Kind am Strand

Kindliches Spiel achtsam begleiten

Die Pädagogin Theresa Reiser beschreibt, wie wir das kindliche Spiel achtsam und bewusst begleiten können – und dabei unseren Anfängergeist aktivieren und uns inspirieren lassen können.

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Das Spiel begleitet uns bereits in den ersten Momenten, in denen unser Menschsein beginnt: Wenn wir als Fötus im Fruchtwasser schwimmen und mit der Nabelschnur spielen, den eigenen Körper und die Gebärmutter erkunden. Spielerisch entdecken wir die Welt und uns selbst.

„Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“ So schrieb bereits Friedrich Schiller in seinen Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen von 1795. Im Spiel erfahren wir, was es bedeutet Mensch zu sein. Es beeinflusst unsere Empathiefähigkeit, unsere Gestaltungskraft und unsere Selbstwirksamkeit. Spielerisch ahmen wir als Kinder Verhalten und Rituale nach, die in der uns umgebenden Gesellschaft ausgeführt werden. Spiel ist aber auch kulturelle Praxis und hört im besten Fall mit dem Erwachsenwerden nicht auf.

Wenn wir Kinder sein lassen und sie sich gesund entwickeln, werden sie überall und egal wo sie sind, beginnen zu spielen. Das beginnt bei Babies mit dem „explorativen Funktionsspiel“ – dem  neugierig erkundenden Ausprobieren von Material und Gegenständen – bis  zum Konstruktions- und Rollenspiel, wenn aus dem Material gebaut wird oder es symbolisch umgedeutet wird. Erst später, ab dem Alter von drei Jahren etwa, geht es um das Erlernen von Regel- und Bewegungsspielen.

Für das kindliche Spiel ist auch kein spezielles „Spielzeug“ nötig. Dazu reicht das aus, was sie in ihrer Umgebung finden. Ganz normale Alltagsgegenstände laden genauso zum Spiel ein (Socken, Schuhe, Löffel, Kisten…) wie auffindbare Naturmaterialien draußen. Im Zugabteil können Vorhänge oder Mülleimer zum Spiel einladen und im Wartezimmer die Schnürsenkel der Eltern oder das Geräusch der Stuhlbeine, wenn sie über den Boden scharren.

Wertschätzung von explorativen Spielen

Die Kraft, die im explorativen Spielen von Kleinkindern steckt, kann aber schon mal anecken. Wenn Kinder etwa mit den Trinkbechern beginnen Blubberspiele oder Schüttspiele auszuführen, Stühle geräuschvoll durch den Raum ziehen, mit Mülleimerklappen Musik machen, Kieselsteine vom Boden aufheben und werfen, in Wasser- oder Schlammpfützen springen oder laut quietschen zur eigenen Freude.

Um Kinder hier achtsam zu begleiten, ist in erster Linie das Wissen darüber wichtig, dass in all dem Tun ein unermüdlicher Entdeckungsdrang steckt. Kein Kind tut diese Dinge, um uns zu ärgern, sondern aus dem Bedürfnis heraus zu lernen. Die Pädagogin Maria Montessori nennt das Spiel nicht umsonst „die Arbeit des Kindes“. [1]

Unsere achtsame Haltung drückt sich dann so aus, dass wir das Spiel zunächst einmal nicht abwerten oder verbieten, sondern beobachten und ggf. mit Worten begleiten. Falls wir das Spiel trotzdem unterbinden müssen, sollten wir den Frust des Kindes empathisch begleiten oder ihm Alternativen anbieten.

Das heißt allerdings nicht, dass Kinder andere mit Steinen bewerfen dürfen oder das Mittagessen regelmäßig in ein Mansch- oder Wasserspiel verwandeln müssen. Doch es unterstreicht die Bedeutung von Räumen, in denen Kinder diesem Bedürfnis nachkommen können. Ich sehe es als Verantwortung von Eltern, Erwachsenen und pädagogischen Fachkräften, Kindern diesen Raum zum Spielen zu geben und diesen Raum zu schützen.

Das Spiel fördern durch eine „Ja-Umgebung“

Die Aufgabe, die uns als begleitetende Erwachsene dabei zukommen kann, ist es, „Ja-Umgebungen“ zu schaffen. Statt also einfach nur „Nein!“ zu sagen oder zu schimpfen, können wir Alternativen schaffen, um dem Bedürfnis der Kinder nachzukommen:

„Ich sehe du hast Spaß daran, das Wasser aus deinem Trinkbecher auf den Tisch zu schütten. Aber hier passt das gerade nicht. Wie wäre es, wenn du das später im Garten weitermachst? Oder im Badezimmer?“

„Den Anderen tut das weh, wenn du auf sie Steine wirfst. Aber kuck mal, hier in diesen Teich oder in die Richtung, wo niemand steht, da kannst du werfen.“

Wir können Bereiche in der Wohnung oder in der Kita, im Garten oder auf dem Hof zur Ja-Umgebung machen. Eine Malwand im Raum oder ein Matschbeet im Garten. Wir können Haushalts-Material zur Verfügung stellen, wenn Kinder gerade besonderes Interesse daran haben. Als Eltern können wir uns auf Baby- oder Kleinkindhöhe krabbelnd durch die Wohnung bewegen und alles entfernen, was gefährlich werden könnte und mit dem nicht gespielt werden soll. All das kann helfen, weniger „Nein“ sagen zu müssen und den Kindern den Raum zum Spielen und Erkunden gefahrlos zur Verfügung stellen zu können.

