Foto Student:innen meditieren

Mindful Leadership – von der Hochschule in die Gesellschaft

In den Kursen des neuen Osnabrücker Hochschulprogramms lernen Studierende achtsamkeitsbasierte Techniken und Ansätze kennen. Sie werden sensibilisiert und befähigt, ihre mögliche Führungsrolle in der Gesellschaft zum Wohle aller aktiv wahrzunehmen.

PORTAL FÜR ACHTSAMKEIT IN DER PÄDAGOGIK

Im Jahr 2017 entschloss sich der Präsident der Hochschule Osnabrück, Andreas Bertram, achtsames und mitfühlendes Handeln fest in der Arbeitskultur der Hochschule zu verankern. Um dieses Vorhaben umzusetzen, rief er ein neues Programm ins Leben: Mindful Leadership. Die Leitung der Initiative bekam Christiane Leiste, eine Pädagogin, Coachin und Meditationslehrerin (ausgebildet bei dem amerikanischen Meditationslehrer Jack Kornfield).

Die ersten Jahre waren eine Phase des Ausprobierens: Kurse für Mitarbeiter:innen, Vorlesungen, Tagungen. Schließlich entstanden verschiedene konkrete Projekte: Ein Studienmodul, zwei Zertifizierungskurse, MBSR-Kurse für Lehrende der Hochschule, sowie offene Meditations- und Yogakurse für Student:innen im eigens dafür eingerichteten „Raum der Achtsamkeit“. Durch die leidenschaftliche Umsetzung dieser Angebote wird Achtsamkeit heute nicht mehr nur an der Hochschule integriert, sondern auch von dort aus in die Gesellschaft getragen.

Das Studienmodul, welches ebenfalls den Titel Mindful Leadership trägt, leitet Christiane Leiste als Dozentin selbst. Es hatte im Wintersemester 2020 sein Debut, umfasst vier Semesterwochenstunden und geht mit fünf Leistungspunkten in die Studienleistung ein.

Die Programmleiterin startete mit drei parallelen Gruppen à 20 Teilnehmer:innen. Für sie ist es eine Herzensangelegenheit: Sie bringt Studierenden bei, wie sie eine achtsame Haltung entwickeln und diese in ihr späteres berufliches Wirken einfließen lassen können. Ein ganzes Semester lang setzen sie sich neben den typischen Achtsamkeitsübungen auch mit Themen wie Kommunikation und Konfliktlösung auseinander.

Hierfür fließen Ideen zur ganzheitlichen Prozessgestaltung aus der Theory U nach Otto Scharmer ebenso ein wie Elemente aus der Methode Lewis Deep Democracy nach Myrna und Greg Lewis. Diese zielt darauf ab, bei Prozessen der Entscheidungsfindung die tieferliegenden Gefühle und Überzeugungen aller Beteiligten mit einzubeziehen und jede Stimme hörbar zu machen.

Achtsamkeit lernen als Prozess, der dokumentiert wird

Zu den Aufgaben der Modulteilnehmer:innen gehören sowohl eine tägliche Meditationspraxis als auch das Führen eines Lerntagebuchs. Letzteres stellt die Prüfungsleistung dar. Als Dozentin findet Christiane Leiste in diesen Tagebüchern aber auch ein wertvolles und motivierendes Feedback. Ihre Lektüre beschreibt sie als intensiv und bewegend, denn sie bilden die individuelle Entwicklung der einzelnen Teilnehmer:innen auf eindrucksvolle Weise ab.

Der Lernprozess beginnt nämlich nicht bei allen mit purer Begeisterung für das Thema. Manche Student:innen schreiben in den ersten Wochen über Aggressionen, sind genervt davon, dass ständig auf die achtsame Haltung beharrt wird. Doch die letzten Seiten zeugen dann bei allen von Dankbarkeit und Wertschätzung für das, was sie gelernt haben.

Um diesen Wert auch im allgemeinen Hochschulleben anzuerkennen, ist das Modul im zweiten Durchgang als Wahlpflichtfach für alle Studiengänge offen. Damit verbunden sind auch Hoffnungen, dass die Akzeptanz für Achtsamkeit innerhalb der Hochschule weiter wächst.

