Martina Schmidt Die kleine Pause

Für mehr Pausen im Schulalltag

Das System Schule gibt wenig Raum für Erholung, dabei sind Pausen so wichtig für Lehrer*innen. Martina Schmidt verrät, wie man sich auf den Weg zu einer pausenfreundlichen Schule machen kann.

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Das Gespräch führte Maria Köpf

Frau Schmidt, das Thema „pausenfreundliche Schule“ treibt Sie um. Warum?

Martina Schmidt: Ich war 25 Jahre als Grundschullehrerin tätig. Seit 10 Jahren bin ich in der Lehrkräfteausbildung, seit fünf Jahren im Bereich Lehrkräftefortbildung. Dort treffe ich regelmäßig auf Kolleg*innen, die sehr erschöpft sind. Ich hatte selbst vor vielen Jahren ein Burnout und dachte zuerst, dass es  nur mein Problem ist.

Im Laufe der Zeit habe ich durch viele Rückmeldungen an unterschiedlichen Schulen bemerkt: Es ist überall so, dass der Ausnahmezustand herrscht. Nachdem ich mich aus dem Burnout „aufgerappelt“ hatte, festigte sich in mir der Wunsch, andere Menschen zu unterstützen. Meiner Erfahrung nach reicht es nicht aus, den Einzelnen zu stärken. Man braucht auch noch einen systemischen Blick.

Es wäre immens wichtig, jedem*r Lehrer*in ein Coaching für Persönlichkeitsbildung anzubieten. Meine Idee von der „pausenfreundlichen Schule“ geht noch ein wenig darüber hinaus. Glücklicherweise gibt es in Deutschland bereits Schulen, die sich in Richtung einer pausen- und somit Lehrer*innenfreundlichen Schule auf den Weg gemacht haben.

Klar fühle ich mich immer so fertig. Ich baue ja auch keine Pausen ein.

Dann fokussiert sich Ihre Definition einer „pausenfreundlichen Schule“ also auf die Lehrer*innen?

Schmidt: Ja, ich sehe Schule als Lebens-, Wohlfühl- und Rückzugsraum. Für Schüler*innen haben wir das gut im Blick – für sie gibt es Bewegungspausen, Rückzugsräume, gesundes Frühstück und vieles mehr. Für Lehrkräfte gibt es auch solche Konzepte – aber sie werden noch viel zu wenig umgesetzt!

Die richtige Haltung wäre, dass nicht nur Lernen seinen Wert hat, sondern auch Pausen, Erholung und Rückzug. Denn nur wer sich gut fühlt, kann auch gut unterrichten. Der Erkenntnis müssen dann auch klare Strukturen und Räume für Lehrkräfte folgen. Manchmal sagt mir eine Lehrkraft: „Klar fühle ich mich immer so fertig. Ich baue ja auch keine Pausen ein.“ Dann bestärke ich die Person, sich diese Pausen zu nehmen.

Dabei ist es schwierig, eine Pause zu machen, wenn andere sie mir nicht gönnen: Ich kann eben nicht in aller Ruhe mein Brot essen, wenn es im Lehrerzimmer wuselt und mich Kolleg*innen schräg anschauen, weil ich angeblich nicht sehe, was es im Lehrerzimmer alles zu tun gibt.

80 Prozent der Lehrkräfte belastet die Anforderung als Pausenaufsicht.

Warum reicht es nicht, sich vor oder nach der Schule zu entspannen?

Schmidt: Unser Körper benötigt rein physiologisch alle 70 bis 80 Minuten eine Pause. Da fährt alles runter und wir brauchen 25 Minuten Erholung. Aus Studien ist bekannt, dass die Herzfrequenz von Lehrer*innen im Vergleich zu anderen Berufsgruppen relativ hoch ist. Nur in Stillarbeitsphasen sinkt der Lärmpegel in Klassen auf einen ruhigen Schwellenwert.

Außerdem erfordern Unterrichtsstunden eine hohe Entscheidungsdichte. Bis zu 200 Entscheidungen pro Unterrichtsstunde! Auch das ständige Umgebensein von Menschen spielt eine Rolle. Es ist eng, laut, unvorhersehbar, durchgetaktet und man steht permanent im Rampenlicht. Das kostet natürlich Kraft. Doch in der Pause geht es oft weiter. Schüler*innen oder Kolleg*innen kommen mit Anliegen auf einen zu.

80 Prozent der Lehrkräfte belastet die Anforderung als Pausenaufsicht, Gespräche außerhalb des Unterrichts zu führen, Entscheidungen zu treffen und Regeln durchzusetzen. Die WHO sagt, Stress ist die Gesundheitsgefahr Nummer eins. Dazu kommt, dass man unter Stress keinen aufmerksamen Blick mehr für seine Schüler*innen hat.

Gibt es ein Beispiel von Lehrer*innen, die besonders von Ihren Anregungen, Podcasts und Kursen profitiert haben?

