Attachment Parenting Kongress

Expertentreff für bindungsorientierte Elternschaft

Der vierte Attachment Parenting-Kongress fand im Oktober 2022 in Hamburg statt. Hier trafen sich über 800 Teilnehmer*innen zum Lernen, Austauschen und Vernetzen. Mit dabei Expert*innen wie Dr. Herbert Renz-Polster, Nora Imlau und Inke Hummel.

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Nach vier Jahren hatte das Warten endlich ein Ende: Anfang Oktober 2022 fand der mittlerweile vierte Attachment Parenting Kongress in Hamburg wieder in Präsenz statt. Die Initiatorinnen des Kongresses sind Frauke Ludwig und Diana Schwarz, die 2014 den ersten Kongress organisierten – und 2022 leider ankündigten, dass es der vorerst letzte sei, wegen der vielen Arbeit.

Auf dem Kongress trafen sich Kursanbieter*innen, Hebammen, Ärzt*innen, Still- und Trageberater*innen, Eltern und Händler*innen aus dem Bereich Familie, um sich über das Thema Bindungsorientierte Elternschaft (Attachment Parenting) zu informieren, sich auszutauschen und zu vernetzen.

Was ist eigentlich Attachment Parenting?

Attachment Parenting hat seinen Ursprung in den 80er Jahren und wurde von dem amerikanischen Kinderarzt William Sears begründet. Er steht dabei für viel Körperkontakt, z.B. durch das Tragen der Babys, (langes) Stillen und gemeinsames Schlafen im Familienbett.

Bindungsorientierte Elternschaft bedeutet, die Bedürfnisse der Kleinsten ernst zu nehmen und zu befriedigen. Mittlerweile ist man sich einig, dass nicht nur die Bedürfnisse der Kinder wichtig sind, sondern Bedürfnisorientierung die gesamte Familie im Blick haben muss.

Baby im Tragetuch
Baby geborgen im Tragetuch

Wissen schafft Bindung

Mit der Einfach 20 Tage Challenge trugen Ludwig und Schwarz zusammen mit Nora Imlau und Dr. Herbert Renz-Polster (beide mit Vorträgen beim AP-Kongress 2022) vor fast zehn Jahren die Grundideen des Attachment Parenting in die Familien. Damals war das Pionierarbeit. Das Familienbett, Tragen und auch das Stillen über den 6. Lebensmonat hinaus waren noch nicht sehr verbreitet. Und wenn es gelebt wurde, dann eher versteckt, da es kein gesellschaftliches Ansehen bekam. Es herrschte der Glaube vor, dass Kinder nicht zu sehr verwöhnt werden dürften.

Mittlerweile gibt es zahlreiche Anbieter und Kurskonzepte, wie z.B. Einfach Eltern, Thekla oder Artgerecht , die im Kern alle eins gemeinsam haben: Familien zu unterstützen, in den ersten Lebensjahren eine starke, gute Bindung zu knüpfen, die sie sicher durchs weitere Leben trägt.

Die vielen umfangreich ausgebildeten, geprüften und ständig durch Expert*innen fortgebildeten Kursleiter*innen und Berater*innen sind im ganzen Land tätig. Einige der Expert*innen wie z.B. Tatje Bartig-Prang (Expertin für Baby geleitete Beikost und Picky Eating) oder Lucia Kremer (Kinderkrankenschwester und Expertin für Formula-Nahrung) trafen die Kursleiter*innen persönlich auf dem Kongress auf der Bühne oder auch im Publikum.

Zeit und Raum zum Netzwerken

Der Attachment Parenting Kongress ist eine Plattform für Austausch und Wissensvertiefung. In diesem Jahr stand insbesondere das Netzwerken im Vordergrund. Zahlreiche Besucher*innen hatten in den Pandemie Monaten zuvor online Kontakte geknüpft. 2022 war wie ein riesiges Klassentreffen mit Menschen, die sich gefühlt schon lange kannten und endlich das erste Mal wirklich sehen konnten und solchen, die hier einen Ort hatten, sich wiederzusehen. Die über 800 Anwesenden kamen aus allen Teilen Deutschlands und darüber hinaus.

Die Kongressatmosphäre fühlte sich wohlig an. Das Hamburger 5-Sterne-Hotel bot den nötigen Komfort und „Glamour“. Bereits beim Attachment Parenting Kongress 2018 betonte Frauke Ludwig in der Eröffnungsrede, dass die Auswahl des Veranstaltungsortes kein Zufall sei.

Die wichtige Arbeit der Hebammen, Mediziner*innen, Pädagog*innen, Psycholog*innen und Familienbegleiter*innen solle in einem festlichen Rahmen honoriert werden. Ein vegan-vegetarisches Buffet, Köstlichkeiten zu den Kaffeepausen und eine Kinderbetreuung rundeten das wertschätzende Ambiente ab.

