„Ich habe gemerkt, dass ich innerlich zur Ruhe kommen kann“

Immer mehr Studierende melden sich bei Achtsamkeitsangeboten an ihrer Universität oder Hochschule an. Wir sprachen mit Lisa Hojcyk über ihre Erfahrungen in einem MBST-Kurs in Thüringen.

PORTAL FÜR ACHTSAMKEIT IN DER PÄDAGOGIK

Das Gespräch führte Sarina Hassine.

Sie haben als Studentin an einem MBST – Mindfulness Based Students Training teilgenommen. Wie kam es dazu?

Lisa Hojczyk: Ich habe als Masterstudentin in Jena angewandte Ethik und Konfliktmanagement studiert. Der MBST-Kurs wurde von Prof. Reyk Albrecht im Bereich Wirtschaftsethik angeboten. 2021 habe ich dann noch einen Kurs zu „Mindful Leadership“ besucht, danach auch noch andere Kurse, vor allem online.

Und, meditieren Sie noch?

Hojczyk: Ich mache schon seit vielen Jahren Yoga. Aber ich setze mich auch täglich hin und meditiere. Ansonsten habe ich eine informelle, also im Alltag frei gelebte Praxis, die darin besteht, dass ich mir beispielsweise oft die Zeit nehme, bei der Arbeit in mich hineinzuspüren und z.B. zu bemerken, wie ich sitze. Ich bin auch viel in Verbindung mit der Natur, denn es tut mir gut, mich draußen hinzusetzen oder einen Atemzug zu nehmen.

Insbesondere die Dyaden-Praxis hat mir einen neuen Zugang zu Mitgefühl ermöglicht.

Inwiefern beeinflusst Achtsamkeit Ihr Leben?

Hojczyk: . Auf einer Ebene hilft es mir mit meinem Stress. Ich bin jemand, der einen sehr hohen Anspruch hat, auch im Studium. Von daher hat mir die Achtsamkeitspraxis wahnsinnig viel geholfen, ein bisschen die Perspektive zu wechseln, mir wirklich auch mal die Zeit zu nehmen runterzukommen.

Bei dem Ansatz, den Reyk Albrecht und Mike Sandbothe in ihren Kursen verfolgen, findet sich auch die soziale Komponente der Achtsamkeit, also im Miteinander, im Dialog, in der Kommunikation mit der Gruppe und im System. Mir geht es so, dass ich dadurch ein anderes Verständnis für Menschen bekomme, ihre Situation, ihre Perspektive. Insbesondere die Dyaden-Praxis hat mir einen neuen Zugang zu Mitgefühl ermöglicht. Das hilft mir auch heute bei meiner Arbeit.

Wie war die Stimmung in dem MPST-Kurs?

Hojczyk: Am Anfang fand ich es fast lustig, weil alle erst einmal aus ihrer Komfortzone herausgeholt werden. Das Setting ist eben ganz anders als in unserem oft noch verschulten Unisystem: Man sitzt am Tisch, alle sind auf Anweisungen und Aufgaben angewiesen. Und dann kommt man in so einen Raum, in dem einem ganz andere Freiheiten gegeben werden.

Ich bin ins Schmunzeln gekommen, weil die Leute erstmal wieder ihre Autonomie annehmen mussten. Sie waren gefragt, auf sich selbst zu achten und zu verstehen: „Also ich muss jetzt nicht am Tisch sitzen und Achtsamkeit machen, sondern kann mich auch auf meine Yogamatte setzen.“ Gerade in den Online-Sessions, da kann man sich auch einen Tee holen und es sich angenehm gestalten. Und das war schön zu sehen.

Erst hatten viele noch Berührungsängste, vielleicht, weil Achtsamkeit und Meditation neue Themen sind. Und dann merkt man, wie alle immer mehr auftauten. Am Anfang gibt es zum Beispiel ein Ritual, bei dem man seine Stimmung in Form eines „Wetterberichtes“ mitteilt, ich fühle mich heute sonnig oder ich habe Gewitterwolken…  Zum Ende des Kurses werden die Leute differenzierter in der eigenen Wahrnehmung und man hört immer mehr Nuancen wie „ein leichter Hauch von…“ oder „Frühlingsblüten“.

Ich muss nicht nur machen, sondern ich darf auch mal sein und gucken, was gerade passiert.

Das holt einen raus aus dem Unialltag. Das war so schön, zwischen diesen ganzen Veranstaltungen, bei denen man von A nach B hetzt und versucht, sich mental auf das nächste Seminar einzustellen. Durch den Kurs bekommt man diese Pause und kann bemerken: „Ich muss nicht nur machen, sondern ich darf auch mal sein und gucken, was gerade passiert.

War der Kurs mitten im Studienalltag oder am Abend?

Hojczyk: Die Kurse sind zu ganz normalen Unizeiten, manche online, manche in Präsenz. In der Uni gibt es einen Raum, der anders gestaltet ist, das heißt die Stühle und Bänke sind an den Rand geschoben, es gibt Yogamatten und Sitzkissen.

Ich habe mehrere Kurse besucht, aber immer online und fand das total cool, weil ich zuhause quasi von meinem Schreibtisch auf die Yogamatte gewandert bin. Durch die Videos konnte man sehen, wo die anderen sind, mal saß jemand im Café, mal auf der Wiese oder in der Bibliothek.

Das ist das Schöne an Achtsamkeit, dass du sie mitnehmen kannst und nicht örtlich gebunden bist. Natürlich ist es schön, wenn es Menschen gibt, die einem den Raum schaffen, aber es ist ja eher ein innerer Raum, der geschaffen wird. Es ist eine andere innere Freiheit entstanden. Super schön.

