Edith-Stein-Schule

„Einmal stehenbleiben, anstatt immer noch schneller zu rennen“

Schulleiterin Doris Krumpholz treibt engagiert die Schulentwicklung der Edith-Stein-Schule in Darmstadt voran: 2023 richtet sie den „Tag der Achtsamkeit“ an ihrer Schule aus. Als praktizierende Christin gehört die achtsame Haltung für sie zum Glauben dazu.

PORTAL FÜR ACHTSAMKEIT IN DER PÄDAGOGIK

Das Gespräch führte Sarina Hassine

Wie haben Sie den „Tag der Achtsamkeit“ 2022 in Darmstadt erlebt?

Doris Krumpholz: Ich fand den Tag sehr schön! Ich habe hier für mich gemerkt, dass sich viele Elemente der Achtsamkeit auch in der christlichen Lebensgestaltung wiederfinden – die Exerzitien, die Kontemplation oder das meditative Beten. Alles Dinge, die wir Christen als wohltuend empfinden, uns aneignen und für die wir uns hin und wieder Zeit nehmen. Das hat ja alles ganz viel Achtsames.

Bei der Veranstaltung selbst habe ich die Praxisangebote genutzt und dadurch auch die ansässige Achtsamkeitslehrerin Christiane Kuhlmann kennengelernt. Aber auch die Vorträge wie den zur achtsamen Handy-Nutzung habe ich angehört. Dann hatte ich auch ein langes Gespräch mit der Lehrerin, die bei uns ein Pilotprojekt zu Achtsamkeit durchgeführt hat, was mich sehr inspiriert hat. Ich war auf der Veranstaltung zwar in meiner Funktion als Schulleiterin, aber auch für mich selbst. Ich muss gerade sehr darauf achten, dass ich selbst nicht zu kurz komme.

Wie kam es dazu, dass Ihre Schule in diesem Jahr den „Tag der Achtsamkeit“ ausrichtet?

Krumpholz: Die Idee, das im Jahr darauf hier in der Schule zu machen, war ganz schnell da. Für mich als Leiterin einer katholischen Schule ist das sehr stimmig, den Schüler*innen, Kolleg*innen und Mitarbeiter*innen, die sich dafür interessieren, Achtsamkeit zugänglich zu machen. Ich sehe es als eine Möglichkeit, bestimmte Dinge im Leben so gestalten zu können, dass sie einem wohl tun.

Ich erlebe immer mehr junge Menschen, die unter Druck stehen. Die Kinder spüren von allen Seiten Erwartungen.

Ich erlebe immer mehr junge Menschen, die so unter Druck stehen und sich miteinander vergleichen und messen. Es wird ja immer gesagt, der Druck käme von der Schule und da ist in gewisser Hinsicht etwas dran, denn wir haben hier ein hohes Leistungsniveau an der Schule. Aber die Erklärung ist viel zu kurz gegriffen.

Die Kinder spüren von allen Seiten Erwartungen. Gucken sich den ganzen Tag optimierte Menschen an, die ihren Reichtum posten, ihre tolle Umgebung, ihr perfektes Leben. Und sie glauben das. Ich möchte, dass sie lernen, zu sich zu finden, in sich zur Ruhe zu kommen oder wie man tief durchatmen und sich von den Bilder auf Instagram auch wieder distanzieren kann.

 

Schulleiterin Doris Krumpholz (li) richtet den Tag der Achtsamkeit an ihrer Schule aus, Achtsamkeitslehrerin Christiane Kuhlmann (re) wird eine Praxis-Übung anleiten.

 

Was fasziniert Sie persönlich am Thema Achtsamkeit?

Krumpholz: Ich sag es mal so, meine Faszination gilt meinem Glauben, aber für mich ist Achtsamkeit ein Element davon bzw. eine praktische Ausübung. Das ist mir wichtig. Ich weiß, es gibt Vorbehalte bei manchen katholischen und evangelischen Kolleg*innen. Aber viele verstehen es aus den Ritualen des Christentums auch als stimmig, so wie ich. Es gibt aber auch welche, die sehen das mehr im Bereich des Esoterischen angesiedelt. Dabei ist Achtsamkeit etwas ganz Natürliches, Biologisches.

