Dominik Weghaupt

„In der Achtsamkeitsstunde begegnet man sich als Mensch“

Erfahrungsbericht von Dominik Weghaupt, Lehrer, MBSR-Lehrer

Dominik Weghaupt ist Lehrer in Österreich und vermittelt Achtsamkeit und Mitgefühl an seine Schüler*innen – in einem für sie freiwilligen Rahmen. 2022 hat er die AVE- Weiterbildung zum Referenten für achtsamkeitsbasierte Lehrer*innenbildung abgeschlossen.

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Das Gespräch führte Tina Schneeberger

Frage: Sie sind Lehrer für Sport sowie Philosophie und Psychologie. Seit 2015 Junterrichten Sie die unverbindliche Übung* „AUMIDS – Achtsamkeit und Meditation in der Schule“ – wie ist es dazu gekommen?

Dominik Weghaupt: Ich hatte für mich selbst bereits während des Studiums meditiert und immer wieder auch mit Blick auf die Schule darüber nachgedacht. Während meines ersten Jahres in der Schule, habe ich an der Universität Wien aus Interesse die Lehrveranstaltung „Pädagogik der Achtsamkeit“ besucht.

Hier habe ich die Bestärkung gefunden, meinem damaligen Schulleiter mein Konzept für eine unverbindliche Übung von Achtsamkeit anzubieten. Mein Schulleiter hörte sich alles an und sagte: „Ja, machen Sie das so!“ Ich bin ihm für das Vertrauen, das er mir entgegenbrachte, sehr dankbar.

Wenn Sie Kolleg*innen einen Tipp geben würden, wie sie es angehen könnten, welcher wäre das?

Weghaupt: Der Einstieg über eine unverbindliche Übung hat sich bewährt, das erzählen mir auch andere Kolleg*innen. Die Möglichkeit, außerhalb des Regelunterrichts in einer eigenen Stunde mit freiwillig angemeldeten Schüler*innen die ersten Schritte zu gehen, hat mir sehr geholfen. Ich kann mich erinnern, dass ich durch die zeitliche Freiheit und die Freiwilligkeit der Schüler*innen viel ausprobieren konnte.

Wie schaffen Sie es, das Interesse der Schüler*innen zu wecken? Was funktioniert gut und was sollte man eher vermeiden?

Weghaupt: In den letzten Jahren habe ich es über unterschiedliche Wege versucht. Zum einen habe ich in Supplierstunden** die unverbindliche Übung vorgestellt. Zum anderen habe ich gerade in den Zeiten, in denen wir auf die digitalen Lernplattformen angewiesen waren, die Möglichkeit entdeckt, die Schüler*innen über diesen gemeinsamen Kanal zu erreichen. Es gibt mittlerweile tolle Erklärvideos zu Achtsamkeit.

Schüler*innen erreicht man über für sie relevante Themen.

Inhaltlich habe ich versucht, die Schüler*innen über für sie relevante Themen zu erreichen. Ich habe sie auf den Umgang mit Drucksituationen, Schulstress und Nervosität angesprochen und auf Ruhe, Entspannung und Konzentration verwiesen.

Insgesamt ist die Rolle, dass man für sein „Fach“ werben muss, doch eine außergewöhnliche. Im Regelunterricht sind deine Schüler*innen einfach da. Im Rückblick auf die Jahre gibt es aus meiner Sicht einen wesentlichen Faktor, der zur Anmeldung der Schüler*innen beigetragen hat: Wenn Schüler*innen mich aus einem anderen Unterricht kannten, dann haben sie sich eher angemeldet. Somit ist es mitunter die Schüler*innen-Lehrer*innenbeziehung, die wesentlich zu einer Teilnahme der Schüler*innen beiträgt.

Sie haben im vergangenen Schuljahr im Rahmen eines Projektes mit fünf Klassen, also die komplette 9. Schulstufe, Achtsamkeitstraining gemacht. Es war eine Pflichtveranstaltung. Was waren Ihre Erfahrungen mit diesem Konzept im Vergleich zu dem freiwilligen Angebot?

