Kind trösten

Kommunikation ist viel mehr als Worte

Miteinander achtsam und empathisch zu reden auch in Konfliktsituationen, ist eine Fähigkeit, die sich trainieren lässt: Berenice Boxler beschreibt an einem Beispiel aus der Praxis drei Grundlagen für den friedvollen Weg den Gesprächs. 

PORTAL FÜR ACHTSAMKEIT IN DER PÄDAGOGIK

Meine Tochter sitzt im Schlafanzug auf dem Sofa, müde vom langen Tag, die Haare noch nass von der Dusche, es ist 19 Uhr, kurz vor dem Abendessen. Da klingelt es an der Tür und das Nachbarmädchen fragt, ob Emma noch mit ihr spielen möchte. Ja, sie möchte. Aber sie darf nicht. Tränen der Verzweiflung, der Wut, der Enttäuschung paaren sich mit lautstarkem Geschrei. „Du bist so gemein!“

Achtsame Kommunikation – Grundlage 1: Präsenz

In einem Seminar kürzlich habe ich über achtsame Kommunikation mit Kindern gesprochen und dieses Thema in drei Grundlagen eingeteilt: die Präsenz, das Hören und das Sprechen. Die Basis von allem bildet die Präsenz. Was ist jetzt gerade los? Wo bin ich? Mit wem? Was sage ich? Wie sage ich es? Was ist jetzt wichtig?

Wir können die Gedanken in unserem Kopf bemerken, können unseren Körper spüren und uns mit ihm verbinden. Dann können wir tiefer schauen und vielleicht erkennen, um was es hier gerade wirklich geht und was ich oder mein Gegenüber gerade brauchen.

All das spielt eine Rolle und kann doch auf eines reduziert werden: bei mir sein. In der Kommunikation passiert es immer wieder, dass wir uns verlieren – in der Geschichte, in der Emotion der anderen Person, in der Reaktivität des Autopiloten. Bei sich zu bleiben beziehungsweise immer wieder zu sich zurückzukommen ist die absolute Basis, um eine bewusste Antwort zu ermöglichen.

Wenn wir herausgefordert werden, geraten wir ganz schnell in Muster und in Routinen hinein, wir handeln aus Reflex oder Gewohnheit. Die Praxis der Achtsamkeit erlaubt uns, mit dem schon offenen Mund innezuhalten und (noch) nicht zu sprechen. Sie erlaubt uns, die eigene Ohnmacht zu bemerken und den starken Impuls zum „Machtwort“.

Dieses Innehalten und Verankern übe ich in einer regelmäßigen Sitzmeditation. Die formale Praxis bewirkt, dass das Verankern im Alltag zunehmend innerhalb weniger Sekunden geschehen kann.

Nein, das geht nicht immer. Aber immer wieder bemerke ich in schwierigen Situationen, dass ich … zunächst einmal nichts mache oder sage. Diese winzige Pause ist goldwert und die Voraussetzung für alles, was danach kommt.

Achtsame Kommunikation – Grundlage 2: Hören

Ich bin hier. Was höre ich? Ich höre Wut, Enttäuschung, lautstarke Angriffe, und hinter all dem einen tiefen Schmerz.

Der Geschichte geht nämlich voraus, dass meine Tochter seit einigen Wochen um diese Beziehung mit dem Nachbarsmädchen trauert, die sich mit großen Schritten der Pubertät nähert und sich zunehmend weniger mit der „Kleinen“ von nebenan abgeben möchte. Und nun, nach Wochen der Zurückweisung, steht sie also vor der Tür.

Ich höre meiner Tochter zu, diesem ganzen Wesen. Da sind Tränen, bebende Lippen, ein hochroter Kopf, ein kleiner Mensch im Angriffsmodus. Da ist die tiefe Erschöpfung des Körpers vom Tag, in Sekundenschnelle durch Wut-Energie mit letzter Kraft aufgeputscht, die Worte „Doch, ich kann noch! Ich bin nicht mehr müde!“ und ein verzweifeltes „Bitte, Mama!“.

Die Basis vom echten Zuhören ist die Präsenz, also bin ich einfach da. Ich berühre nicht – ich kenne meine Tochter, das kann sie in solchen Momenten gar nicht ertragen. Ich rede kaum und lasse sie den Schmerz hinausschreien. Ich versuche, ihr Sicherheit zu geben: du darfst wütend, traurig, verletzt, verzweifelt sein. Ich bin da und höre zu aus der Quelle der Verbundenheit und liebevollen Präsenz.

