Das Gespräch führte Sarina Hassine
Luna García Fernandez, Ihr Verein YoungVision e.V. engagiert sich für junge Erwachsene und will sie in ihrer Selbstentfaltung unterstützen. Wie sind Sie dazu gekommen, Bewusstseinsarbeit mit jungen Menschen zu machen?
Luna García Fernandez: Ich wollte immer schon mehr. Mehr Leben, mehr Echtheit, mehr Tiefe. Als Jugendliche sehnte ich mich nach einem echten Austausch mit anderen Menschen, nach mehr Neugier dem Leben gegenüber.
Welche Klamotten ich tragen muss, wie ich sprechen oder mich geben muss, um cool zu sein, all das wurde für mich immer weniger interessant. Dieses Desintresse entfernte mich allerdings von meinen Freunden.
Mein Wunsch nach echter, authentischer Begegnung mit anderen Menschen blieb unerfüllt, und das machte mich einsam. Als ich 18 Jahre alt war, litt ich unter einer schweren Depression. Ich war sogar in einer psychosomatischen Klinik. Doch auch da fand ich nicht, was ich suchte.
Durch eine glückliche Fügung habe ich zu diesem Zeitpunkt die Bekanntschaft mit dem Meditationslehrer Thomas Hübl gemacht. Daraufhin besuchte ich seine Veranstaltungen und Retreats.
Das hat eine Tür für mich geöffnet. Ich habe angefangen, mich mit meinem Inneren zu beschäftigen, mit Themen wie gewaltfreie Kommunikation, Beziehung, Konfliktbewältigung, Achtsamkeit, Spiritualität und Meditation.
Meine Motivation war, das ein stückweit aufzufangen, was im Schulsystem nicht geboten wird.
Ich hatte also das Glück, eine Art Mentor zu haben in diesen wichtigen Jahren. Das haben viele junge Menschen nicht. Das war meine Motivation, zehn Jahre später meine Arbeit mit jungen Erwachsenen zu starten.
Ich wollte ein stückweit auffangen, was im Schulsystem oder vielleicht sogar im Familiensystem nicht geboten wird: Orte für junge Menschen, wo sie lernen, wie geht eigentlich Beziehung, wie gelingt Kommunikation, wie kann ich mit meinen Gefühlen umgehen usw.
Wenn wir als Gesellschaft eine friedliche Zukunft schaffen möchten, dann ist es wichtig, dass wir solche Dinge irgendwo lernen. Ich denke, wir sollten uns dafür einsetzen, dass es in der Zukunft ein Schulfach gibt, das sich nur mit dem gelingenden Leben befasst.
Heute sind Sie 37 Jahre alt, ausgebildete Pädagogin und haben viel Berufserfahrung mit kleinen und großen Kindern gesammelt. 2013 haben Sie zusammen mit anderen den Verein YoungVision gegründet. Seit 2016 veranstalten Sie ein außergewöhnliches Event als Initiatorin mit. Was passiert auf dem zehntägigen YoungVision Festival?
García Fernandez: Das Festival gibt dir als jungem Menschen die Möglichkeit, dich selbst zu erforschen und dir selbst tiefer zu begegnen – in Workshops zu den verschiedenen Themen wie z.B. Bedürfnisse erkennen, Gefühle wahrnehmen und was macht zwischenmenschliche Beziehungen aus.
Es gibt unter anderem ein Kreativzelt, eine Open Stage, ein Open Air und Konzerte, bei denen wir den ganzen Tag gemeinsam tanzen können. Es gibt Orte zum Chillen und Begegnen, zum Beispiel das gemütliche, vegane Festival-Café.
Wer ich bin, erfahre ich auch dadurch, dass du mich siehst.
Ein gut ausgebildetes Team von Coaches, Therapeut:innen und Pädagog:innen begleiten die Teilnehmenden mit Achtsamkeit, Hingabe und Respekt zehn Tage lang. Der Kern unserer Festival-Arbeit ist, den einzelnen Menschen wirklich „zu sehen“.
Wer ich bin, erfahre ich auch dadurch, dass du mich siehst. Das ist bei vielen nicht so nice gelaufen, insbesondere in der Zeit zwischen Geburt und dem fünften Lebensjahr, dem Alter, wo das besonders wichtig ist. Und dann geht es mit der Schule weiter, die auch nicht bekannt dafür ist, solche Räume zu schaffen. Das möchten wir mit unserer Arbeit im Verein nachholen.
Es ist ja ein drogen- und alkoholfreies Festival – warum?
García Fernandez: Bei unserem Festival für junge Erwachsene stehen Begegnung und Bewusstwerdung im Zentrum. Wenn man dabei Drogen nimmt, ist es schwierig für einen selbst herauszufinden, wer man eigentlich ist.