Denn wir lernen mit der Achtsamkeit, unser autonomes Nervensystem zu beeinflussen. Oft genug läuft das aus dem Ruder. Panik-Attacken sind dafür ein gutes Beispiel, wenn das Nervensystem einfach anspringt, ohne dass eine akute Gefahr droht. Oder auch, wenn man eine grundsätzliche Unruhe in sich hat.

Diese achtsamen Atemtechniken, die bewusste Wahrnehmung unserer Gedanken oder Gefühlen, die Wahrnehmung unserer Umgebung, das kann uns dabei helfen, mit beiden Füßen auf dem Boden zu stehen. So lernen wir, dem, was da tagtäglich auf uns einstürmt, entgegenzutreten und dem Stand halten zu können.

Inzwischen laufen an Ihrer Schule bereits Achtsamkeitsinterventionen für Kinder bzw. Jugendliche. Was haben Sie in Ihrer Klasse beobachtet?

Krumpholz: Ich mache in meiner 10. Klasse in den ersten 10 Minuten einer Stunde immer Achtsamkeitsübungen. Die Kinder sind insgesamt sehr offen, reagieren aber naturgemäß sehr unterschiedlich. In der 10. Klasse hat man immer die, die ab und zu kichern, auch sind einzelne dabei, die nicht mitmachen wollen. Aber das ist hier an der Schule generell geregelt: wenn ich nicht mitmachen möchte, z.B. beim Morgengebet, dann habe ich so viel Respekt meinen Mitschüler*innen gegenüber, dass ich mich ruhig verhalte und sie nicht störe.

Ich habe da keinen missionarischen Eifer mit der Achtsamkeit.

Ich habe da auch keinen missionarischen Eifer mit der Achtsamkeit. Ich habe meinen Schüler*innen gesagt, dass wir das mal als eine Möglichkeit ausprobieren. Wir sprechen auch über verschiedene biologische und körperliche Dinge, wie man gut aufrecht steht oder wie man die Schulter entspannen kann.

Ein anderes Mal waren die Schüler*innen aufgeregt wegen einer Lernkontrolle in der nächsten Stunde. Ich bot ihnen an, eine Übung zu machen und bekam das Feedback, dass es ihnen sehr gut getan hat und sie die Ruhe mit in die Prüfung nehmen konnten. Das ist schon schön. Selbst wenn da nur eine*r  von 30 sagt, ich war ganz ruhig, ich konnte mich konzentrieren, ist das doch gut.

Wie gehen die Kolleg*innen mit dem Thema um?

Krumpholz: Für mich ist das ein Schulentwicklungsthema. Wir haben für die Schulentwicklung im letzten Jahr verschiedene Arbeitsgruppen gegründet – so auch eine zum Thema Achtsamkeit, mit sieben Kolleginnen und einem Kollegen. Wir haben uns erst einmal gegenseitig berichtet, welche Erfahrungen wir mit Achtsamkeit gemacht haben.

Eine Musiklehrerin findet beispielsweise sehr viele Aspekte der Achtsamkeit in ihrer Arbeit mit Stimme und Klang wieder, eine andere Kollegin hatte schon viele Kurse und Fortbildungen besucht, da sie das Thema persönlich interessiert. Und so haben wir das zusammengetragen, Pro und Kontra für die Implementierung in Schule gesammelt und auch einmal Impulse von einer Expertin bekommen.

Am pädagogischen Tag im März 2023 haben alle Arbeitsgruppen ihre Zwischenergebnisse vorgestellt. Es gab viele Überschneidungen zum Thema Achtsamkeit mit denen der anderen Gruppen, z.B. mit dem Thema seelische Gesundheit von Schüler*innen und Lehrer*innen oder mit dem Thema Jugend-Medienschutz. Ich schaue mir jetzt die Zwischenergebnisse an und plane die nächsten Prozess-Schritte. Die Erfahrung zeigt, um ein Kollegium mitnehmen zu können, braucht es vor allem Zeit. Zeit, dass sich Menschen immer wieder mit einer Idee auseinandersetzen können.

