Begleiten statt verbieten von Leonie Lutz

Begleiten statt verbieten – Medienkompetenz in der Familie

Wie Eltern ihre Kinder in und durch die digitale Welt begleiten können, dazu geben zwei Expert*innen in einem neuen Buch praktische Tipps. Dr. Stefanie Uhrig hat sie zum Interview getroffen.

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Das Gespräch führte Dr. Stefanie Uhrig

In Ihrem Buch erklären Sie, wie Eltern und andere Bezugspersonen Kinder in der digitalen Welt begleiten können. Warum ist das so wichtig?

Anika Osthoff: In allen anderen Lebensbereichen tun wir Eltern das längst. Dabei geht es um den Schutz unserer Kinder. Wir bringen ihnen Verkehrsregeln bei oder unterstützen sie beim Schwimmen lernen.

Genau diese Begleitung benötigen Kinder heute auch im Digitalen. Denn wir sind mitten in einem digitalen Transformationsprozess. Alles wird digitalisiert. Unsere Kinder sollten sich altersgerecht in dieser Welt zurechtfinden und Medienkompetenz erlangen.

Es ist wichtig sich für die digitale Welt des Kindes zu interessieren und auf Augenhöhe im Gespräch zu bleiben.

Was bedeutet für Sie Achtsamkeit in der Begleitung der Kinder im Umgang mit Medien?

Leonie Lutz: Einen achtsamen Umgang mit digitalen Medien macht aus, dass wir nicht per se alles verbieten, sondern die Nutzung begleiten – auch durch Wissen. Kindern und ihren Eltern hilft ein Bewusstsein darüber, wie man sich zum Beispiel im Internet zeigt. Oder ob und welche Medienzeiten in welchem Alter Sinn machen.

Wie finden wir dabei den richtigen Weg zwischen Kontrolle und einem zu lockeren Umgang?

Osthoff: Vom Kontrollgedanken sollten wir uns im ersten Schritt verabschieden. Kontrolle geht nämlich spätestens dann nach hinten los, wenn Kinder ein eigenes Smartphone haben. Und wenn sie dann das Gefühl haben, ihre eigene Privatsphäre wird nicht respektiert, machen Kinder gewisse Dinge heimlich.

Besser ist also, nicht per se alles zu verbieten, sondern durch Begleitung mit dem Kind altersgerecht digitale Medien als Familie zu entdecken und voneinander zu lernen. Pauschalrezepte gibt es hier leider nicht – jede Familie muss sich auf den Weg machen und ihre eigenen Grenzen und Regeln finden. Wichtig ist dabei, sich für die digitale Welt des Kindes zu interessieren und auf Augenhöhe mit dem Kind oder Jugendlichen im Gespräch zu bleiben.

Kinder sind durch Verbote auch nicht besser geschützt.

Gewisse Grenzen oder Verbote muss es ja trotzdem geben – wie setzen wir das sinnvoll um?

Lutz: Regeln sind wichtig und geben Kindern Halt und Struktur. Wenn in der Schule zum Beispiel kein Handy erlaubt ist, gilt diese Regel für alle – also halten sich auch alle daran. Manche Verbote sind wichtig, um Kinder zu schützen, das kann man Kindern ab einem gewissen Alter auch erklären: Etwa, warum man mit 12 noch nicht Auto fahren darf oder eben auch nicht uneingeschränkten Zugang zum Internet haben sollte.

Zu Hause machen wir daher unsere eigenen Regeln. Wir nennen sie in unserem Buch „digitale Familienregeln“, weil sie für alle in der Familie gelten – auch für die Eltern. Ein Beispiel ist, dass am Esstisch keine Handys verwendet werden.

Gänzliche Verbote machen nur dann Sinn, wenn ein Kind in Gefahr ist oder Gefahr droht. Verbieten wir aber zum Beispiel aus Prinzip ein eigenes Handy, und haben alle Freunde unseres Kindes schon ein eigenes Gerät, fühlt sich unser Kind immer ausgeschlossen und nimmt nicht an den wichtigen sozialen Freundschaften teil.

