Mädchen am Laptop

Kritisches Ignorieren als neues Bildungsparadigma

Die Flut von Informationen im Netz fordert die Aufmerksamkeit junger Menschen. Forscher sagen jetzt, wir brauchen dafür eine Kompetenz des Ignorierens. Sie untersuchen dafür hilfreiche Strategien, die auch in die Lehrpläne aufgenommen werden sollten.

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Die Aufmerksamkeitsökonomie der digitalen Welt, die Präsenz böswilliger Akteure und die Allgegenwart verlockender, aber falscher oder irreführender Informationen stellen erwachsene und jugendliche Benutzer vor kognitive, emotionale und motivationale Herausforderungen.

Minderwertige Informationen im Internet können unsere Aufmerksamkeit beispielsweise auf sich ziehen, indem sie Neugier, Empörung oder Wut hervorrufen. Der Widerstand dagegen erfordert von Nutzer*innen neue mentale Skills und Gewohnheiten. Diese können uns dann helfen, nicht von aufmerksamkeitsstarken und potenziell schädlichen Inhalten „in Versuchung“ geführt zu werden.

Mit diesem Thema beschäftigen sich die Psycholog*innen Anastasia Kozyreva (Max-Planck-Institut für Bildungsforschung), Sam Wineburg und Ralph Hertwig. Die Forscher*innen auch Berlin, Stanford und Bristol argumentieren, dass unsere digitale Informationskompetenz die Kompetenz des kritischen Ignorierens beinhalten muss. Nur so können wir entscheiden, was ignoriert werden soll und wo wir unsere begrenzten Aufmerksamkeitskapazitäten einsetzen wollen.

Ignorieren lernen – drei Strategien

Ein unverzichtbarer Bestandteil der Navigation durch Online-Informationen und der Wahrung der eigenen Autonomie im Internet ist die Fähigkeit, große Informationsmengen zu ignorieren. Strategien des kritischen Ignorierens sollten daher als Teil eines Curriculums im Informationsmanagement in die Lehrpläne der Schulen aufgenommen werden.

Die Psycholog*innen untersuchen drei Arten von kognitiven Strategien zur Umsetzung des kritischen Ignorierens:

  • Self-Nudging, bei dem man Versuchungen ignoriert, indem man sie aus der eigenen digitalen Umgebung entfernt;
  • laterales Lesen, bei dem man Informationen überprüft, indem man die Quelle verlässt und ihre Glaubwürdigkeit an anderer Stelle online überprüft;
  • und die Do-not-feed-the-trolls-Heuristik, die dazu rät, böswillige Akteure nicht mit Aufmerksamkeit zu belohnen.

Kritisches Ignorieren als Teil der Lehrpläne

Außerdem sagen die Forscher*innen, dass diese Strategien Teil der Schullehrpläne zur digitalen Informationskompetenz sein sollten. Die Vermittlung der Kompetenz des kritischen Ignorierens erfordert allerdings einen Paradigmenwechsel im Denken der Pädagog*innen.

Traditionell beinhaltete die Suche nach Wissen, die gefundenen Informationen genau und aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Einen Text von Anfang bis Ende zu lesen, um ihn kritisch zu bewerten, ist ein vernünftiger Ansatz für geprüfte Schultexte, die von kompetenten Aufsehern genehmigt wurden.

Im ungeprüften Internet endet dieser Ansatz jedoch oft als riesige Zeit- und Energieverschwendung. In einer Zeit, in der Aufmerksamkeit die neue Währung ist, ist der Aufruf „Achtung!“ genau das, was Aufmerksamkeitshändler und böswillige Akteure ausnutzen. Es ist an der Zeit, das Konzept des kritischen Denkens, das oft als Grundlage einer informierten Bürgerschaft angesehen wird, zu überdenken und zu erweitern.

Aufmerksamkeit stategisch einsetzen lernen

Solange den Schüler*innen und Studierenden gesagt wird, dass kritisches Denken vor allem die mühselige Verarbeitung von Text erfordert, werden sie weiterhin in Informationsfallen und manipulierte Signale epistemischer Qualität geraten. Mit dem Erlernen kritischen Denkens sollten die Studierenden gleichzeitig die Kernkompetenz erlernen, ihre Aufmerksamkeitsressourcen bei der Online-Recherche durchdacht und strategisch einzusetzen.

Dabei werden oft wenige wertvolle Informationen ausgewählt und andere bewusst ignoriert (Hertwig & Engel, 2016). Diese Erkenntnis, obwohl sie im digitalen Zeitalter von entscheidender Bedeutung ist, ist nicht neu. Wie William James (1904) bemerkte: „Die Kunst, weise zu sein, ist die Kunst, zu wissen, was man übersehen sollte“ (S. 369).

Quelle: Sage Journals

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  • Mädchen am Laptop: Annie Spratt / unsplash