Denn Stress und Leistungsdruck sind für viele Studierende hoch. Hier kann das Achtsamkeitstraining sehr hilfreich sein, wie Leiste beobachtet: „In dem Modul finden sie einen neuen Zugang zu sich und zum Menschsein“.

Ha Vinh Tho ist Dozent für „Bruttonationalglück“

Für die anderen Kurse des Programms Mindful Leadership konnte man weitere namenhafte Dozenten gewinnen. Der Diplom-Psychologe Boris Bornemann ist einer von ihnen. Er leitet die MBSR-Kurse für Lehrende der Hochschule. Bornemann hat in der Arbeitsgruppe von Tania Singer am Max-Planck-Institut in Leipzig am ReSource Projekt mitgewirkt, einer weltweit einzigartigen und groß angelegten Studien zu Meditation und mentalem Training. In diesem Zusammenhang promovierte er auch. Und er ist Herausgeber der Meditations-App Balloon.

Ein besonders hervorzuhebendes Mitglied des Mindful Leadership Teams ist Ha Vinh Tho. Er gehört zu den Dozenten des Zertifizierungskurses mit dem Titel Gross National Happiness – „Bruttonationalglück“. Dieser ist angelehnt an das gleichnamige Zentrum in Bhutan, das der ehemalige König des Landes, Jigme Singye Wangchuck, während seiner Amtszeit gründen lies, nachdem er öffentlich das Glück seiner Bürger zum Staatsziel erklärt hatte.

Die Teilnehmer:innen dieses öffentlich zugänglichen Zertifizierungskurses kommen aus so unterschiedlichen Bereichen wie Wirtschaft, Gesundheit und Pädagogik. Der Kurs bietet ihnen einen Transformationsprozess. Dieser soll ihnen die Verantwortung ihrer Führungsrolle bewusst machen und sie befähigen, diese im Einklang mit dem Wohl unserer Gesellschaft und des ganzen Planeten aktiv wahrzunehmen.

Als Hochschullehrer:in Achtsamkeit in die Lehre einbinden

Der zweite Zertifizierungskurs schließlich, richtet sich an Hochschullehrende, die Wege suchen, um Achtsamkeit in ihre Lehre einzubinden. Dafür erarbeiten und erproben sie während des Kurses ganz unterschiedliche und individuelle Ansätze: von einer Minute der Stille am Anfang der Vorlesung bis zur achtsameren und demokratischeren Gestaltung des Lehrprozesses insgesamt. Der Kurs ist eine Kooperation mit der Universität Frankfurt und dem Thüringer Modellprojekt für achtsame Hochschulen und findet im Turnus an einem der drei Standpunkte statt.

Leiste hofft, dass die verschiedenen Angebote bei ihren Teilnehmer:innen nachhaltig wirken und dass sie ihre Erfahrungen in ihre zukünftige Arbeit und ihren Führungsstil einbinden. Denn dafür steht Mindful Leadership:

Dass Führungspersonen eine Verbindung zu sich selbst finden und sich so der Wirkung ihrer Gedanken, Gefühle und Handlungen bewusst werden; dass sie die Meinungen von Minderheiten als wertvoll erkennen; dass sie nicht abwerten, sondern ermutigen; nicht nur erlauben, sondern ermöglichen und dass sie die Erde als unseren einzigen Lebensraum wertschätzen und respektieren.

Kurz gesagt und mit den Worten von Christiane Leiste: „Am Ende steht der Wunsch, die Welt zu verbessern“.

Lukas Lamoller

Lukas Lamoller ist Biochemiker. Er meditiert seit einigen Jahren und übt sich in der achtsamen Haltung. Besonders interessiert er sich für die wissenschaftliche Forschung zum Thema Achtsamkeit und Meditation - außerdem schreibt er gern. 2020 ist er per Quereinstieg als Lehrer an eine Hamburger Stadtteilschule gekommen. Hier unterrichtet er derzeit eine 8. Klasse.

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