Attachment Parenting Kongress für zuhause

Als Besucher*in hatte man bereits bei der Kongress-Buchung die Qual der Wahl, welchen der drei gleichzeitig stattfindenden etwa eineinhalbstündigen Vorträge man besuchen möchte. Ein Glück, dass viele aufgezeichnet wurden und allen Besucher*innen bereits zum Anschauen zur Verfügung stehen. Die Aufzeichnungen vieler Redner*innen, wie z.B. vom langjährigen Mitglied des Vereins Bindungs(t)räume Inke Hummel („Mein wunderbares schüchternes Kind“) und Kathy Weber (Gewaltfreie Kommunikation) stehen auch für alle, die nicht die Gelegenheit hatten live vor Ort zu sein, zur Verfügung.

Spannende Vorträge

Den Auftakt am Samstag im großen Ballsaal machte Dr. Herbert Renz-Polster, der mit seinem Thema „Erziehung, Werte und Gesinnung: warum die Kindheit ein „Gesellschaftsthema“ ist“ (1) direkt klar machte, welche positiven Auswirkungen Beziehungs- und Bindungsorientierung im Vergleich zu einer eher autoritären Erziehung haben. Der bekannte Kinderarzt und Autor klärt mit seinen Erziehungsratgebern und auf seinem Blog Kinder verstehen fundiert und ausführlich über kindliche Entwicklung auf und bezieht klar Stellung. Dafür erntete er im Grand Elysée Standing Ovations.

Christiane Patjens referierte mit Herzblut darüber „wie frühe Verletzungen unsere späteren Bindungen und Partnerschaften beeinträchtigen“. Sie verdeutlichte, was anhand der Stimmung im Saal viele nachempfinden konnten, dass in der Kindheit geprägte Bindungsmuster später zu automatisierten Verhaltensmustern führen. Diese aufzubrechen sei eine langwierige, aber nicht unmögliche Aufgabe, so Patjens.

Premiere beim Attachment Parenting Kongress

Dass die Organisatorinnen wegen Krankheit ausfallende Redner*innen teils auch sehr spontan durch neue ersetzen mussten, verursachte zwar hinter den Kulissen kurzzeitig Stress, doch durch das gute Netzwerk von Ludwig und Schwarz gab es schnelle, gute Lösungen. So sagte Stillspezialistin und Logopädin Lina Mazzoni nur drei Tage vorher zu, für Regine Gresens (Stillberaterin IBCLC) einzuspringen.

Anstelle von Katja Seide, die schon beim Kongress 2018 den großen Saal füllte, gab Danielle Graf ihre Bühnenpremiere zum Thema ihres dritten Spiegel-Bestsellers „Geschwisterliebe – Geschwisterhass“. Das Autorinnen-Duo Graf/Seide schreibt seit beinahe zehn Jahren unter dem Titel „Das gewünschteste Wunschkind treibt mich in den Wahnsinn“ ausführliche Blogartikel und publizierte neben drei Ratgebern mittlerweile außerdem eine Bilderbuchreihe für Kleinkinder. Ihr Podcast hat bereits 100 Folgen.

Rahmenprogramm

Zwischen den insgesamt 24 Vorträgen haben über 50 Unternehmen ihre Produkte oder Dienstleistungen auf der Kongressmesse präsentiert. Hierunter viele Stände von Trageherstellern, da das Tragen von Kindern nach wie vor eines der größten Herzensanliegen von Frauke Ludwig und Diana Schwarz ist. Bei einem sehr praxisorientierten Vortrag am Sonntag Nachmittag vermittelten die Veranstalter*innen die wichtigsten „Tragehacks“ an Hebammen und weitere Interessierte.

Kein Abschied für immer

In den letzten Stunden des Kongresses rauchten die Köpfe. Neueste Erkenntnisse aus der Bindungs-, Entwicklungs- und Hirnforschung sowie die Eindrücke der zwei Tage mussten verarbeitet werden. Zur Abschiedsrede von Diana Schwarz und Frauke Ludwig war der Saal trotzdem voll. Standing Ovations sorgen für Tränen bei Frauke Ludwig, die kurz darauf dem jubelnden Publikum verriet: „Wir werden es wieder machen!“

Elena Schwarzer

 

(1) zum Programm des Kongresses mit den Titeln aller Vorträge

Hier kommen Sie zur Internetseite des Kongresses.

Hier können Sie die Vorträge nachhören.

Hier kommen Sie zur Facebook-Präsenz mit vielen Fotos vom Kongress.

Elena Schwarzer ist seit 2016 unter dem Namen Wickelakrack selbstständig als Familienbegleiterin in Oldenburg tätig. Die Stoffwindel- und Trageberaterin berät Familien sowohl vor Ort als auch online. Sie bietet außerdem Workshops und Kurse an, um Eltern bei Fragen zu Bindung und der Entwicklung ihrer Kinder zu unterstützen.

 

Bildquellen dieser Seite anzeigen

  • Attachment Parenting Kongress: Schwarz / Ludwig GBR
  • Baby im Tragetuch: Zauberbart / photocase.de