Das Gespräch führte Sarina Hassine
Frage: Was bedeutet für Sie bewusste Elternschaft?
Stefanie Vogl: (lacht) Dass es anstrengend ist! Hätte ich gewusst, was das Muttersein für mich alles mit sich bringt, hätte ich mir noch Zeit gelassen! Ich war damals als Hebamme im Geburtshaus Berlin Charlottenburg und wollte eine Pause machen von der Arbeit. Ich dachte mir, ach, ein bisschen schwanger sein, ein Baby vorm Bauch tragen, das wäre doch schön. Aber tatsächlich hat sich durch die Kinder mein Leben so wahnsinnig schnell verändert. Ich war schon auf einem recht bewussten Weg mit mir selbst, aber die Kinder sind nochmal ein extremer Katalysator für meine Persönlichkeitsentwicklung!
Frage: Auf welchem Weg waren Sie?
Vogl: Das kam eigentlich schon mit der Hebammenausbildung. Da wurden mir die beiden Perspektiven klar: Die eine, die einem sagt, was man alles tun muss, um „richtig“ zu gebären. Die andere, die den Menschen und den Körper mehr selbst machen lässt und möglichst wenig eingreift. Letzteres war für mich schon damals stimmiger.
Frage: Haben Sie damals meditiert?
Vogl: Nein. Aber gegenüber vom Geburtshaus war ein Meditationszentrum. Da waren wir oft zum Mittagessen und ich spürte eine starke innere Anziehung zu der Atmosphäre dieses Ortes.
Frage: Sie haben dann noch vor den Kindern einen Achtsamkeitskurs gemacht.
Vogl: Ja, einen MBSR-Kurs bei Clarissa Schwarz, die zufälligerweise auch Hebamme ist. Am tollsten fand ich da den Tag der Stille. Das entspricht mir so! Auch heute liebe ich es einfach still zu sein. Ich muss dabei nicht alleine sein. Aber ich habe immer seltener den Drang mit Leuten zu „quatschen“. Ich merke oft, wie mir das die Energie raubt.
Ich kann meine Komfortzone ständig erweitern und lernen.
Und das ist zum Beispiel etwas, das ich mir von meinen Kindern abschaue: Wenn die auf jemanden oder auf ein Spiel keine Lust mehr haben, dann drehen die sich einfach um und gehen. Das ist so genial an Kindern, die würden sich nie „zulabern“ lassen oder in Gespräche verwickeln lassen, die ihnen nicht gut tun oder auf die sie keine Lust haben. (lacht)
Frage: Und wir Erwachsenen, wir spüren zwar, dass wir etwas eigentlich nicht wollen, aber …
Vogl: …aber sind oft zu höflich oder zu unsicher, um unsere Grenzen zu ziehen. Um ehrlich und authentisch mit uns selbst und miteinander umzugehen. Wir haben es so gelernt. Wir sollten das „umlernen“.
Mein Verstand hat viele Vorstellungen davon, wie es zu laufen hat. Mein Lehrer Stefan Hiene sagt dazu „Programmierungen“, also Dinge, die ich in meiner Kindheit und danach gelernt habe. Wir haben Vorstellungen darüber, wie Kindererziehung sein sollte, wie Partnerschaft sein sollte, wie Leben und Alltag sein sollten. Man kriegt es ja von seinem Umfeld so vorgelebt.
Tatsächlich weiß ich das alles aber gar nicht. Ich weiß nicht, wie Muttersein geht, wie Partnerin sein geht. Ich weiß nicht, was richtig oder falsch ist für meine Kinder. Ich kann nur vertrauen in mich, ich kann mich ausprobieren, spielerisch, mutig, humorvoll. Ich kann meine Komfortzone ständig erweitern und lernen.
Frage: Ihre Kinder leben sehr selbstbestimmt. Wie kam es dazu und wie geht es Ihnen damit?
Vogl: Auch das kommt aus diesem Bewusstsein heraus, dass ich ja nicht wissen kann, was richtig ist. Ich beobachte meine Kinder sehr genau, gebe ihnen die Möglichkeit, Dinge auszuprobieren – auch Kita – und sie zeigen uns den Weg. Inzwischen kann ich diesen Prozess gut annehmen.
In meiner eigenen Kindheit habe ich mich viel zu viel mit lernen und fleißig sein beschäftigt. Für gute Noten gab es Geld, das hat mich angespornt, noch mehr zu üben. Ich bin gern in die Schule gegangen. Aber heute, wo ich erkannt habe, wie Lernen eigentlich funktioniert, stelle ich das alles in Frage.
Ich habe meine Erfahrungen gemacht und meine Kinder sollen ihre eigenen machen können.
Meine Kinder lernen von ganz alleine. Diese Erfahrung möchte ich ihnen nicht nehmen, indem ich über sie bestimme und zum Beispiel sage, du gehst jetzt in die Kita, weil sich das so gehört. Ich habe meine Erfahrungen gemacht und meine Kinder sollen ihre eigenen machen können. Ich möchte ihnen einen Rahmen geben, in dem sie sich entwickeln können. Ihnen Werte vermitteln und ihnen ein authentisches Vorbild sein mit all meinen Macken, Gefühlen, Fragen.
Frage: Haben Sie keine Angst, Fehler zu machen?