Weghaupt:  Innerhalb eines Schulsemester gab es neun Einheiten pro Klasse. Die Stundenthemen waren: Das Phänomen Aufmerksamkeit, Mind Wandering, Körpergewahrsein, Gedanken – Kopfkino, Atlas der Emotionen, Umgang mit Druck und Stress, Ressourcen, Wohlbefinden und Interdependenz.

Die Erfahrungen waren von Klasse zu Klasse sehr unterschiedlichen. Einige Klassen habe ich wohl bis zur letzten Einheit nicht wirklich erreicht. Wenn ein Großteil einer Klasse keinen Sinn darin sieht bzw. sich nicht darauf einlassen will oder kann, dann wird es ab einem gewissen Punkt sehr herausfordernd. Da hatte ich dann das Gefühl ins Leere zu sprechen.

Wir müssen hinterfragen, warum haben die Schüler*innen die Übungen nicht gemacht?

Die Erfahrungen haben mich doch etwas daran zweifeln lassen, ob eine Pflichtveranstaltung der richtige Weg ist. Als dann im Sommer 2022 die doch etwas ernüchternden Ergebnisse der MYRIAD-Studie (das bislang größte Forschungsprojekt zu Achtsamkeit in der Schule) publiziert wurden, habe ich bei mir selbst eine gewisse Erleichterung wahrgenommen.

Auch in diesem Projekt haben die Forscher*innen festgestellt, dass ein Großteil der Schüler*innen die Achtsamkeitsübungen nicht mitgemacht und schon gar nicht selbstständig gemacht haben. Auch hier gelang es den Achtsamkeitslehrer*innen nicht immer, die Schüler*innen zu erreichen bzw. zu begeistern.

Darüber gilt es in Zukunft nachzudenken und es zu hinterfragen: Warum haben die Schüler*innen die Übungen nicht gemacht? Für mich drängt sich dabei die Frage auf, inwieweit dieses Nicht-Üben an Achtsamkeit gebunden ist oder ob dieses Nicht-Üben auf ein viel fundamentaleres Problem von Schule hinweist. Ich habe die Vermutung, dass die Bereitschaft, etwas zu üben, insgesamt sinkt.

Nach sieben Jahren Erfahrung mit Achtsamkeit im Kontext Schule gab es sicher auch Hindernisse und Fehlentscheidungen? Was waren Stolpersteine auf Ihrem Weg?

Weghaupt: Ein Stolperstein, der mir einfällt, wäre die Namensänderung, die ich nach den ersten drei Jahren gemacht habe. Die unverbindliche Übung hat ursprünglich „Mental fit in der Schule“ geheißen. Dann habe ich durch die intensiver Beschäftigung mit dem Konzept Achtsamkeit im Rahmen meiner Dissertation und durch die Weiterentwicklung meiner persönlichen Achtsamkeitspraxis gemerkt, dass die Reduzierung auf den gesundheitspsychologischen Aspekt sich mit meiner Vorstellung spießt.

Der Begriff Mitgefühl war für die Schüler*innen schwer zu fassen.

Aus diesem Grund habe ich es dann „Achtsamkeit und Mitgefühl in der Schule – AuMidS“ genannt. Interessanterweise sind danach die Anmeldungen etwas zurückgegangen. Aus einem Gespräch mit einer Teilnehmerin habe ich dann erfahren, dass die meisten Schüler*innen sich darunter wohl nichts vorstellen können.

Insbesondere der Begriff Mitgefühl war für die Schüler*innen scheinbar schwer zu fassen. Durch den Hinweis einer Schülerin habe ich danach den Namen noch einmal in „Achtsamkeit und Meditation in der Schule“ geändert. Über das Wort Meditation haben scheinbar wieder mehr Schüler*innen einen Anknüpfungspunkt gefunden. In diesem Schuljahr gibt es wieder eine sehr motivierte Gruppe, die sich wöchentlich zum gemeinsamen Üben mit mir trifft.

