Lukas Lamoller

Der Lehrer, der ich sein möchte

Erfahrungsbericht von Lukas Lamoller, Pädagoge und Naturwissenschaftler

Lukas Lamoller ist Biochemiker und 2020 per Quereinstieg als Lehrer an eine Hamburger Stadtteilschule gekommen. Achtsamkeit unterstützt ihn bei den neuen Herausforderungen.

PORTAL FÜR ACHTSAMKEIT IN DER PÄDAGOGIK

Das Interview führte Sarina Hassine

Frage: Dies ist in vielerlei Hinsicht ein herausforderndes Jahr. Wie unterstützt Sie Ihre Achtsamkeitspraxis in Ihrem Job? Können Sie Beispiele nennen aus dem Schul-Alltag und Ihrer regelmäßigen Praxis?

Lukas Lamoller: Ich empfinde den Job als extrem herausfordernd und stressig. Ich glaube, ohne meine Erfahrung mit Achtsamkeit ginge es mir echt schlecht. Aber glücklicherweise schaffe ich es, alle paar Tage morgens eine kurze Meditation zu machen. Und während der Arbeit bemerke ich ab und zu – im Treppenhaus auf dem Weg zum Kopierer oder im lauten Klassenzimmer – in was für einem angespannten und alarmierten Zustand ich mich befinde.

Dann verlangsame ich den Schritt oder mein Sprechen, halte ganz kurz inne, lasse die Schultern sinken und beruhige meine Atmung. Das sind Mikro-Momente der Achtsamkeit, die mir Kraft geben und sich mit der Zeit ganz langsam selbst verstärken und im Alltag Raum machen.

Frage: Achtsamkeit hat ja viel mit Persönlichkeitsbildung und mit Beziehungsgestaltung zu tun. Inwiefern könnte aus Ihrer Sicht die Achtsamkeitspraxis insbesondere für Pädagog:innen unterstützend sein?

Lamoller: Es gibt viele Stressfaktoren in dem Job. Jeder hat eigene Strategien für den Umgang damit. Aber eine Erweiterung des „Werkzeugkoffers“ kann bestimmt nicht schaden. Gewissermaßen ist Achtsamkeit eine Meta-Strategie. Sie hilft uns, rechtzeitig zu bemerken, was wir brauchen.

Außerdem bietet Achtsamkeit einen ganz neuen Zugang zu dem eigenen Selbst und könnte helfen, die Persönlichkeit, die man eigentlich sein will, mehr nach außen zu bringen, statt eine durch Reaktivität verzerrte Form davon.

Wenn wir uns achtsamere Kinder wünschen, dann brauchen wir achtsamere Erwachsene im Leben der Kinder.

Ich habe das Gefühl, dass die Arbeitslast und die regelmäßige Frustration bei vielen Lehrkräften die großen Ideale, mit denen sie den Beruf antreten, etwas in den Hintergrund treten lassen. Ich kann zumindest bei mir diese Gefahr erkennen und merke, dass mir das Praktizieren von Achtsamkeit, Empathie und Dankbarkeit hilft, immer wieder den Lehrer hervorzuholen, der ich gerne sein möchte.

Zu guter Letzt haben wir als Lehrende eine Vorbildfunktion. Kinder lernen durch das Beobachten von Erwachsenen. Wenn wir uns achtsamere Kinder wünschen, dann brauchen wir achtsamere Erwachsene im Leben der Kinder.

Jeder Lehrer und jede Lehrerin wird bestätigen, dass die Klasse Vieles von dem spiegelt, was man mitbringt. Wie man Kindern verschiedener Sozialmilieus und Altersstufen Achtsamkeit vermittelt, da bin ich mir noch sehr unsicher, aber achtsame Lehrer, das wäre ein großartiger Anfang, der uns ein ganzes Stück weiter bringen würde.

Frage: Welche Motivation haben Sie, Achtsamkeit auch Schülerinnen und Schülern zugänglich zu machen?

Lamoller: Ich träume von einer besseren Welt und glaube, dass Achtsamkeit und verwandte Praktiken ein wunderbares Werkzeug sind, um Kindern zu helfen, stabile und sozialkompetente Persönlichkeiten auszubilden. Die Forschung zeigt uns, dass wir durch Achtsamkeit nicht nur Selbstwirksamkeit und ethisches Verhalten, sondern auch psychische und körperliche Gesundheit fördern können. Letzteres liegt mir besonders am Herzen und ist gesellschaftlich von enormer Relevanz.