Kinder sind durch Verbote auch nicht besser geschützt, im Gegenteil. Sie sehen die Inhalte trotzdem, auf den Geräten von Freund*innen oder Geschwistern. Es ist also irgendwann besser, wenn Teenager eigene Geräte haben und wir als Eltern das Handy gemeinsam sicherer mit dem Kind einstellen. Wenn es nur bei Freund*innen die Online-Inhalte sieht, haben wir als Eltern schließlich gar keinen Einblick.

Wann sollten Eltern mit ihren Kindern über welche Themen sprechen?

Osthoff: Die Themen ergeben sich automatisch daraus, welche digitalen Möglichkeiten die Kinder im jeweiligen Alter nutzen. In unserem Buch haben wir Tipps für jedes Alter, aber hier zwei Beispiele: Sind die Kinder noch jünger und nutzen Kinder-Apps, kann man einfache Gerätekompetenzen beibringen.

Bekommen Kinder dann irgendwann ein eigenes Smartphone, haben sie damit uneingeschränkten Zugang zur Erwachsenenwelt. Hier sollten Eltern also über die Gefahren und Risiken aufklären, die Kinder bei der Nutzung der Apps begleiten und technische Schutzeinstellungen vornehmen.

Es ist ja eine Frage, die sich fast alle Eltern stellen müssen: Wann ist der richtige Zeitpunkt für ein eigenes Handy?

Lutz: Am besten dann, wenn die Eltern sich zutrauen, ihr Kind über die Gefahren und Risiken aufzuklären, die ihr digitales Gerät neben all der Positivität birgt, und konkrete Schutzeinstellungen vorzunehmen. Ein Zeitpunkt könnte hierfür der Übergang zur weiterführenden Schule sein.

Die digitale Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen ist eine andere als die von Erwachsenen.

Wie kann man damit umgehen, wenn Kinder sich Inhalte ansehen, die einem selbst nicht gefallen oder die man als Zeitverschwendung betrachtet?

Osthoff: Wenn wir ehrlich sind, war das doch immer schon so, dass Eltern den Humor und auch die Verehrung für bestimmte Musikgruppen oder Modestile ihrer Kinder nicht immer teilen. Eine Verurteilung und ein Verbot, nur weil man das selbst nicht mag oder nicht witzig findet, war noch nie besonders erfolgreich. Deshalb gilt auch im Digitalen: Locker bleiben und Verständnis dafür aufbringen, dass die digitale Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen eine andere ist als unsere.

Was können Eltern tun, wenn sie selbst nicht so gut mit digitalen Dingen zurechtkommen?

Lutz: Wir empfehlen Eltern, sich unbedingt mit den Themen zu beschäftigen. Sich auszukennen bedeutet nämlich, auch bei Apps und Co ein viel sichereres Gefühl als Erziehungsberechtigte*r zu haben. Mittlerweile gibt es da viele gute Möglichkeiten, sich zu informieren: z.B. auf Internetseiten wie Klicksafe, Handysektor, Medien-kindersicher und vielen mehr.

Viele Ideen und Übungen in Ihrem Buch sind sehr kreativ. Was können denn Menschen machen, die weniger Spaß an kreativen Projekten haben?

Osthoff: Sie können als Familie zum Beispiel gemeinsam zocken. Ich habe mit meinen Kindern im ersten Lockdown einen Zoo bei „Minecraft“ gebaut. Meine Kinder haben recherchiert, welches Tier welche Lebensbedingungen benötigt und welche Pflanzen angebaut werden müssen.

Oder man kann gemeinsam die Natur entdecken mit der „Flora Incognita“- App oder auch gemeinsam programmieren mit „Scratch“. Es gibt zahlreiche Ideen für Aktivitäten, die verschiedene Kompetenzen vermitteln.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Anika Osthoff ist Lehrerin an einer digitalen Modellschule in NRW, Leonie Lutz ist Redakteurin, Bloggerin und Digitalcoach. Beide wissen um die Schwierigkeiten der digitalen Welt in Familien und möchten helfen: In ihrem Buch „Begleiten statt verbieten“ erklären sie, wie Eltern einen verantwortungsbewussten und selbstständigen Umgang mit der Technik unterstützen können.

Leonie Lutz & Anika Osthoff, Begleiten statt verbieten: Als Familie kompetent und sicher in die digitale Welt, Kösel-Verlag, 2022

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  • Begleiten statt verbieten: Kösel