Vogl: Doch natürlich. Jeden Tag! Diese innere Weiterentwicklung führt unweigerlich auch zu Schmerzen und Ängsten. Es ist ja nicht so, dass man durch Achtsamkeit oder durch einen kitafreien Alltag auf einmal ein leichtes, wunderbares Leben hat. Ich bin mir meiner großen Verantwortung bewusst! Deshalb meinte ich auch zu Anfang, dass ich mir mit dem Kinderkriegen lieber noch etwas Zeit hätte lassen sollen.
Frage: Was ist da Ihre größte Herausforderung?
Vogl: Das Schwierigste ist für mich, wenn der Verstand mir sagt, es muss anders sein als es ist – z.B. „meine Kinder sollten immer Bitte und Danke sagen“ oder „Wir sollten als Familie immer gemeinsam frühstücken“. Dann dem Drang zu widerstehen, auf meinen Verstand zu hören und mein Kind zu maßregeln oder mich selbst, das ist oft herausfordernd.
Ins Spüren zu kommen und es zu wagen, mich gegen die Stimme in meinem Kopf zu entscheiden.
Ich versuche dann, mein Gefühl zu befragen, ins Spüren zu kommen und es zu wagen, mich eventuell gegen die Stimme in meinem Kopf zu entscheiden. Da ist aber auch immer wieder mal die Angst, ich könnte den Kindern schaden, ich wäre eine schlechte Mutter.
Zum Beispiel gestern wollten die Kinder ihr Abendbrot vor dem Tablet essen, also während sie einen Film schauen. Das finde ich nicht gut, weil ich denke, man sollte bewusst essen, in Ruhe usw. Ich könnte ihnen das erklären und sie dann bitten, das Tablet auszumachen. Oder – was mir schwerer fällt – ihnen die Entscheidung zu überlassen und die Erfahrung zuzugestehen wie es ist, vor dem Tablet zu essen. Es gibt auch noch viele andere Varianten, ich könnte mich mit meinem Essen dazusetzen, oder mit dem Essen warten oder, oder.
So ist es in anderen Situationen auch. Ich merke, wie eine Meinung auftaucht in meinem Geist und ich durch ein Innehalten bemerke, dass es nur eine Meinung ist. Dann gehe ich zurück zum Spüren und Raum geben. Und erst dann entscheide ich.
Frage: Wie fühlt sich dieser Prozess mit den Kindern für Sie an?
Vogl: Es ist einfach eine wunderbare Erfahrung, sich immer wieder von dieser Verstandes-Ebene zu lösen. Ich meine damit nicht, dass ich nicht mehr nachdenke oder an meinem Verstand orientiere. Vielmehr versuche ich noch weitere Ebenen in mir zu aktivieren. Meine Intuition, meine Sinne. Dadurch entsteht in mir eine Leichtigkeit und Lebendigkeit. Ich komme ins Hier und Jetzt, weil ich immer wieder schauen muss, was jetzt gefragt ist, worum es jetzt gerade geht.
Letztlich versuche ich einfach immer wieder das zu tun, was mir entspricht. Und dem anderen die Freiheit zu lassen zu tun, was ihm entspricht. Das hat für mich viel damit zu tun, auf mein Herz zu hören, meine Gefühle bewusst wahrzunehmen und danach zu handeln. Dann empfinde ich mich als authentisch, als wahrhaftig.
Frage: Wenn man in so einem persönlichen Wandlungsprozess ist, ändert man ja auch öfter seine Einstellung. Wie gehen Sie damit um?
Vogl: Das gehört dazu. Ich weiß, ich bin jeden Tag ein bisschen anders, fühle oder denke anders. Genau wie mein Kind übrigens – mal möchte es in die Kita, mal nicht. Und deshalb bin ich mir auch sicher: Es wird nicht jede Mahlzeit vor dem Tablet essen wollen, bloß weil ich es erlaube.
Ich glaube, wenn wir authentisch sind, sind wir das beste Vorbild für unsere Kinder.
Ich glaube, wenn wir authentisch sind, sind wir das beste Vorbild für unsere Kinder. Die nehmen viel mehr an Stimmungen und Schwingungen wahr, vor allem wenn etwas unstimmig ist. Wenn sie spüren, dass wir etwas anderes sagen als wir empfinden, dass wir einfach nur konsequent den Regeln folgen oder etwas durchsetzen wollen, weil wir glauben, es müsse so sein – dann lernen sie, dass der Verstand wichtiger ist als das Herz. Das möchte ich nicht. Der Verstand ist ein wunderbares Werkzeug, aber das Herz ist ebenso wichtig – und vielleicht weniger trügerisch.
Frage: Viele Eltern möchten es anders machen als sie es selbst gelernt haben, doch sie sind oft allein mit diesen Themen. Bräuchten Eltern mehr Anlaufstellen?
Vogl: Jeder hat da seinen eigenen Weg. Ich glaube es ist genug da, genügend Möglichkeiten sich Input, Unterstützung, Netzwerk zu holen. Ich komme immer mehr in das Vertrauen, dass wir nichts verpassen können, dass alles da ist, was wir brauchen für unseren Weg. Es braucht nicht mehr Angebote, eher weniger!
Der eine meditiert, ein anderer hat Sport oder die Kunst, die ihn wieder ganz zu sich selbst zurück bringt. Ich glaube inzwischen, dass alles zu einem kommt, und wenn etwas nicht zu einem kommt, dann ist es eben so. Es muss nicht alles in diesem Leben erledigt werden.