Philosophie bedeutet wörtlich übersetzt „die Liebe zur Weisheit.“ Wenn wir mit Kindern philosophieren, gehen wir gemeinsam ins Gespräch, um unsere Antworten und damit vielleicht die „Weisheit“ auf die großen Fragen des Lebens zu finden. Auf diesem Weg gilt es, aufmerksam zu sein.
Als Eltern oder als Pädagog:in führen wir die Kinder durch das Gespräch. Wir achten auf die Einhaltung der Gesprächsregeln und schaffen eine auf Vertrauen und Achtung basierende Atmosphäre.
Wir zeigen echtes Interesse an den verschiedensten Gedanken und Äußerungen der Kinder, hören aktiv zu und stellen weiterführende Nachfragen. Wir ermutigen Kinder immer wieder, bei sich selbst nachzuforschen und unterschiedliche Meinungen neugierig zu untersuchen, anstatt sie als Bedrohung oder Angriff zu sehen. Sich auf die Sichtweise des anderen einzulassen, verändert auch die eigene – und hierbei sind Kinder und Erwachsene gleichermaßen gemeint.
Weitaus bedeutsamer als das Ergebnis eines philosophischen Gesprächs ist also der gemeinsame Weg – das gemeinsame Suchen nach Antworten auf die großen Fragen des Lebens.
Warum mit Kindern philosophieren?
Nun zum einen, weil Kinder eine natürliche Gabe dafür haben und zum anderen, weil Denken ein Grundbedürfnis ist. Kinder staunen über die Welt. Sie sind neugierig, stellen immer wieder Sinnzusammenhänge her, versuchen die Welt um sie herum zu verstehen.
Dabei stellen Kinder Fragen. Fragen, die für uns Erwachsene leicht oder mit einem schnellen Blick auf Wikipedia zu beantworten sind: „Warum schrumpeln Finger beim Baden?“ oder „Warum folgt nach dem Blitz ein Donner?“
Auf manche Fragen jedoch finden wir keine schnelle oder eindeutig richtige Antwort und manchmal überfordern sie uns auch. Etwa, wenn ein Kind wissen will: „Ist jede Seele einzigartig oder hat man innerhalb der Familie eine gleiche Seele?“, „Warum hat Max das getan, wenn er doch mein Freund ist?“ „Ist später früher als nachher?“
Was antworte ich da? Am besten, ich stelle erst einmal eine Rückfrage, denn diese Fragen verlangen nach einem Gespräch und keiner schnellen Antwort. „Wieso fragst Du mich das?“, „Wie könnte es denn sein?“ oder „Was hast du dir denn schon dazu gedacht?“ Solche Rückfragen erreichen, dass Kinder die eigene Denkfähigkeit entdecken, dass sie lustvoll ihre Phantasie einsetzen und selbst Antworten formulieren.
Ein kurzer Auszug aus einem Gespräch über Glück mit Vorschulkindern veranschaulicht, wie Kinder ihre eigenen Gedanken entwickeln und ich sie dabei begleite.
Das Glück wacht auf, wenn etwas Schönes passiert. Paul (6 Jahre)
Pädagogin: Über welches große Gefühl haben wir beim letzten Mal gesprochen? Lasse: Über das Glück. Pädagogin: Könnt ihr euch noch erinnern, wo ihr das Glück im Körper spürt? Wo im Körper spürst du das Glück? Karl: Ich spüre es im Kopf und im Herzen, der Kopf wird dann ganz heiß und mein Herz springt. Konstantin: In den Füßen, die kribbeln dann. (…) Paul: In der Seele, aber ich weiß nicht, wo die Seele ist. Ich glaube, überall im Körper und das Glück spüre ich auch überall. (…)
Pädagogin: Woher kommt denn das Glück? Ava: Wenn meine Freundin mit mir spielt, freue ich mich. Linus: Gestern als ich im Garten mit Konstantin geklettert bin. (…) Pädagogin: Also, kommt das Glück von außen? Wir sind glücklich, wenn wir mit einem Freund, einer Freundin spielen, Geschenke bekommen, mit dem Papa einen Ausflug machen? Paul: Von außen sehe ich das Glück, oder ist es drinnen? Pädagogin: Was meinst du damit Paul? Gibt es auch ein inneres Glück? Paul: Ja, es ist manchmal einfach da. Vielleicht ist es immer da, aber es wacht nur auf, wenn etwas Schönes passiert!
Wenn wir mit Kindern philosophieren, geben wir ihnen die Möglichkeit, ihre Fragen, ihre Gedanken, Ideen und Antworten unbefangen und unbewertet zu äußern! Jeder Gedanke, jede Idee ist wichtig.
Das heißt aber nicht, dass das Gespräch beliebig wird und wir uns zusammensetzen und jede(r) sagt, was er/sie dazu denkt. Es geht auch darum, dass wir durch weiterführende Fragen und Impulse, Widersprüche aufdecken, nachfragen, nach Begründungen und Beispielen fragen, um zu verstehen, wie kommt das Kind auf diesen Gedanken.
Eva Zoller-Morf, eine Kinderphilosophin aus der Schweiz, spricht in diesem Zusammenhang von sogenannten Hebammenfragen, also Fragen, die den Gedanken helfen, auf die Welt zu kommen, wie zum Beispiel:
- Woran merkst du, dass du glücklich bist?
- Wo sitzt das Gefühl im Körper?
- Was brauchst du, um das Glück spüren zu können?
- Erklärst du es noch einmal mit anderen Worten!
- Habe ich dich richtig verstanden?
- Gilt das nur für Kinder oder auch Erwachsene?
- Ist das nur heute so oder gilt der Gedanke morgen auch noch?
Wie beginne ich das Gespräch?
