Johannes Buchmann

„Man muss wissen wohin einen die Achtsamkeit führen soll“

Erem. Prof. Johannes Buchmann unterrichtet als MBSR-Lehrer an der TU Darmstadt Achtsamkeit. Im Interview spricht er über seinen naturwissenschaftlichen Zugang zum Thema und drei wichtige Punkte, um sich zu motivieren und an der Meditationspraxis dranzubleiben.

PORTAL FÜR ACHTSAMKEIT IN DER PÄDAGOGIK

Das Gespräch führte Annette Knüsel

Professor Buchmann, Sie waren bis 2019 Professor für Informatik und Mathematik an der TU Darmstadt. Was hat Sie an der Achtsamkeitspraxis so begeistert, dass Sie beschlossen haben, MBSR-Lehrer zu werden?

Johannes Buchmann: Ich praktiziere die Achtsamkeit seit über 15 Jahren. Damit begonnen habe ich in einer für mich wichtigen Lebenssituation, wo ich mit einigen Herausforderungen konfrontiert war und nach einer Möglichkeit suchte, damit umzugehen. Es hatte eine sehr positive Wirkung in meinem Leben. Daher wollte ich das nach meiner Pensionierung weitergeben.

Sie bieten MBSR-Kurse an der Hochschule an – wie kam es dazu?

Buchmann: Das Gesundheitsmanagement der TU Darmstadt hat eine Kooperation mit der Techniker Krankenkasse und hatte Interesse, MBSR-Kurse in das Programm aufzunehmen. Die TU hat etwa 5000 Mitarbeiter und alle können kostenlos daran teilnehmen.

Nun ist es ja auch so, dass man an der Hochschule sicher überdurchschnittlich viele Leute trifft, die es gewohnt sind, Probleme kognitiv zu lösen. In der Achtsamkeit geht es viel darum, die Erfahrungen ins Herz sinken lassen. Wie berücksichtigen Sie das?

Buchmann: Sie haben jetzt gesagt „ins Herz sinken lassen“, das ist eine schöne Metapher. Ich habe mir viele Jahre sehr genau angeguckt, was neurobiologisch hinter dieser Metapher steckt. Mein Zugang dazu ist naturwissenschaftlich.

Ich gebe mal ein Beispiel: Wenn Sie eine Sportmedizinerin sind und Sie erklären Leuten, die für einen Marathonlauf trainieren, welche Muskeln wo sind und welche Übungen welche Muskeln trainieren, dann hilft ihnen das. Sie verstehen, welche Prozesse ablaufen und erkennen, wie sie selbstwirksam Einfluss darauf nehmen können. Und so ist es in meinen Kursen: Ich versuche, die Abläufe bei der Meditation oder wenn man Achtsamkeit im Alltag übt aus dieser psychologisch-neurobiologischen Sicht zu beschreiben und zu begründen.

„Mal das Herz sprechen lassen“, das ist so ne Sache, finde ich. Denn wenn Sie mal gucken, was Intuition ist, dann lernen Sie, dass Intuition natürlich neurobiologisch gesehen Mustererkennung ist. Für eine gute Intuition müssen Sie dafür sorgen, die Muster in Ihrem Gehirn so anzulegen, dass Sie nachher adäquat reagieren! Also, kurze Antwort auf die Frage: Es geht auch darum, die eigene Intuition zu verstehen und zu trainieren.

Die Kursteilnehmer in meinen Kursen an der Hochschule sind übrigens nicht nur Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sondern genauso administrativ-technisches Personal: Leute, die in Sekretariaten arbeiten, Techniker, die im Hochschulrechenzentrum arbeiten. Und ehrlich gesagt: Wenn man’s gut erklärt und die Menschen sich darauf einlassen, kann es allen helfen.

Das erklärt vielleicht auch den großen Erfolg der neurowissenschaftlichen Forschung in diesem Gebiet. Weil sie einfach Aha-Erlebnisse liefert.

Buchmann: Ja, erstens gibt’s Aha-Erlebnisse. Und zweitens gibt es Hinweise darauf, welche Übung was bewirkt. Wir wissen ja, dass eine wichtige Folge des Achtsamkeitstrainings die Steigerung der Selbstregulationsfähigkeit ist. Wenn Sie in der Meditation sitzen und die Aufmerksamkeit immer wieder auf Ihren Atem lenken – das stärkt Ihre Kompetenz, die Aufmerksamkeit zu steuern.

