellungen von einer achtsamen Kita – und welche persönlichen Erfahrungen sie geprägt haben.

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Das Interview führte Julia Grösch

Frage: Frau Dänzer, wie kam es dazu, dass Sie 2008 Ihre erste Kita gegründet haben und wie hat sich dieses Projekt entwickelt?

Nicole Dänzer: Ich wollte einen Ort für kleine und große Menschen schaffen, an dem sie wachsen, sich angenommen und wertgeschätzt fühlen. An diesem Ort sollen sich alle sicher fühlen und ihr Potenzial entfalten können. Das war meine Vision.

Ich habe dann einen Verein ins Leben gerufen, mit nur drei Leuten, denn ich brauchte einen Träger. 2008 habe ich die erste „Momo“ gegründet und dann ist alles sehr organisch gewachsen. Jetzt leite ich vier Kitas, mehr sollen es aber nicht werden, denn es lebt ja alles vom persönlichen Kontakt und der Beziehung.

Wichtig ist mir: Es stehen Teams hinter der Arbeit, die Mitarbeitenden sind teilweise von Anfang an dabei. Sonst wäre das alles gar nicht möglich gewesen.

Frage: Wie kommt nun „Achtsamkeit“ in Ihre Arbeit?

Dänzer: Für mich ist Achtsamkeit wirklich eine Haltung. Und es geht mir nicht darum, dass alle meditieren müssen. Ich weiß gar nicht, ob ich das selbst hinbekommen würde, jeden Tag zu meditieren. Für mich heißt Achtsamkeit im Kontakt mit mir zu sein und zu bemerken, wenn ich es nicht bin.

Mein eigener Wunsch war, so frei wie möglich zu werden – und Freiheit beginnt ja in mir selbst.

Frage: Was macht Achtsamkeit für Sie so wertvoll?

Dänzer: Ich habe selbst eine schwierige Suchtgeschichte hinter mir. Als Jugendliche war ich heroinabhängig, nicht lange, aber sehr intensiv. Dann habe ich eine Therapie gemacht und bin auf die Achtsamkeit getroffen. Für mich war das wie eine Tür, die aufging. Bemerken zu können: ich kann mich selbst beobachten, ich muss nicht auf meinen Impuls reagieren, und ich muss meinen Gedanken nicht alles glauben.

Dass wir Menschen diese Fähigkeit haben, das weiterzugeben, ist mir wichtig. Mein eigener Wunsch war immer, so frei wie möglich zu werden – und Freiheit beginnt ja in mir selbst. Wir legen uns so viele Zwänge selbst auf, tadeln und korrigieren uns dauernd, das alles machen ja wir mit uns selbst. Mit der Achtsamkeit kann ich eine Distanz schaffen. Das ist es, was es für mich so wertvoll macht.

Frage: Kann man im Kita-Alltag verhindern, dass Mitarbeiter in Konkurrenz miteinander kommen? Dass ein Wettbewerb ums „Achtsams-Sein“ entsteht?

Dänzer: Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Gerade bei Menschen, die so viel Gutes wollen, geht es ja immer wieder darum, dass ich meine eigenen Schatten sehe und nicht die Schatten des anderen.

Wir sind ja alle nicht automatisch einfach „achtsam“, wir sind eher unachtsam. Wie können wir uns liebevoll an die Haltung erinnern? Nicht indem wir einander sagen „du bist jetzt gerade unachtsam“.

Und das geht nur, wenn man anerkennt, dass wir alle nicht perfekt sind, wir machen Fehler. Immer wieder überprüfen wir deshalb gemeinsam: leben wir die Werte, wie sehr leben wir sie oder leben wir sie gerade gar nicht?  Das ist der Dialog, die Beziehungsarbeit, und es setzt voraus, dass wir uns vertrauen und uns nicht gegenseitig korrigieren. Wir akzeptieren einander – und das ist wirklich Arbeit.

Nach einem Jahr der Teamarbeit in der Kita, die ich zuletzt übernommen habe, wissen jetzt alle, es gibt eine Basis des Vertrauens, wir hacken nicht aufeinander herum.
Diesen Schritt übergehen viele. Sie wollen Achtsamkeit und pfropfen das auf, aber es ist kein Bewusstsein da. Das Hinschauen bei sich selbst, das ist ja mitunter das Schwierigste.

Wenn ich in Verbindung bin, dann gelingt auch die Verbindung zum Kind.

Frage: Unterstützt eine achtsame Haltung den Kontakt der Pädagoginnen und Pädagogen zu den Kindern?

Dänzer: Es geht immer um den Kontakt, und der beginnt bei mir selbst: Morgens nach dem Aufwachen darauf achten, wie ich aufstehe und in Verbindung mit mir kommen. Wenn ich in Verbindung bin, dann gelingt auch die Verbindung zum Kind.

Ganz wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass man in den Kitas weg kommt vom permanenten Organisieren:  Wir müssen spazieren, dann müssen wir am Tisch sein, und dann müssen wir dieses und dann jenes machen, auch um den Eltern zu berichten, was wir getan haben. Achtsamkeit bedeutet, dass wir uns daran erinnern, wirklich die Beziehung in den Vordergrund zu stellen und sich zu erlauben, sich Zeit zu nehmen.

Frage: Lernen die Kinder in Ihren Momo-Kitas Achtsamkeitsübungen kennen?

Dänzer: Drei Mitarbeiterinnen von uns haben am „Happy Panda Programm“ von Cécile Cayla teilgenommen. Wir arbeiten aber nicht mit einem strukturierten Programm, sondern versuchen auch da, den eigenen Weg zu finden. Wir haben eigene Achtsamkeitsprojekte, bei denen wir uns zum Beispiel über ein paar Wochen mit den Sinnen oder mit den Gefühlen beschäftigen. Und wir haben feste Rituale. Im Morgenkreis machen wir eine Meditation oder Achtsamkeitsspiele.

Es ist aber ganz wichtig, den Kindern den Raum zu lassen und Achtsamkeit nicht zum Programm zu machen.

Wir haben auch Achtsamkeitskarten entwickelt, die wir am Morgen ziehen. Sie erinnern uns zum Beispiel an „achtsames Zähneputzen“. Es ist aber ganz wichtig, den Kindern den Raum zu lassen und Achtsamkeit nicht zum Programm zu machen.

Frage: Zum Abschluss möchte ich noch die Beziehung zu den Eltern ansprechen. Gibt es für die Eltern ein Angebot, die Haltung der Achtsamkeit kennenzulernen?

Dänzer: Ich habe an der „Mindful Parenting“-Ausbildung bei Susan Bögels teilgenommen und möchte den Eltern demnächst einen Workshop anbieten. Wir haben bei uns die „Momotopia“, ein kostenloses Kursangebot für Eltern. Aber wir drücken den Eltern nicht unsere Haltung auf, wir lassen sie in Ruhe.

Viele unserer Eltern kommen sehr bewusst in die „Momo“. Sie reagieren vor allem auf die Atmosphäre und die Menschen. Ich glaube, dass das für sie im Vordergrund steht. Es ist das Gesamtpaket, nicht spezifisch „Achtsamkeit“.

Eine Mutter hat mir mal gesagt, dass sie oft gestresst von zuhause in die Kita kommt. Bei uns ist die Atmosphäre ruhig und das überträgt sich auf sie. Sie kann dann ruhig zur Arbeit gehen. Das ist so ein schönes Kompliment!

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  • Illustration Nicole Dänzer: Bitteschön.tv