Schmidt: Da gibt es viele Beispiele. Bei den Workshops zum Thema „Wie passt die Pause in den Schultag“ machen wir zunächst eine Bestandsaufnahme und da entstehen sehr viele Anregungen. Oft bilden sich Buddy-Teams von Kolleg*innen, die sich gegenseitig an die Pause erinnern, sich gegenseitig Schulbrote schmieren, sich Erinnerungsschildchen an den Kopierer anbringen und den Kolleg*innen „einen Ruhetisch“ im Lehrer*innenzimmer organisieren.

Das Lustigste, was ich bislang erlebt habe, war eine Kloliste, die sich die Teilnehmenden erstellt haben. Mit dem Eintrag sagt man: „Ich bin auf Klo gegangen, habe ausreichend getrunken und habe ausreichend gegessen.“ Daran hatte dieses Team unheimlich viel Spaß. Obwohl sich das banal anhört, hat das eine Möglichkeit geschaffen, über Bedürfnisse zu sprechen.

Bluthochdruck, Herzrasen, Tinnitus, Schlaf- und Verdauungsprobleme sehr verbreitet.

Gibt es Menschen, die besonders unter einer pausen-unfreundlichen Schule leiden?

Schmidt: Vor allem diejenigen, die starke innere Antreiber haben wie „Mach es allen Recht“ oder „Mach es perfekt“. Letztlich leidet jede*r darunter. Gerade hochsensible Menschen, die aus Forschungen bekanntermaßen besonders im Lehrer*innenberuf zu finden sind. Sie bleiben eher im Klassenraum oder Lehrer*innenzimmer, wenn jemand Bedarf signalisiert. Zack klingelt es schon wieder und dann ist ihre Pause vorüber.

Von Kolleg*innen aus Schulungen, Coachings und Workshops weiß ich, dass Bluthochdruck, Herzrasen, Tinnitus, Schlaf- und Verdauungsprobleme sehr verbreitet sind. Bei Workshops erhalte ich oft verdutztes Kopfschütteln zur Antwort, wenn ich nach Pausen frage. Das akzeptieren wir, obwohl wir eigentlich Raubbau an unserem Körper betreiben! Da bin ich aufgestanden und meinte: Diese Selbstverständlichkeit, dass Schule und Pause nicht zusammenpassen, das muss doch anders gehen.

Welche Rahmenbedingungen müssen sich ändern?

Schmidt: Ganz wichtig ist an der Stelle die Schulleitung. Es gibt Leitungskräfte, die den Standpunkt vertreten, dass Kolleg*innen auch in der Pausenzeiten für Besprechungen zur Verfügung stehen müssen. Eine Lehrerin hat mir einmal gestanden, dass sie zwar auf ihren Körper hört, doch ihre Schulleitung sie in der Pause extrem fordert. „Wenn ich eine Pause möchte, dann verstecke ich mich in der Bibliothek.“

Schwierig sind auch Schulen mit Filialschulen (Teilstandorten), die erfordern, dass man in seiner Pause schnell zur angebundenen Schule fahren muss. Auch gibt es Schulen, an denen es nur eine Toilette für das gesamte Kollegium gibt, die für einige dann am anderen Ende der Schule liegt. Kleine Schulen sind ebenfalls oft kritische Fälle, denn wenn das Kollegium klein ist, sind häufige Pausenaufsichten der Standard.

Wir sind durch den Schulalltag so sehr in Aufruhr, dass wir unseren Körper gar nicht mehr spüren.

Was würden Sie Lehrer*innen empfehlen, wenn sie akute Kopfschmerzen oder Harndrang verspüren?

Schmidt: Aufsichtstechnisch darf man die Klasse nicht allein lassen, aber man kann kurz die Nachbarkolleg*in fragen, ob sie einen Blick auf die Klasse wirft. Oder man sucht sich eine Art „Buddy“ unter den Kolleg*innen, um gemeinsam darauf zu achten, sich selbst genügend Pausen zu nehmen. Wir sind durch den Schulalltag so sehr in Aufruhr, dass wir unseren Körper gar nicht mehr spüren.

Der sendet uns die ganze Zeit über Signale wie „Ich habe Hunger, ich habe Durst, ich möchte auf die Toilette gehen“. Aber entweder hören wir sie nicht, weil es zu laut und zu hektisch ist oder wir unterdrücken und vergessen die Bedürfnisse. Das lässt sich aber ändern. In meinen Coachings und Workshops für Schulen vermittele ich Techniken, wie man sich in kürzester Zeit entspannen kann.

Ich danke Ihnen herzlich für das Gespräch!

 

Die kleine Pause Martina Schmidt

Martina Schmidt ist Coach und Resilienztrainerin. Die Ex-Lehrerin unterstützt Lehrkräfte dabei, den Druck aus ihrem Schulalltag herauszunehmen. Damit sie gesund bleiben und mehr Energie haben für die Dinge, die ihnen am Herzen liegen.

Hier finden Sie den Blog von Martina Schmidt mit 10 Tipps für eine pausenfreundliche Schule. Wenn Sie die Tripps lieber hören möchten, dann können Sie sie in ihrem Podcast die kleine Pause nachhören.

Hier kommen Sie zum Workshop-Angebot von Martina Schmidt. Mit vielen praxiserprobten und einfachen Übungen zur Stressbalance und konkrete Anregungen für Schulteams, die eine neue Pausenkultur entwickeln möchten.

 

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