Foto Vater mit Tochter
Kommunikation bedeutet sich selbst und anderen zuzuhören

Ich höre dich – ich höre mich

Ich höre auch mir zu. Da werden immer wieder kleine rote Knöpfe gedrückt. Wenn meine Tochter wütend ist, können auch mal Dinge durch die Gegend fliegen. Ich weiß nie, ob es 5 Minuten oder 50 Minuten dauert, bis sie sich soweit beruhigt hat, dass keiner mehr in Gefahr ist.

Ich bemerke mein eigenes Alarmsystem im Wartemodus. Da weht ein „die Arme, ausgerechnet jetzt!“ durch meinen Kopf. Eine leise, piepsige Stimme sagt: „Vielleicht geht es ja doch, nur 15 Minuten …?“ und eine etwas lautere sagt: „Puh, das muss ihr doch klar sein, dass es jetzt nicht mehr geht!“

Ganz tief spüre ich den weiten Raum von Vertrauen und Verbundenheit: „Ja, so ist es jetzt. Das alles ist da.“ Zuversicht. Empathie. Nichts lösen müssen. Und: „Den Schmerz kann ich ihr nicht abnehmen. Manchmal ist das Leben schwer. Ich bin da.“

Klappt das immer? Nein, natürlich nicht. Immer wieder auch bahnen sich die inneren Stimmen ihren Weg nach draußen, deren roter Faden lautet: „Es reicht! Es geht jetzt halt nicht! Ich krieg auch nicht immer, was ich will.“ Je müder oder abgelenkter ich selbst bin, desto ungeduldiger bin ich. „Manchmal muss einfach jeder nur funktionieren, sonst bricht alles zusammen. Keiner ist damit glücklich, aber das Leben ist nicht perfekt.“

In solchen Momenten höre ich dann auch den Inhalt ihrer Beschimpfung und meinen inneren Kampf damit: „Quatsch, ich bin nicht gemein! Im Gegenteil, ich meine es gut mit dir!“ Aber immer öfter gibt es diese Momente der inneren Zuversicht: das ist es, was jetzt wichtig ist. Sein mit dem, was ist.

Als Mutter habe ich viele Gelegenheiten der Übung.

Achtsame Kommunikation – Grundlage 3: Sprechen

Das Sprechen wird überbewertet. Das weiß ich, weil ich unter Stress viel zu viel rede und nichts erreiche. Ich rede mich selbst in die Frustration: „Hallo?! Hört mir keiner zu?!“

Die dritte Grundlage ist das Sprechen, und hier ist das Zauberwort „wenig“. Meine wütende Tochter kann mit Vernunft, mit Regeln und mit Erklärungen gerade überhaupt nichts anfangen. Das Gehirn ist in solchen Momenten nicht auf „Empfang“ oder „hören“ eingestellt.

Und wieder ist die Präsenz die Quelle: Wenn ich den Mund öffne, wie spreche ich? Als mitfühlender Mensch, der ein sicherer Hafen für die Wut ist? Oder als aktivierte strenge Mutter, die einfach keine Lust mehr auf die immer gleichen Diskussionen hat? Spreche ich das Bedürfnis an oder das Verhalten? „Du vermisst das Spielen mit der Nachbarin. Und ausgerechnet jetzt klappt es nicht. Das ist wirklich schwer!“

Ich spreche mit dem ganzen Körper, mit den Augen, mit meinem Gesichtsausdruck, mit meiner Präsenz. Mehr als die tatsächlichen Worte kommuniziere ich einfach: Ich bin da. Ich sehe deinen Schmerz und ich bin da. Das ist gerade ein ganz schwieriger Moment für dich.

Ohne die Praxis der Achtsamkeit würde fast immer die lauteste Stimme in mir sprechen: die Stimme der Muster, des Quick-Fix, des „es reicht!“, der wahrhaft gemeinen und strengen Mutter. Dank der Praxis der Achtsamkeit ist Kommunikation so viel mehr geworden als reden – ein Miteinander-Sein als Menschen.

Berenice Boxler

Berenice Boxler ist Achtsamkeitslehrerin und Autorin in Luxemburg. Auf ihrer Webseite veröffentlicht sie regelmäßig Artikel zum Thema Achtsamkeit. Dort gibt es auch zahlreiche Meditationen (auch speziell für Eltern) zum freien Download. Für das Arbor Online Center hat sie einen Selbstlern-Kurs erstellt: „Ein innerer Kompass – Achtsamkeit für Eltern“.  Mehr Informationen hier

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  • Vater und Tochter: Nelson Martínez Photo / Photocase.de
  • Berenice Boxler: privat