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Akzeptanz und Selbstfürsorge in der Elternschaft

Mindful Parenting ist ein Achtsamkeitstraining für Eltern. Es hilft, gut für sich selbst zu sorgen und die Welt immer wieder mit einem wachen, frischen Blick wahrzunehmen. Sarina Hassine hat Trainerin Sonja Boxberger dazu befragt.

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Das Gespräch führte Sarina Hassine

Frage: Mindful Parenting ist kein Programm, bei dem Eltern Ratschläge und Lösungen für typische Probleme im Familienalltag bekommen. Was unterscheidet Mindful Parenting (MP) von herkömmlichen Elterngruppen?

Sonja Boxberger: Es geht bei MP ausdrücklich nicht um Ratschläge und Lösungen. Das ist für viele Mütter und Väter erst einmal ungewohnt. Die meisten besuchen ja den Kurs, weil sie Hilfe bei der Erziehung und im Umgang mit ihren Kindern benötigen. Wie können wir das problematische Verhalten des Kindes abstellen? Was ist falsch mit mir, dass ich so aus dem Gleichgewicht gerate? Was können wir dagegen tun? Das sind nur einige der Fragen, die Eltern mitbringen.

Das ist nachvollziehbar. Deshalb achten wir im MP auch den Wunsch der Eltern nach Veränderung. Gleichzeitig schaffen wir einen Raum, in dem wir die Eltern einladen, offen zu bleiben für alle Erfahrungen, welcher Art sie auch sein mögen.

Die Haltung der Achtsamkeit erlaubt es, dass jedes Gefühl und alles, was gerade ist, in Ordnung ist. Das ist für viele neu: sich selbst und den anderen Müttern und Vätern offen, freundlich und ohne Bewertung und Kommentare zuhören.

Freundlich und ohne Bewertung und Kommentare zuhören.

Nicht selten schämen sich Eltern für ihre unerwünschten Reaktionen gegenüber dem eigenen Kind. Zu erleben, dass sie mit diesem oder einem anderen Gefühl nicht alleine sind, bringt Erleichterung und vor allem Akzeptanz für die Realität.

Akzeptanz ist die Voraussetzung für tieferes Schauen und Veränderung. Und dass viele Eltern und Kinder sich tatsächlich durch den Kurs verändern, ist nicht nur durch das Feedback der Teilnehmer:innen, sondern auch durch die Forschungsarbeit von Susan Bögels und Kathleen Restifo bestätigt.

Frage: Haben Sie persönlich eine Lieblingsübung?

Boxberger: Vielleicht kennen Sie die „Rosinenübung“? Sie ist vor allem bekannt aus Jon Kabat Zinns´ MBSR Programm. Es ist wunderbar und kurios, eine Rosine achtsam mit allen Sinnen zu erforschen. Man kann dabei feststellen, dass eine Rosine viel mehr zu bieten hat, als man gemeinhin denkt!

Diese Übung hat Susan Boegels in ihrem Programm adaptiert. Wenn ich die Teilnehmer:innen auffordere, eine Woche lang ihr Kind auf diese Weise zu betrachten, nämlich mit einem ganz frischen, wachen und liebevollen Blick, dann klingt das für sie auch erstmals kurios.

Nach der Woche aber berichten mir nahezu alle, wie gerührt sie davon sind, was sie Neues an ihren Kindern entdeckt haben. Der Blick auf das Kind ist zunehmend von Empathie und Mitgefühl geprägt. Das ist mir persönlich immer eine besondere Freude.

Frage: In Meditationskreisen nennt man das auch den sogenannten „Anfängergeist“.

Boxberger: Genau, mit diesem frischen, wachen Blick gelingt es, unsere individuell getönte Brille abzusetzen und uns von den Illusionen zu verbschieden, dass die Welt nach unserer Vorstellung zu laufen hat.

Als Menschen kategorisieren wir schnell und denken in den berühmten Schubladen. Auch der Blick auf unsere Kinder ist gefärbt und ganz schnell heften wir ihnen Etiketten an und schreiben ihnen bestimmte Charakteristika zu.

Achtsamkeit hilft uns zu bemerken, wie voreingenommen wir an Situationen herangehen oder sie interpretieren. Der Anfängergeist hilft, wieder das Wunder, das unser Kind ist, zu sehen.

Die Praxis des Selbstmitgefühls hilft, uns mit uns selbst zu versöhnen.

Frage: Ein wesentlicher Aspekt des Trainings ist das Üben von Selbstmitgefühl und Selbstfürsorge – was hat es damit auf sich? Warum sollte man das üben?

Boxberger: Als Eltern wollen wir unseren Job perfekt machen und daher ist es auch kein Wunder, dass wir unter Stress oft besonders hart mit uns selbst ins Gericht gehen. Schnell wird im Kurs klar, dass wir einer Freundin in gleichen schwierigen Situationen mehr Freundlichkeit und Mitgefühl entgegenbringen würden als uns selbst.

Die Praxis des Selbsmitgefühls erinnert uns daran, dass wir mit unseren Schwierigkeiten nicht alleine sind und dass alle Menschen Leid empfinden. Ob in der Rolle als Eltern, Partner:in, Freund:in oder als Mensch im Job – wir werden immer wieder mit unseren Unzulänglichkeiten konfrontiert. Die Praxis des Selbstmitgefühls hilft uns, uns mit uns selbst zu versöhnen. Sie tröstet uns. Das ist es doch, was wir mitten in den herausfordernden Momenten am meisten brauchen.

Selbstmitgefühl ist die Umarmung, die sanft und liebevoll flüstert: „Ja, ich weiß, das tut weh. Du bist damit nicht allein. Ich bin für dich da.“ Wenn wir Selbstmitgefühl üben, können wir auf diese Weise wunderbar für uns sorgen. Und das kommt auch unserer Familie unmittelbar zugute.

 

Foto Sonja Boxberger AutorinSonja Boxberger ist Mutter von zwei Kindern, verheiratet und lebt in Köln. Sie arbeitet als MBSR Trainerin, Happy Panda-Trainerin und begleitet Eltern als Mindful Parenting Trainerin. Daneben ist ihr Schwerpunkt Achtsamkeit in der Natur. Bei Veranstaltungen und Fachtagungen ist sie als Referentin tätig. Hier kommen Sie zu ihrer Seite.

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  • Sonja Boxberger: Olivier Pol Michel