Vor sieben Jahren hörte ich den Begriff Achtsamkeit das erste Mal, von einer reisenden buddhistischen Nonne. Nach den ersten Meditationserfahrungen war klar – ich will diese Praxis in mein Leben integrieren. So nahm ich 2014 an einem Achtsamkeits-Kurs teil.
Seitdem ist viel ins Rollen gekommen. Ich nehme mich selbst besser wahr, Gedanken, Gefühle, körperliche Reaktionen. Insbesondere durch das bewusste Wahrnehmen meines Körpers und meiner Gefühle beim regelmäßigen Bodyscan habe ich eine Verbindung zu mir gefunden. Mir wird deutlich, wie viele Gefühle ich mir verwehre, sie unterdrücke, wegschiebe.
Das achtsame, freundliche Registrieren meiner inneren emotionalen Welt verändert daher viel in meinem Leben: Alle Gefühle sind okay, lerne ich. Denn hinter den Gefühlen stecken meine Bedürfnisse. Und die sind wichtig.
Ich habe bemerkt, wie viele Gefühle ich mir aufgrund der Erfahrungen meines Aufwachsens und den gesellschaftlichen Prägungen und durch meine Erziehung verwehre. Das war und ist für mich nach wie vor der Schritt, der am meisten verändert hat.
Ich konnte bessere Entscheidungen treffen, weil ich deutlicher spürte, was ich brauchte.
Auch wenn dies nicht in jedem Umfeld so gelebt wird, so kann ich mir zumindest selbst immer wieder den Rahmen schaffen, das zu fühlen, was in mir lebendig ist. Diese Prozesse haben meine Persönlichkeitsentwicklung vorangebracht. Ich konnte bessere Entscheidungen in meinem Leben treffen, weil ich deutlicher spürte, was ich brauchte.
Als weitere Hilfe in der Selbstfürsorge dient mir die Gewaltfreie Kommunikation. Vor allem nutze ich das Selbstmitgefühl. Das bedeutet, ich übe zunächst Mitgefühl mit mir selbst und forsche nach, welches Bedürfnis meinem Gefühl zugrunde liegt und was ich tun kann, um dieses zu erfüllen.
Im beruflichen Kontext begann ich als Pädagogin in einer Kita zu arbeiten. Hier fand ich ein Lernfeld par excellence für meine Persönlichkeitsentwicklung vor. Schnell war mir klar, dass Achtsamkeit im Kontakt mit anderen Menschen, Kindern und Kolleg:innen einen echten Praxistest erfahren kann.
Gerade im Kontakt mit Kindern werden oft unsere eigenen Themen aus der Kindheit an die Oberfläche gespült. Wir werden in manchen Situationen an schmerzhafte Situationen aus der eigenen Kindheit erinnert.
Vielleicht wurden wir dafür kritisiert, wenn wir nicht schnell genug waren, nicht ordentlich genug, wenn wir gekleckert haben. Oder wir haben als Kind erleben müssen, dass unsere Stimme nicht zählt oder dass wir uns anpassen müssen. Die Art und Weise, wie mit uns umgegangen, wurde prägt unser eigenes Verhalten als Erwachsene.
Darüber hinaus herrscht angesichts der akuten Personalknappheit ein erhöhter Stresspegel, und das ist alles andere als hilfreich für den achtsamen Umgang mit den persönlichen Auslösern (Triggern).
Selbstreflexion ist ein wichtiger Teil der pädagogischen Arbeit.
Unter Stress reagieren wir meist eher in den uns gewohnten Verhaltensweisen. Und das sind nicht immer die besten. Oft sind es die schädlichsten Muster für uns selbst und für die anderen, die dann zum Vorschein kommen und unser Fühlen und Handeln bestimmen. Sogar wenn wir ausreichend Personal haben, kann es sein, dass zerstörerische Muster das Ruder übernehmen und einem wertschätzenden Umgang mit Kindern und Kolleginnen im Weg stehen.
Selbstreflexion ist für mich ein wichtiger Teil der pädagogischen Arbeit. Und auch hier hilft mir die Achtsamkeit, klarer zu sehen. Je nach Einrichtung gibt es für die Teams Angebote zur Supervision, Fortbildungen und ähnliche unterstützende Angebote für die Fachkräfte. Doch jede:r Psychotherapeut:in wird in der Ausbildung selbst therapeutisch begleitet. Ich frage mich oft, warum das nicht auch für die Menschen gilt, die Kinder in der sensiblen Phase der ersten Lebensjahre begleiten? Vieles geschieht hier noch in Eigeninitiative.
Gerade in Kitas wirken die kollektiven gesellschaftlichen Prägungen von Erziehung am meisten, und ich bin immer wieder herausgefordert, genau zu schauen, was meine Werten sind und wie ich diese umsetzen kann.
So suchte ich mir eine Einrichtung, die eine bedürfnisorientierte Haltung vorzieht. Eine Haltung, in der die Gefühle und Bedürfnisse des Kindes ernst genommen werden, in denen das Nein eines Kindes respektiert wird. Diese Haltung fordert uns Erwachsene heraus.
Wir müssen unsere Macht gegenüber den Kindern in Frage stellen und bestimmte Vorstellungen von Erziehung über Bord werfen. Die Kinder achtsam in ihren Gefühlen zu begleiten und in ihrer Ganzheit willkommen zu heißen, bedeutet uns selbst dasselbe zuzugestehen. Denn dann schaffen wir eine Grundlage, sodass nicht nur die Kinder ihr Potential entfalten können.
Wir sind aufgefordert Verantwortung für uns selbst zu übernehmen. Dabei kann Selbstreflexion im Team uns weiter bringen. Im besten Fall kann so ein Umfeld geschaffen werden, in dem sich alle wohl und gesehen fühlen.
Theresa Reiser ist Theaterpädagogin. Sie arbeitet derzeit als Erzieherin in einer bedürfnisoriertiert und gewaltfrei ausgerichteten Kita in Berlin und schreibt für AVE über ihre Erfahrungen. Sie hat seit vielen Jahren eine eigene Achtsamkeits- und Meditationspraxis und besucht Fortbildungen in den Bereichen GFK, Achtsamkeit, Selbstmitgefühl.