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Familientreffen: Das ultimative Übungsfeld für die Achtsamkeitspraxis

„Driving home for christmas“ ist nicht für jeden eine Freude. Lesen Sie hier, wie uns Achtsamkeit und Mitgefühl dabei helfen, beim Familien-Weihnachtsessen nicht in Stress zu geraten.

PORTAL FÜR ACHTSAMKEIT IN DER PÄDAGOGIK

Kennen Sie den Spruch „Wenn Sie denken Sie seien erleuchtet, verbringen Sie eine Woche mit Ihrer Familie“? Er passt wirklich gut zur Weihnachtszeit. Einer Zeit, in der traditionell Familien und Verwandtschaft zusammenkommen zum Weihnachtsfestsessen, zu ausgedehnten Treffen über mehrere Tage oder einfach zum Spazierengehen.

So wunderbar das sein kann, für manch einen kann das auch eine echt anstrengende Zeit sein. Dafür gibt es verschiedene Gründe, z. B. weil alte Konflikte wieder hoch kommen, schmerzvolle emotionale Muster sich zeigen, man auf Menschen trifft, die einen immer wieder kritisieren oder einem einfach auf die Nerven gehen. Familientreffen sind bei vielen mit starken Emotionen verbunden.

Viele Leute auf einem Haufen veranstalten ohnehin oft ein stressiges Chaos: Wir kommen aus unserer täglichen Routine und verlieren das gewohnte Kontrollgefühl. Das Planen und Vorbereiten der Feiern verursacht zusätzlichen Stress. Und einige fragen sich jedes Jahr aufs Neue, ob sie sich das überhaupt antun sollten.

Wie kann man seine Familie treffen und dabei positiv gestimmt bleiben und seine Energie behalten?

Es mag so scheinen, als ob der beste Übungsraum für Achtsamkeit ein friedlicher Zen-Tempel ist und in einigen Punkten stimmt das sicher. Aber das Üben auf dem Meditationskissen ist eben nicht das gleiche wie inmitten eines verrückten Familientreffens zu sein. So ein Zusammenkommen bringt unsere Praxis auf ein ganz anderes Level.

Achtsamkeit praktizieren – beim Familientreffen

Hier finden Sie eine Reihe von Möglichkeiten wie Sie Achtsamkeit, Mitgefühl und Selbstfürsorge üben können, wenn z. B. einer Ihrer Verwandten wieder einmal eine seiner langweiligen Geschichten erzählt oder eine Verwandte wie immer an allem herummäkelt. (Wir haben hier ausnahmsweise in der persönlicheren Du-Form formuliert):

Komm in Kontakt mit deinem Körper und deinem Atem: Mittendrin, während die Dinge gerade geschehen, kannst Du dir ein paar Sekunden nehmen und deine Aufmerksamkeit auf deine Körperhaltung lenken. Wie fühlt sich dein Körper an? Sitzt Du vielleicht schon zu lange usw. Dann folge deinem Atem ein paar Mal: einatmen, ausatmen. Diese zentrierende Praxis bringt dich zurück in das Hier und Jetzt.

Beobachte deine Gedanken: Werde zum Beobachter und schau, wie deine Gedanken aus ihrem kleinen Versteck in deinem Kopf auftauchen. Hast Du diesen Gedanken gerade erwartet? Kannst Du den nächsten schon voraussehen? Welche Gedanken kommen dir in den Sinn? Sind diese Gedanken Du oder einfach Dinge, die auftauchen und auch wieder verschwinden?

Gib die Kontrolle auf und lass los. Stress kommt oft daher, dass wir kontrollieren wollen, wie die Dinge laufen. Entweder glauben wir, wir haben die Kontrolle oder wir wollen sie einfach nur. Praktiziere hier das Loslassen und lass die Dinge geschehen. Gehe nicht in den Widerstand zu dem, was passiert. Nimm alles an und sei damit. Praktiziere, glücklich zu sein, egal was passiert.

Sorge für dich: Oft sind wir sehr kritisch mit uns selbst, haben hohe Ansprüche und Erwartungen daran, wie wir selbst sein sollten. Du bist ok, so wie Du bist. Und wenn Du achtsam wahrgenommen hast, was ist und es so sein lassen kannst, dann kümmere und sorge auch dafür, dass es dir gut geht. Schau, was Du gerade brauchst, damit Du ausgeglichen und in Frieden sein kannst.

Bemerke deine Selbst-Fixierung: Wenn Menschen uns frustrieren oder irritieren, geschieht das häufig, weil wir darauf konzentriert sind, was wir wollen, was wir denken wie wir behandelt werden sollten, wie wir wollen, dass sich die anderen verhalten, wie die Welt an sich sein sollte. Es ist wichtig, das zu bemerken, wenn Gefühle aufkommen. Bemerke, wenn Du dich manchmal nur auf dich und dein Wollen konzentrierst.

Frage dich: Was braucht diese Person? Anstatt darüber nachzudenken, was Du willst, kannst du für einen Moment die Perspektive wechseln. Schau, wie dir das helfen kann. Versetz dich in die Lage des anderen. Fühl seinen Schmerz oder sieh sein Bedürfnis, ohne es zu beurteilen.

Höre einfach zu: Manchmal brauchen Menschen es einfach, dass Du ihnen zuhörst. Das ist etwas, dass wir oft nicht mit 100%iger Aufmerksamkeit machen. Praktiziere das Zuhören, ohne zu urteilen, ohne darüber nachzudenken, was Du als nächstes sagst. Fühle mit der Person, stell dir vor, wie es ist, sie zu sein, fühle was sie zu kommunizieren versucht.

Mach eine Aufgabe zu deinem Universum: Wenn Du Kaffee kochst, mach diese Handlung und diesen Moment zu deinem Ein und Alles, zum ganzen Universum. Als wäre da nichts anderes als das. Dann tu das, wenn Du mit jemandem sprichst. Wenn Du eine Frucht isst. Wenn Du die Treppen hinaufgehst. Wenn Du deine*n Liebste*n küsst, deine Verwandten umarmst.

Übe Wertschätzung und Dankbarkeit: Dinge sind stressig, weil wir uns wünschen, sie wären anders. Aber die Dinge sind schon ziemlich bemerkenswert, so wie sie sind. Wir müssen nur unsere Aufmerksamkeit darauf lenken. Dann sehen wir besser, „was da noch ist“. Wir können in viel mehr Schönheit sehen und sie wertschätzen. Das kannst Du die ganze Zeit praktizieren.

Sarina Hassine

Text inspiriert von Leo Babauta

 

Unsere Autorin Mona Kino hat zu dem Thema 2022 ein Interview in der Berliner Zeitung gegeben.

„Kurz vor Weihnachten ist die Praxis voll“
Die Familientherapeutin und Autorin Mona Kino über klassische Streitfallen, die ideale Weihnachtsbesuchsdauer und die Illusion, es allen recht machen zu können.

Hier lesen Sie das Interview.

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