1. Bewusst Atmen
Mit jedem Atemzug, können wir neu beginnen.
In Zeiten von Corona und diversen Hygieneregeln hat sich nicht nur das Miteinander, sondern unter Umständen auch das Atmen verändert. Sie sind eingeladen für einen Moment darüber zu reflektieren.
- Wie ist Ihre Atmung, wenn Sie eine Maske aufhaben?
- Verändert sich der Atem vielleicht schon, wenn Sie nur an die Maske denken?
- Verändert sich die Atmung, wenn Ihnen jemand ohne Maske „zu nahe“ kommt?
- Oder wenn Sie selbst die Maske vergessen haben? Halten Sie vielleicht die Luft an oder atmen kürzer oder flacher?
Sie sind jetzt eingeladen, ein paar Atemzüge lang Ihren momentanen Atem zu beobachten, ohne ihn zu verändern.
- Wo ist der Punkt, wo das Ausatmen aufhört?
- Gibt es eine Atem-Stille?
- Können Sie einen Anfang des Einatmens spüren?
- Sind Gefühle mit der Wahrnehmung des Einatmens verbunden?
- Vielleicht Erstaunen, Irritation über das Bemerken dieser Selbstverständlichkeit? Vielleicht Gleichgültigkeit? Vielleicht Dankbarkeit für die Natürlichkeit des Atems?
Wenn Sie möchten, können Sie vielleicht erst ein paarmal bewusst tief ein- und ausatmen.
Falls Sie festgestellt haben, dass sich Ihr Atmen durch die Masken verändert, ist das ein guter Anlass, in Momenten, in denen Sie keine Maske tragen müssen und vielleicht draußen und in der Natur unterwegs sind, öfter mal bewusst möglichst frische Luft tief ein- und auszuatmen.
2. Der Änfängergeist
Den Geist des Anfängers zu bewahren, ist Teil der MBSR-Übungen nach Jon Kabat-Zinn: „Um den Reichtum des Augenblicks sehen zu können, müssen wir den Geist des Anfängers entwickeln, der bereit ist, alles so zu betrachten, als wäre es das erste Mal.“
Kinder können uns viele Male am Tag erinnern an die Magie, an die Freude und Begeisterung, die mit dem Anfängergeist verbunden sind – sei es, dass sie etwas Neues essen, eine neue Bewegung und Fähigkeit ihres Körpers entdecken, etwas für sie Neues beobachten in ihrer Umwelt, ein neues Wort sprechen oder verstehen können.
Wir Erwachsene haben so viele Dinge schon so oft gesehen, gehört, erlebt, sodass wir leicht über sie hinweggehen, sie nicht mehr sehen oder fühlen. Die bekannte Rosinen-Übung aus dem MBSR-Programm dient der Veranschaulichung dieses Phänomens. Beim achtsamen Essen einer getrockneten Weintraube entdecken viele Menschen ganz neue Aspekte dieser Frucht und ihrer eigenen Wahrnehmung. Eine andere Übung ist folgende:
Übung: Daumen und Zeigefinger spüren
Bringen Sie die Kuppen von Daumen und Zeigefinger einer Hand zusammen und achten Sie ganz einfach auf die Qualitäten der Berührung.
- Was spüren Sie?
- Welche Sinnesqualitäten treten in Ihr Gewahrsein?
- Wärme, Weichheit, die Fläche der Berührung, Druck, Härte, Glätte, Fettigkeit, Rauheit?
- Wo genau spüren Sie das: an der Hautoberfläche oder auch wie tief im Finger? Beide Finger können sich bei der Berührung auch leicht bewegen bis hin zu einem Streicheln.
- Kann der Zeigefinger die Feuchtigkeit der Daumenhaut spüren? So wie man Pflanzenerde berührt, um die Feuchtigkeit zu erspüren?
- Wie spüren die Finger eigentlich Feuchtigkeit?
- Wie sind die Empfindungen an den Kuppen, der Haut, wenn sich die Finger wieder lösen?
- Wo legen Sie Ihre Hände und Finger nach der Übung ab?
- Haben sie Lust, etwas Neues zu spüren?
Einfache Zugänge zum Anfängergeist kann man im Alltag bei Tätigkeiten finden, bei denen sich im Außen etwas ändert, für die man die Körperhaltung ändert, sich etwas oder jemand neu zuwendet, aufsteht, sich hinsetzt oder geht.