Was sind denn nach Ihrer Erfahrung beim Unterrichten die „erfolgskritischen“ Punkte? Also, was ist wichtig beim Unterrichten, damit die Teilnehmenden zu ihrem Ziel kommen können?

Buchmann: Das MBSR-Curriculum selbst ist ja sehr erfahrungsorientiert. Insofern ist es wichtig, Erfahrungsräume zu schaffen. Wo auch Stille da ist. Wo Zeit da ist. Wo Fragen entstehen können an sich selbst. Als Lehrender machen wir so ein Framing: „Ich unterstütze euch dabei, für euch selbst und miteinander Erfahrungen zu machen. Und dafür biete ich den Rahmen.“

Jeder und jede kommt mit der eigenen Geschichte, den eigenen Wünschen. Und in diesem Erfahrungsraum findet etwas statt: Die Menschen können die Übungen kennenlernen und herausfinden, was ihren eigenen Wünschen, Perspektiven, Visionen, Vorstellungen entspricht. Das finde ich wichtig, immer wieder. Die Teilnehmenden lernen, mit Offenheit und ohne Bewertung wahrzunehmen.

So einen Erfahrungsraum zu entdecken, kann eine starke Motivation sein, sich auch zu Hause aufs Kissen zu setzen, jeden Tag sich die Zeit frei zu räumen. Reicht das, oder was braucht es noch?

Buchmann: Bei der Achtsamkeits- und Meditationspraxis geht es damit los, dass Sie sich bewusst dazu entscheiden. Sie müssen sagen, das ist es mir wert. Jon Kabat-Zinn, der MBSR-Gründer, schreibt in seinem grundlegenden Buch*, dass man „eine Vision haben“ sollte, wohin einen die Praxis bringen soll. Damit beginnt es: Wer willst du sein, was motiviert dich, das zu machen? Und das auch immer lebendig zu halten. In meinen offenen Meditationsabenden stelle ich das oft an den Anfang. Ich sage: Vergegenwärtige dir, warum du hier sitzt.

Und das zweite Wichtige ist Regelmäßigkeit beim Üben. Und da muss man klar sagen: Das machen einige, ja, und andere nicht. Ich glaube, dass vielen auch einfach die Erfahrung hilft, einmal achtsam zu leben in den sieben Kurs-Wochen. Wenn sie aber den vollen Vorteil haben wollen, dann sollten sie regelmäßig meditieren üben.

Dabei hilft auch ein fester Platz im Tagesablauf und sich nicht jeden Morgen neu zu überlegen: Wann mache ich das heute? Schaff dir einen Ort in deinem persönlichen Lebensraum, einen kleinen Ort. Häng ein paar Bilder auf, leg ein Kissen hin. Wenn du daran vorbeikommst, erinnerst du dich daran, dass du es machen willst. Also, pack dein Kissen nicht immer wieder in den Schrank. Ritualisiere das. Das ist, glaube ich, ein ganz wichtiger Punkt.

Und das Letzte ist auch wichtig: Such dir immer den Kontakt mit anderen, die das auch gut finden. Dann bestärkt ihr euch gegenseitig, dass das eine gute Sache ist.

Was müsste passieren damit dieser Kreis von Leuten, die das gut finden, grösser wird, damit das Thema Achtsamkeit von der Politik, von der Gesellschaft stärker gefördert wird?

Buchmann: Ich bin der Meinung: früh beginnen. Man sollte Achtsamkeit in den Ausbildungskontext integrieren, das heißt in Schulen und auch in Kindergärten. In Ländern wie England und Amerika ist das – wenn ich das recht sehe – schon viel üblicher. Wir sollten ein Bewusstsein dafür schaffen, dass Geistestraining und die Entwicklung der Sebstregulationskompetenz für das eigene Leben und die Gesellschaft in jeder Beziehung wichtig sind und dass sie eingeübt werden können.

Herr Buchmann, vielen Dank für das Gespräch.

 

Prof. Johannes Buchmann studierte Mathematik, Physik, Pädagogik und Philosophie an der Universität zu Köln. Erstes (1979) und zweites (1984) Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien. Promotion (1982) und Habilitation (1988) in Mathematik. Professor für Informatik an der Universität des Saarlandes (1988 – 1996) und der TU Darmstadt (1996 – 2019).  Als MBSR Lehrer arbeitet er in Darmstadt. Mehr über sein aktuelles Angebot lesen Sie hier.

*Jon Kabat-Zinn, Full Catastrophe Living, How to cope with stress, pain and illness using mindfulness meditation, Revised Edition 2013

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  • Johannes Buchmann: privat