Um ein Kollegium mitnehmen zu können, braucht es vor allem Zeit.

Was würden Sie sich wünschen, das in dem Prozess herauskommt?

Krumpholz: Wenn ich mir was wünschen dürfte, würden wir einen Beschluss fassen, den alle begeistert feiern, dass wir in Klasse fünf, in Klasse sieben und in Klasse neun verbindlich ein halbes Jahr lang in der Klassenleitungsstunde am Anfang 10 Minuten Achtsamkeit machen. Punktuell könnte man in der Oberstufe vor dem Abitur noch Einheiten machen. Sodass die Kinder ein gewisses Repertoire haben, dass sie ein bisschen Übung haben. Aber das Leben ist ja kein Wunschkonzert.

Wo sehen Sie Hindernisse?

Krumpholz: Es gibt wie gesagt auch die Skeptiker. Manche betrauern, dass positive Dinge, die aus dem Glaubensleben entspringen, verweltlicht und unter einem anderen Label auf den Tisch gelegt werden. Eine Sache, die die Skeptiker auch kritisieren, ist, dass Achtsamkeit ein totaler Hype geworden ist. Und dann kam vor einigen Monaten aus der Politik noch der Vorschlag, die Überlastung der Lehrkräfte sei zu heilen, indem man ihnen Achtsamkeitsseminare angedeihen ließe. Das kommt hier nicht so gut an.

Ja, wir haben auch viel Entrüstung dazu mitbekommen bei den Pädagog*innen … Die Überlastung lässt sich wohl vor allem auf der strukturellen, und weniger auf der individuellen Ebene lösen.

Krumpholz: Was wir eigentlich brauchen, und zwar nicht für uns Lehrer*innen, sondern für die Kinder, sind mehr personelle Ressourcen: psychologisch, sozial-pädagogisch, mehr Lehrkräfte und kleinere Lerngruppen…

Eine Sache ist mir in diesem Zusammenhang aber noch wichtig zu erwähnen: Es gibt da dieses große Missverständnis, dass Achtsamkeit den Output und die Leistung erhöhen würde. Mir ist wichtig zu bemerken, dass es genau darum nicht geht. Sondern darum, bei sich zu sein, im Hier und Jetzt, einmal stehenzubleiben, anstatt immer noch schneller zu rennen.

Es gibt diese Instrumentalisierung sicherlich – vor allem in der Wirtschaft – , aber das ist gar nicht mein Interesse. Es ist eher anders herum. Wenn du achtsam bist, dann wirst du merken, dass eine Drei, Vier oder Fünf als Note gar nichts ändert an deinem Menschsein, an dem, was dich ausmacht. Das würde ich mir wünschen für die Kinder.

Welche Impulse erhoffen Sie sich durch diesen Veranstaltungstag?

Krumpholz: Meine Hoffnung ist, dass das Thema Achtsamkeit in der Bildung durch diesen Tag gut multipliziert wird in Richtung Schule. Außerdem wünschen wir uns, Schüler*innen der Oberstufe dazu bewegen zu können, sich da Anregungen zu holen. Man wird es sehen, wie viele Kolleg*innen sich beteiligen werden – weil Lehrkräfte ihr Wochenende aus gutem Grund ganz gerne außerhalb der Schule verbringen. Aber je häufiger es solche Veranstaltungen in Schule für Schule gibt, desto mehr findet das Thema auch Verbreitung. Ich habe Schulleiter*innen und Kolleg*innen eingeladen und habe viel positive Resonanz erfahren.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Praxistipps für den Weg zur achtsamen Schule

Bildquellen dieser Seite anzeigen

  • Innnenhof der Edith-Stein-Schule: Tina Baumgartner
  • Doris Krumpholz und Christiane Kuhlmann: Damaris Moog