Übung: Langsames Blinzeln für ein Reset
Eine weitere Möglichkeit, im Alltag zum Anfängergeist zurückzufinden, ist es, die Augen kurz zu schließen und wieder zu öffnen. Bewusst langsam zu blinzeln. Mir geht es dabei primär nicht um ein neues Sehen, sondern mich mit mir selbst neu zu verbinden, meinen inneren Impulsen Raum zu geben, eine Form der Mikro-Verinnerlichung.
Körpersprachlich signalisiert das kurze Augenschließen für mich Zustimmung, Vertrauen oder den Abschluss oder die Lösung von etwas und damit auch den Übergang zur nächsten neuen Situation. Manchmal Demut oder auch Scham, wenn etwas Blödes vorgefallen ist.
3. Neuanfang in einer Beziehung
Um die Achtsamkeit im Kontakt mit anderen Menschen geht es bei folgendem Neubeginn. Im Zusammenleben- und arbeiten in Teams oder in Paarbeziehung, mit Kindern oder Freunden treten natürlicherweise Auseinandersetzungen auf. Viele Menschen stresst das Klären von Konflikten, da sie es vielleicht nicht vorgelebt bekommen haben oder unangenehme Erfahrungen gemacht haben.
Dieses Ritual kann helfen, die Irritationen anzusprechen und dabei miteinander verbunden zu bleiben, ohne die Stressreaktionen übermäßig zu aktivieren und damit Verteidigungs- oder Gegenangriffshaltungen hervorzubringen.
Ich wünsche sehr, dass sich diese Praxis in pädagogischen Kontexten verbreitet, da ich überzeugt bin, dass sie die Teamkommunikation wesentlich vertiefen kann.
Der Neuanfang des vietnamesischen Achtsamkeitslehrers Thich Nhat Hanh ist ein Ritual in mehreren Schritten:
1. Wässern der Blumen
2. Bedauern ausdrücken
3. Kränkungen oder Wut mitteilen
Mit dem ersten Schritt steigt man wertschätzend ein, im zweiten Schritt erkennt man eigene ungeschickte Worte und Handlungen an, um dann gegebenenfalls im dritten Schritt eine Irritation auszusprechen. Während Schritt eins und zwei auch in einer größeren Runde stattfinden können, finden Schritt drei unter vier Augen oder mit Begleitung einer neutralen Vertrauensperson statt.
„Während des Blumenwässerns spricht jeder die wohltuenden und wunderbaren Qualitäten der Anderen an. Es ist wichtig zu verstehen, dass es hierbei nicht darum geht, dem Anderen zu schmeicheln, sondern eine tiefe Wahrheit auszudrücken. Jeder hat Stärken, die man, sofern man achtsam ist, auch entdecken kann. […]
Im dritten Abschnitt ist es entscheidend, voller Liebe und Respekt zu sprechen. Wir reden, um die Beziehungen zu stärken, und nicht, um sie zu schädigen. Wir sind ehrlich und gleichzeitig darauf bedacht, nicht destruktiv zu sein. Mitfühlendes Zuhören ist dabei möglicherweise der wichtigste Teil der Praxis.“
„Es ist ratsam, dabei keine verletzenden oder anklagenden Worte zu verwenden, sondern einfach nur ehrlich auszudrücken, dass wir nicht verstehen, warum die Person etwas getan hat, das uns verletzte.
Wir äußern ganz ehrlich unseren Wunsch, ihre Seite der Geschichte zu hören und zu erfahren, was sie dazu brachte, so zu sprechen oder sich so zu verhalten, wie sie es tat.“ (2)
Thorsten Geiger
(1) Jon Kabat-Zinn: Gesund durch Meditation
(2) Sister Chan Khong: Die Blumen des anderen wässern
Thorsten Geiger arbeitet als Erzieher in einer Berliner Kita. Er ist Facherzieher für Integration, SAFE®-Mentor (Sichere Ausbildung für Eltern) und Lehrer für Gewaltfreie Kommunikation (Gabriele Seils). Seit 2015 ist er (MBSR-)Achtsamkeitslehrer (Arbor Seminare). Für Erzieher:innen bietet er einen selbst-entwickelten Achtsamkeitskurs an und gibt Workshops zu verschiedenen Themen. Seine aktuellen Angebote finden Sie hier.