Bestimmt gab es auch den einen oder andere lustigen Moment –  ist Ihnen da etwas Bestimmtes in Erinnerung?

Weghaupt: Ich kann mich erinnern, dass eine Schülerin im Rahmen eines Workshops für Lehrer*innen ihre Erfahrungen aus der unverbindlichen Übung teilte. Dabei erzählte sie, dass die Stimmung in diesen Stunden sehr locker ist und wir viel plaudern. Aber wenn der Herr Professor seine Brille abnimmt, dann wissen wir Bescheid, es geht los. Das habe ich irgendwie lustig gefunden.

Diese Erzählung zeigt mir auch, wie sehr Schüler*innen das Verhalten der Lehrperson mit einer Erinnerung zu einer erlebten Erfahrungen aus dem Unterricht verbinden. Das Verhalten, dass die Schüler*innen an mir wahrnehmen, prägt sie wahrscheinlich mindestens genau so wie die Inhalte, die ich zu vermitteln versuche. Der Einfluss, den wir mit all dem haben, was wir in den Unterricht mitbringen, z.B. Stimmung, Vorannahmen, Routinen usw., ist uns häufig nicht bewusst.

Es geht darum einen sicheren Raum zu halten, in dem die Schüler*innen sich auf die Übungen einlassen können.

Inwiefern hat Sie das Lehren von Achtsamkeit an Ihrer Schule als Mensch bzw. als Lehrer verändert?

Weghaupt: Ich kenne das Unterrichten nur mit meiner regelmäßigen Achtsamkeitspraxis, da ich bereits während des Studiums damit begonnen hatte. Diese persönliche Praxis hat mich wohl am stärksten geprägt. Das Unterrichten von Achtsamkeit ist doch eine sehr spezielle Art des Unterrichtens. Es geht in diesen Stunden nicht darum, etwas zu wissen oder besser zu wissen.

Es geht vielmehr darum einen sicheren und vertrauten Raum zu halten, in dem die Schüler*innen sich auf die Übungen einlassen können und danach ihre erlebten Erfahrung austauschen können. Als Lehrer begegnet man den Schüler*innen dabei sehr stark als Mensch. Diese Hierarchie zwischen dem Lehrer, der alles weiß und bestimmt und den Schüler*innen, die nichts wissen und den Anweisungen folgen müssen, löste sich im Laufe des Schuljahres in den Stunden der unverbindlichen Übung mehr und mehr auf.

Mich hat das im Regelunterricht insoweit verändert, als dass ich bemerke, dass ich hier hin und wieder in einen Widerspruch gerate. Ich bin derjenige der Leistungen gerecht beurteilen muss. In erster Instanz habe ich jedoch das Bedürfnis, den Lernraum zu halten, ohne darüber zu urteilen, wer welche Note bekommt und ob es gerechtfertigt ist, dass der eine und die andere dieselbe Note bekommen.

Diese – ich nenne sie mal strukturellen Anforderungen – machen etwas mit uns Lehrer*innen. Sie lenken unser Tun sehr stark auf die Beurteilung. Ohne diese Beurteilung, so wie in der unverbindlichen Übung, habe ich für mich den Eindruck, dass ich den Lernraum besser halten kann und es häufiger zu einem echten Gespräch zwischen Menschen kommt.

Danke für das Gespräch. 

*unverbindliche Übungen sind in Österreich Schulfächer, die freiwillig gewählt werden können, aber nicht zum Lehrplan gehören und auch nicht benotet werden.

**so werden in Österreich Vertretungsstunden genannt

Weitere Informationen

Hier kommen Sie zu Dominik Weghaupts Profil als AVE-Referent für achtsamkeitsbasierte Lehrer*innenbildung.

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  • Dominik Weghaupt: Felicitas Horstschäfer