Aber ich sehe auch viele Hindernisse und bin der Meinung, dass noch einiges an Arbeit vor uns liegt, wenn wir Achtsamkeit als „Life-Skill“ wirklich integrieren wollen. In der Pubertät geht es für die Jugendlichen viel darum, sich abzugrenzen, sich durch die Rolle in der Peer-Group zu definieren. Sich nach innen zu wenden steht nicht im Fokus und scheint mir für die meisten auch nicht so interessant zu sein, da sie ihre Persönlichkeit durch die Interaktion im Außen ja erst entwerfen.

Achtsamkeit ist kein zusätzlicher Inhalt, sondern kann so in den Unterricht einfließen.

Frage: Für Sie als Biologie-Lehrer bietet es sich an, Aspekte der Achtsamkeit in den Unterricht einfließen zu lassen. Wo genau würden Sie das machen? Und haben Sie da bereits Erfahrungen gesammelt?

Lamoller: Es bieten sich tatsächlich viele Möglichkeiten. Es kann schon beginnen im Anatomieunterricht in Klasse 5 und 6, wo man über das Thema Körper eine gute Vorlage für einen ersten Einstieg hat. Schülerinnen und Schüler können ihre Muskeln und Knochen ertasten oder ihren Puls fühlen. So beginnen sie, sich selbst unmittelbar als verkörpertes Wesen in einer physischen Welt zu erfahren.

Für die Sexualerziehung in der sechsten Klasse habe ich einmal eine Doppelstunde verwendet, um achtsame Kommunikation zu thematisieren. Dann habe ich zu jedem Stundenbeginn eine Ruheminute eingeführt, denn das Thema bringt immer eine ganze Menge Aufregung mit sich.

Möglichkeiten sehe ich auch später bei den Themen Atmung und Herz-Kreislauf-System. Die Jugendlichen können z.B. feststellen, dass ihr Puls beim Ausatmen langsamer ist, als beim Einatmen und daraus herleiten, dass langes Ausatmen beruhigend auf sie wirkt. Auch zu den Fachinhalten Nervensystem, Stress und Gesundheit liegt es nahe, Achtsamkeit oder Entspannungstechniken zu thematisieren.

Frage: Sie haben mir von einer Idee erzählt, wie sich Lehrende diesbezüglich vernetzen und gemeinsam Materialien sammeln könnten, mögen Sie das kurz beschreiben?

Lamoller: Ich vermute, dass viele Lehrkräfte die Anregung, Achtsamkeit in den Unterricht aufzunehmen, als zusätzliche Belastung verstehen würden.Und tatsächlich ist die Unterrichtszeit oft schon für die vorgegebenen Fachinhalte zu knapp. Man unterrichtet die Achtsamkeit nicht als zusätzlichen Inhalt, sondern kann sie in jeden Unterricht einfließen lassen. Es geht darum, wie wir der Welt in diesem Moment begegnen. Wir sollten uns fragen, was wir erreichen wollen. Wollen wir, dass alle Kinder meditieren? Mein Ziel ist das nicht.

Ich möchte, dass Kinder lernen, präsent zu sein und mit sich selbst und der Welt in einer lebendigen, empathischen und unmittelbaren Beziehung zu stehen. Damit komme ich zu Ihrer Frage zurück: So, wie man im Biologie-Unterricht achtsame Momente erschaffen kann, kann man es tun, wenn man im Fach Gesellschaft über den Nationalsozialismus redet oder im Werkunterricht ein Holzobjekt abschmirgelt.

Meine Vision ist es, Lehrende zusammenzubringen, die für verschiedene Fächer die im Kerncurriculum angelegten Fachinhalte durchgehen und kreative Möglichkeiten ausarbeiten, um Achtsamkeit einfließen zu lassen. Diese muss dabei nicht einmal benannt werden, sie muss einfach sinnvoll integriert sein.

Das ist bisher nur eine Idee, aber ich finde die Vorstellung einer Open-Source Datei wunderbar. Jede Lehrkraft könnte darauf zugreifen, wenn sie für ihre Lerngruppe ganz nebenbei achtsame Lernerfahrungen kreieren möchte.

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  • Lukas Lamoller: privat