Kinder brauchen Anregungen in Form von Situationen, Fragestellungen, Geschichten oder Bilderbüchern, die ihre Vorstellungs- und Einbildungskraft herausfordern. Auch eine kreative Auseinandersetzung etwa Malen, Basteln kann als Zugang dienen und Kinder zum Denken motivieren.
Im oben genannten Beispiel hatte ich die Kinder aufgefordert zu malen, wo im Körper sie Glück spüren. Die Bilder dienten als Einstieg in das weitere Gespräch. Mit den „Hebammenfragen“ begleite ich die Kinder durch das Gespräch. Wichtigste Voraussetzung dabei ist, dass ich keine definitiven Antworten auf die Fragen habe, sondern offen und interessiert bin.
Meine Aufgabe ist es auch, die Kinder dabei zu unterstützen, miteinander ins Gespräch zu kommen, so dass sie ihre eigenen Antworten finden. Ich begleite das Gespräch, ohne es zu lenken oder die Aussagen der Kinder zu bewerten. Dies bedeutet, dass ich wirklich da und präsent bin.
Inhaltlich halte ich mich zurück, außer die Kinder stellen mir persönlich die Frage: Wie siehst du das? Die Erfahrung zeigt, dass wenn wir als Erwachsene unsere Gedanken einbringen das Gespräch oft stoppt, weil Kinder dann annehmen, dass sei die „richtige“ Antwort. Deshalb lieber mit der eigenen Meinung zurückhalten!
Den Körper mit ins Boot holen
Philosophieren verlangt nach einem ruhigen, konzentrierten Raum, in dem Kinder Lust haben nachzudenken und sich jedes Kind sicher fühlt, seine Ideen frei zu äußern. Wie schaffe ich diese Atmosphäre? Zum Beispiel über Rituale, die das Gespräch begleiten.
Ich praktiziere zu Beginn immer eine Atemübung, eine Körperreise oder eine bewegte Meditation (Yogaübungen) mit den Kindern, um sie aus dem Kopf in den Körper zu holen. Durch dieses wiederkehrende Ritual erfahren sich die Kinder auch auf körperlicher Ebene. Sie kommen zur Ruhe und sie stimmen sich gleichzeitig auf das Gespräch ein.
„Wie fühlt sich dein Körper jetzt gerade an?“ ist meine erste Frage. Bevor wir inhaltlich in das Gespräch einsteigen, hat jedes Kind und auch ich die Möglichkeit, den anderen zu beschreiben, wie sich sein Körper im Moment anfühlt, oder was es während der Atemübung, der Körperreise beobachtet hat.
Ganz am Ende des Gesprächs fordere ich die Kinder auf, die Augen zu schließen, dem Atem zu lauschen und ich stelle die Frage erneut. Es ist erstaunlich, wie sich die Antworten in der Abschlussrunde oft von denen zu Beginn unterscheiden.
Welche Regeln gibt es?
Wenn wir philosophieren, geht es darum, dass wir eine Gesprächskultur entwickeln, in der jedes Kind gesehen und wirklich gehört wird. Es gilt das Prinzip der Freiwilligkeit. Man darf bei diesen Gesprächen auch „nur“ zuhören.
Um dem Gesprächsverlauf eine Form zu geben, nutze ich einen Gesprächsball. Dieser Ball ist ein Zeichen, dass dem Kind zugehört wird, das den Ball in Händen hat. Alle anderen Kinder sind still. Auf diese Regel achte ich penibel.
Nach jedem Redebeitrag geht der Ball an mich zurück, was dazu führt, dass das Gespräch enorm „entschleunigt“ wird. Es lässt den Kindern und mir Zeit und Raum zum Denken. Soll heißen, wir müssen am Ende kein Ziel erreichen. Es muss am Ende kein Ergebnis stehen.
Wir haben Zeit zum Nachdenken, zum Worte finden und zum Formulieren unserer Ideen und Gedanken, zum Zuhören, zum Nachfragen. Schließlich sind es auch schwere Fragen, mit denen wir uns beschäftigen.
Am Ende ist es wichtig, für die Kinder den Gesprächsverlauf (den roten Faden des Gesprächs) noch einmal in Erinnerung zu rufen. Entweder fasse ich das Gespräch mit meinen Worten zusammen oder ich frage die Kinder:
- Was nimmst du aus dem Gespräch mit?
- Was war interessant für dich?
- Was war neu?
Philosophieren ist eine Aktivität, durch die Gemeinschaft entsteht. Es werden nicht nur Informationen ausgetauscht, sondern Verbindungen geschaffen, deshalb geht es nicht nur um das Was, sondern auch um das auf welche Art und Weise wir mit Kindern über diese Fragen nachdenken.
Katharina Bralo-Zeitler
Katharina Bralo-Zeitler, Siehst du die Welt auch so wie ich? Mit Kindern fragen, nachdenken, Werte erfahren, Herder 2010
Wie Erwachsene und Kinder gemeinsam in der Kita und Vorschule philosophischen Fragen nachgehen, Antworten suchen und dabei viel über sich selbst und einander erfahren können, zeigt dieses Buch. Mit Beispiel-Einheiten zu zentralen Kinderfragen und praktischen Arbeitsmaterialien.“
Katharina Bralo-Zeitler ist Dozentin in der Erwachsenbildung, Yoga- und Meditationslehrerin. Sie war Projektleiterin in der Akademie "Kinder philosophieren" und dort u.a. für die philosophisch-pädagogischen Projekte für Kitas und Schulen zuständig. Zu ihren Themen Philosophieren mit Kindern und Jugendlichen, Wertebildung, sowie gesunde und bewusste Lebensführung bietet sie Workshops, Weiterbildungen und Einzelcoachings an. Hier kommen Sie auf ihre Seite.