Welche Herausforderungen gab es für Sie oder andere Studierende?

Hojczyk: Ich fand die Praxis am Anfang irre schwierig. Diese innere Ruhe zu finden, hat für mich wahnsinnig viel Übung gebraucht. Ich habe die Kurse über mehrere Semester gemacht, dadurch habe ich gut hineingefunden. Aber ich glaube, es ist im Unialltag schwierig, diese regelmäßige Praxis aufzubauen, weil man dafür sehr stark motiviert sein muss. Es geht manchmal einfach unter, weil man nicht die Kapazität dazu hat. Bei mir war das am Anfang auch so. Aber mit der Zeit habe ich eine formelle Praxis für mich integriert, also jeden Tag 20 Minuten meditiert.

Ich habe auch einen Kurs mitgemacht, der eigentlich für Medizinstudierende gedacht war. Sie sprachen nochmal über ganz andere Aspekte. Ich erinnere mich, dass der eine Teilnehmer gesagt hat, er habe dieses Mitgefühl mit den Patienten wieder für sich entdeckt, er könne sich wieder reinfühlen und ist nicht nur überlastet von diesen Gefühlen. Das fand ich total berührend.

Erinnern Sie sich an andere besondere Momente in einem Kurs?

Hojczyk: Ein totaler Aha-Moment war, als ich gemerkt habe, dass ich innerlich zur Ruhe kommen kann. Als ich bei der Atemmeditation auf meinen Atem achten sollte und merkte, wie die Gedanken immer wieder abschweifen, gab es irgendwann einen Punkt, wo ich gemerkt habe: ich komme zur Ruhe, meine Gedanken kommen zur Ruhe.

Berührend ist auch, wenn man merkt, dass selbst durch einen Computer eine persönliche Ebene entsteht und man mitfühlt und sich freut, wenn andere Leute coole Empfindungen haben.

Ich habe zu der Zeit mit fünf Leuten zusammen in einer WG gewohnt und habe die immer daran teilhaben lassen, was ich Neues aus den Kursen mitgenommen habe. Das war glaube ich für uns alle ein Erlebnis, weil wir uns darüber austauschen konnten und gemerkt haben: Hey, es tut uns allen gut, wenn wir uns abends nochmal hinsetzen und zusammen eine Runde Yoga machen oder einen Atemraum zusammen ausprobieren. Das hat uns einander nähergebracht.

Wie war es, für so einen Kurs einen Leistungsnachweis zu erbringen?

Hojczyk: Manche wollten den Kurs anerkannt haben und brauchten den Leistungsnachweis. Aber es gibt ja auch viele Studis, die den Kurs einfach so besuchen. Der Leistungsnachweis ergibt sich durch mehrere Komponenten. Zum einen ist es die Anwesenheit und das Mitmachen, das andere ist das Führen eines Meditationstagebuches oder eine Reflexion über die Achtsamkeitspraxis. Hier bestimmt man selbst, wie tief man geht und wie weit man sich persönlich öffnet. Ich finde, gerade bei dem MBST-Curriculum ist die Benotung wirklich sehr gut durchdacht und man kommt nicht in eine Bedrängnis, sodass man sich unwohl fühlt.

Das Schöne bei der Achtsamkeit ist ja, dass es ergebnisoffen ist. Also es gibt ja kein Ziel in dem Sinne.

Manchen fiel das Meditieren zuhause vielleicht nicht so leicht oder sie hatten Widerstände, wie wurde damit umgegangen?

Hojczyk: Es gibt Vorgespräche für diese Kurse und man wird gut aufgeklärt, was in diesem Kurs passiert. Die Bereitschaft des einzelnen, das einmal auszuprobieren, muss auf jeden Fall da sein. Aber das Schöne bei der Achtsamkeit ist ja, dass es ergebnisoffen ist. Also es gibt ja kein Ziel in dem Sinne.

Wie erklären Sie anderen Studierenden, was sie mit der Achtsamkeit erleben können?

Hojczyk: Meist spreche ich von einem Selbsterfahrungsraum – also bewusst zu erfahren, was passiert bei mir gerade, mich selbst besser wahrzunehmen und mir den Raum zu geben, mich selber besser kennenzulernen.

Wie wird Achtsamkeit in der Studierenden-Welt wahrgenommen?

Hojczyk: Ich glaube, bei den Studierenden gibt es ein breiteres Bewusstsein dafür als früher. Aber es gibt natürlich auch sehr viele Räume, wo das absolut kein Thema ist. Und ich merke jetzt auch gerade in der Arbeitswelt, es wird immer noch viel belächelt. Die Aufgabe ist es, dieses Feld wachsen zu lassen.

Es ist wichtig, dass Institutionen die Räume schaffen und sich einzelne Menschen dafür einsetzen. Das sieht man auch daran, dass immer mehr Studierende Achtsamkeits-Initiativen starten. Dozent*innen tun sich damit auch nicht unbedingt leicht, weil sie sich damit ja irgendwie einen Stempel aufdrücken und dann mit möglichen Anfeindungen leben müssen.

Von daher ist es angenehm, wenn die Studierenden einfach bottom up selbst die Initiative ergreifen. Und das passiert gerade.

Vielen Dank für das Gespräch!

Weitere Informationen

Hier kommen Sie zur privaten Plattform Achtsam.digital mit dem Online-Angebot für Studierende.

Die für Medizinstudierende und deren speziellen Herausforderungen konzipierte Variante des MSP – Mindful Student Program.

Bildquellen dieser Seite anzeigen

  • Achtsam studieren: Svet / istock