Wir experimentieren ganz simpel: Wenn du erst meditierst, dir selbst ehrlich und authentisch begegnest, Prozesse in dir erlebst, danach mit allen zusammen tanzt und Konzerte erlebst, kannst du in Ekstase gelangen durch das bloße Sein miteinander.
Wir sagen nicht, dass Drogen oder Alkohol schlecht sind, das muss jeder für sich entscheiden. Wir regen eher an, dass die Teilnehmenden später im Alltag schauen, wozu sie Drogen oder Alkohol benutzen. Denn oft ist es ja so, dass wir Drogen nicht nur dazu benutzen, um Spaß zu haben, sondern damit wir mutiger sind, uns leichter fühlen, in Zustände kommen, in die wir sonst nicht kommen. Auf dem Festival kannst du erleben, ob das ganze auch ohne Drogen geht.
Wie groß kann man sich das Festival vorstellen?
García Fernandez: Dieses Jahr sind 150 Teilnehmer:innen auf dem Gelände – wegen Corona, sonst hätten wir mit bis zu 200 Teilnehmenden gerechnet. Ein 30-köpfiges Team organisiert das Event. Die jungen Erwachsenen kommen fast ausschließlich durch Mund-zu-Mund-Propaganda. Viele, die einmal da waren, kommen wieder und bringen Freunde mit.
Menschsein ist magisch.
Was gefällt Ihnen besonders an dieser Arbeit?
García Fernandez: Ich liebe es, mit jungen Menschen zu arbeiten. Sie schleppen nicht schon 30 Jahre ihren ganzen Mist mit sich herum. Erkenntnisse und Transformationen gehen oft viel schneller als bei Erwachsenen. [lacht] Ich spreche über etwas und dann sieht man schon in ihren Gesichtern: Da kommt ein neues Download. Und dann geht’s direkt weiter!
Menschsein ist so atemberaubend und so magisch! Und hat so viele Fascetten. Diese jungen Menschen sind von der Magie des Seins noch nicht so weit weg bzw. da wieder einzutauchen ist für sie nicht so schwierig. Die Prozesse zu begleiten, gibt mir ein Gefühl von Sinnhaftigkeit in meiner Arbeit.
Ich habe neben dem Festival auch eine Jahrestrainingsgruppe für junge Erwachsene ins Leben gerufen, die sich mit denselben Themen noch einmal in der Tiefe beschäftigt.
Bei dem Festival und Ihren anderen Projekten geht es um die innere Arbeit. Regen Sie die jungen Menschen auch an, sich auch wieder für andere zu engagieren?
García Fernandez: Es gibt viele Vereine, in denen junge Menschen sich engagieren können, aber kaum Vereine, wo es einmal nur um sie geht.
Unser Verein engagiert sich für ein heiles Selbst. Wir geben jungen Menschen Werkzeuge mit, damit sie als gestärkte Menschen in diese Welt hinausgehen. Dann können sie schauen, ob und wo sie sich engagieren möchten.
Ich finde Bewegungen wie Fridays for Future total wichtig und arbeite unglaublich gerne mit jungen Menschen, die sich für eine heilere Welt engagieren. Mir macht es Spaß, mit jungen Menschen zusammen zu kommen und gemeinsam herauszufinden, warum ist das Thema Engagement wichtig für dich? Wo greift es in dich ein? Wie ist deine Beziehung dazu? Was ist das Persönliche darin und warum bist du so wütend?
Die Welt rocken, ohne auszubrennen
Wenn sie das herausfinden und dann durch die Prozesse gestärkt und genährt sind, dann können sie die Welt rocken, ohne innerlich auszubrennen. Weil sie sonst damit beschäftigt sind, im Außen alles heil zu machen und sich selbst im Inneren nicht mitbekommen.
Vor kurzem wurde eine Umfrage gemacht, 64 Prozent der jungen Menschen in Deutschland gaben an, sich psychisch belastet zu fühlen. Wie soll man sich denn als psychisch belasteter Mensch für irgendwas engagieren können?
Meiner Meinung nach müssen wir anfangen, mehr und vielfältige Räume für junge Menschen zu schaffen, in denen es nur um sie geht.
Vielen Dank für das Gespräch!
Luna Garcia Fernandez ist Bildungsreferentin, Coach, Kommunikations- und Konflikttrainerin und Pädagogin. Neben Gruppenübungen, Forumsarbeit, Achtsamkeitstraining, Meditation und authentischer Kommunikation ist die persönliche Prozessbegleitung zentraler Bestandteil ihrer Arbeit. Sie hat den Verein YoungVision mit gegründet und das YoungVisionFestival mitinitiiert. Seit 2016 leitet sie Jahres-Trainingsgruppen für junge Erwachsene zum Thema Persönlichkeitsentwicklung. Mehr über ihre Arbeit finden Sie auf ihrer Seite.
Hier kommen Sie auf die Seite des Vereins und hier direkt zur Festivalseite.