Ertappen wir uns dennoch öfter dabei, das Spiel-Verhalten des Kindes verbieten zu wollen, können wir uns selbst fragen, woher unser „Nein“ in dem Moment kommt. Vielleicht durften wir selbst etwas als Kind nicht? Oder wir haben nur aktuell keine Geduld dafür? Außerdem können wir reflektieren, ob der Gegenstand wirklich so wertvoll/ gefährlich/ etc. ist?

Anfängergeist – Kinder beim Spielen wahrnehmen

Als Erwachsene hat man viele Dinge schon oft gesehen und erlebt, sodass man in Gedanken alles Erleben einsortiert und bewertet. Ein Kind beim Spielen wertfrei und offen zu beobachten, kann uns unterstützen in den Moment zu kommen und selbst den Anfängergeist zu aktivieren. „Anfängergeist“ das meint, den Geist frei zu machen von früheren Erfahrungen und zu versuchen, eine Situation ganz unvoreingenommen, wie zum ersten Mal zu erleben. Babys und Kleinkinder leben den Anfängergeist ganz natürlich. Mit offenem und neugierigem Geist erkunden sie ihre Umgebung, schließlich ist ja alles neu und wunderlich für einen kleinen Menschen.

Natürliches Lernen bei Wiederholungsspielen

Wenn wir Kinder beobachten, werden wir bemerken, dass sie im Spiel oft Dinge ein ums andere Mal wiederholen. Wiederholungsspiele sind für Kinder besonders wichtig, um zu lernen. Kinder können vertieft immer wieder dieselbe Handlung ausführen, bis sie ganz von selbst zu einer anderen wechseln.

Etwa beim Spielen mit Wasser: Beim Schütten von dem einen in den anderen Behälter erlernen Kinder Mengenverhältnisse. Sie setzen sich auf ganz sinnliche Weise mit den Qualitäten des Elements Wasser auseinander. Zusätzlich erproben sie ihre Motorik in den Bewegungen des Schüttens, die immer gezielter und genauer werden.

Dabei geht es um nichts als den Moment, ohne Ziel und Zweck – voll einzutauchen in die eigenen intuitiven Ideen und kreativen Impulse. Sicher kennt jeder, der mit Kindern zu tun hat, Situationen, in denen Kinder nicht ansprechbar sind, weil sie vertieft in ihre Tätigkeit sind. Kinder befinden sich ganz von selbst in einem Spiel-Flow, wenn wir sie lassen.

Hier liegt die Achtsamkeit wieder in der Haltung des Erwachsenen. Wir tun in solchen Situationen gut daran, die Kindern nicht in ihrer Vertieftheit zu unterbrechen, wenn es nicht unbedingt sein muss. Hingabe, Konzentration und Präsenz sind die Dinge, die Erwachsene vom Spiel der Kindern lernen oder von denen sie sich inspirieren lassen können.

Vorbildrolle – Mimetisches Lernen

Welche wichtige Rolle wir als Erwachsene einnehmen, zeigt uns das „Mimetische Lernen“. Das heißt im Grunde, dass Kinder über Nachahmung lernen und sich imitierend darstellend die Welt erschließen. Durch Beobachtung und im Kontakt mit anderen Menschen reagieren Kinder mimetisch auf Verhalten. Die Neurowissenschaft spricht dabei von „Spiegelneuronen“, die uns dazu bringen auf unser Gegenüber einzugehen, es zu imitieren und uns aufeinander einzustimmen.

Das ist der Grund, warum Kinder meist mit Entspannung reagieren, wenn wir eine ruhige Umgebung schaffen und selbst entspannt sind. Dies geschieht auch, wenn wir langsam und ruhig sprechen oder voller Begeisterung und Neugier etwas zeigen. Wenn wir uns vertiefen können in eine Tätigkeit, dabei ganz achtsam und präsent bei uns und dem sind, was wir tun, dann wird das Kind darauf reagieren. Dafür braucht es oft nicht mal erklärende Worte.

Indem wir eine Handlung im achtsamen Kontakt mit uns selbst und dem Kind ausführen, sprechen wir eine Einladung aus, es uns gleich zu tun. Ebenso sprechen die Kinder in ihrem Spiel eine Einladung an uns aus: dass wir uns mit unserem Mensch-Sein wieder verbinden, präsent und achtsam.

Theresa Reiser

 

[1] Maria Montessori über das Spiel

Zum Weiterlesen

Susanne Mierau auf ihrem Blog „Geborgen wachsen“:

Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von geborgen-wachsen.de zu laden.

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Christoph Wulf: Die mimetische Aneignung der Welt, Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 2013, 16 (S2): 15-25

Theresa Reiser ist Theaterpädagogin. Sie arbeitet derzeit als Erzieherin in einer bedürfnisoriertiert und gewaltfrei ausgerichteten Kita in Berlin und schreibt für AVE über ihre Erfahrungen. Sie hat seit vielen Jahren eine eigene Achtsamkeits- und Meditationspraxis und besucht Fortbildungen in den Bereichen GFK, Achtsamkeit, Selbstmitgefühl.

Bildquellen dieser Seite anzeigen

  • Spiel im Sand: Addictive Stock / photocase.de
  • Theresa Reiser: privat