Mobbing

Mobbing in der Schule – zu oft bagatellisiert

„Es braucht eine Haltung der Null-Toleranz bei Gewalt, erklärt Brigitte Schröder, Expertin für Mobbingprävention. Mehr Achtsamkeit in der Schule sei ein Ansatz, aber es Lehrkräfte sollten auch Wissen über Machtverhältnisse, Missbrauch und Gewalt haben.

PORTAL FÜR ACHTSAMKEIT IN DER PÄDAGOGIK

Das Gespräch führte Maria Köpf.

Frau Schröder, was genau ist eigentlich „Mobbing“?

Mag. Brigitte Schröder: Tatsächlich wird oft vorschnell und dramatisierend von Mobbing gesprochen. Wesentlich für Mobbing sind folgende Aspekte: Schädigungsabsicht, Wiederholungsaspekt und Machtungleichgewicht. Und: Mobbing ist nur im sozialen Kontext zu verstehen, das unterscheidet Mobbing von Konflikten zwischen zwei oder wenigen Personen.

Die betroffenen Personen sind in gewisser Weise hilflos.  Es muss auch bewusst sein, dass erkannte Mobbinghandlungen meist nur die Spitze eines Eisbergs sind. Man kann Mobbing nicht auf kausale Ursache-Wirkungs-Prozesse zurückführen, weil Mobbing eine interpersonale Dynamik hat.

Wie Mobbing entsteht und wie es sich entwickelt, hängt nicht von einzelne Personen ab, es müssen alle Beteiligten in ihren jeweiligen Rollen miteinbezogen werden. Bei Cyber-Mobbing sind nur die Ausmaße oft nicht mehr absehbar.

Welche Rollen gibt es bei einem Mobbing-Szenarium?

Schröder: Typische Rollen sind die der Täter*innen und die Betroffenen. Zudem gibt es die Rollen der Assistierenden, der Verstärkenden, der Außenstehenden. Der Verstärker intensiviert schädigende Handlungen der Täter*innen durch Zusehen, Lachen oder Anfeuern. Außenstehende oder Zuseher mischen sich nicht ein – sie nehmen Mobbinghandlungen wahr, helfen den Betroffenen jedoch nicht und lassen den Täter*innen freie Entfaltung.

Es kann auch die Rolle der Unterstützer*innen geben. Sie stellen sich – was oft schwierig ist – auf die Seite der betroffenen Person und versuchen aktiv, Hilfe zu organisieren.

Bei dem Thema ist ein systemischer Zugang unverzichtbar – egal ob es um eine Familie, eine Klasse, ein Kollegium oder eine ganze Schule geht. Wenn man allzu schnell Täter oder Opfer benennt, kann das Schaden anrichten.

Wenn man allzu schnell Täter oder Opfer benennt, kann das Schaden anrichten.

Was halten Sie von achtsamkeitsbasierter Arbeit als Gewalt- und Mobbingvorbeugung?

Schröder: Ein achtsames Miteinander ist immer wichtig. In der Gestaltung von Beziehungen geht es um mehrheitsfähige Werte und Haltungen in einer Gesellschaft. Vorurteile, Rücksichtslosigkeit und Machtmissbrauch sowie Grenzüberschreitungen werden oft bagatellisiert, Diversität ist vielen Menschen noch ein Fremdwort.

Im Grunde richtige Aussagen wie „Das Kind steht in schulischen Lernprozessen im Mittelpunkt“ verkommen leicht zur hohlen Phrase. Hinterfragt man das konkrete Handeln, sind wir in Österreich beispielsweise noch nicht weit genug von unangemessenem autoritärem Handeln und ängstlicher Pflichterfüllung entfernt. Zu Ihrer Frage möchte ich nicht unerwähnt lassen: Es bedarf auch eines Wissens über Machtverhältnisse, Missbrauch und Gewalt.

Wie entsteht bei jemandem die Tendenz, jemand anderen zu mobben?           

Schröder: Das kann viele Gründe haben. Es gibt Kinder, die nie gelernt haben, einem Menschen zu vertrauen.  Manche Kinder mit Erfahrungen häuslicher Gewalt haben nie erlebt, wie es ist, wenn untereinander Respekt, Empathie, Achtung von Grenzen herrschen.

Vielen Täter*innen mangelt es an Selbstwert und der Erfahrung  unterstützender Beziehungen in der Familie, zu Freund*innen oder Mitschüler*innen. Wenn Menschen lernen, tragfähige Beziehungen ohne Machtausübung, Ängste, Drohungen und Gewalt zu gestalten, ist das der beste Schutz, nicht Teil eines Mobbingsystems zu werden.

Pädagog*innen müssten für Gewaltvorkommen sensibilisiert werden – gerade wenn es um Achtsamkeit geht.

Und wie kann man solchen gesellschaftlichen Grundzuständen achtsam, stress- und angstlösend begegnen?

Schröder: Durch eine gesellschaftlich geförderte Grundhaltung einer Null-Toleranz bei Gewalt, durch Persönlichkeitsstärkung und Gestaltung sozialverträglicher Beziehungen ab der Geburt, im Kindergarten und an Schulen. Es müsste der gesetzliche Rahmen in Bildungseinrichtungen geschaffen werden.

Pädagog*innen müssten gezielt ausgebildet und für Gewaltvorkommen sensibilisiert werden – gerade wenn es um Achtsamkeit als professionelles Anliegen im Schulalltag geht. Gelegentlich Achtsamkeitsübungen im Unterricht einzubauen und sich um gewaltvermeidende Kommunikation zu bemühen, ist ein Ansatz, aber nicht einmal ein Tropfen auf dem heißen Stein.

Im Fall von Mobbing braucht es ein geplantes, systematisches Vorgehen.

Man hört im Zusammenhang mit Konflikten auch oft etwas von „Mediation“.

Schröder: Grundsätzlich spricht nichts gegen Mediation zur Konfliktbearbeitung. Doch Mobbing ist eben kein Konflikt, daher bringt Mediation bei einem Mobbingverdacht gar nichts, es könnte das Opfer sogar gefährden.

Und was denken Sie über „Mobbinginterventionsteams“ an Schulen – etwa aus geschulten Vertrauenslehrern, Eltern oder Schulangestellten.

Schröder: Im Kontext von Gewaltprävention und Intervention brauchen Schulen Unterstützung und Ressourcen. Dazu zählen besonders ausgebildete Pädagog*innen oder Sozialarbeiter*innen. Ihnen müsste Vertrauen in Bezug auf Lernprobleme, Konflikte, Gewalt und Mobbing seitens der Schüler*innen, Lehrer*innen und Eltern entgegengebracht werden können.

Im Fall von Mobbing bewährt sich ein Schulinterventionsteam, das externe Kräfte einbezieht und darauf achtet, dass nach geklärten Vorfällen der Prävention ein besonderer Stellenwert eingeräumt wird. Dieses geplante, systematische Vorgehen im Ernstfall nennt man Case-Management.

Mobbing ist kein Konflikt, daher bringt Mediation hier gar nichts, es könnte das Opfer sogar gefährden.

Welche Ressourcen brauchen Pädagogen, um gut arbeiten zu können?

Schröder: Wenn ich gut für mich sorgen kann, lerne ich, der unveränderbaren Wirklichkeit sozialverträglich zu begegnen. Wenn die Arbeit der Pädagog*innen nicht aufeinander abgestimmt ist und es für Maßnahmen zu einem gewaltfreien Schul- und Klassenklima wenig Zeit und Verständnis gibt, bleibt Einzelengagement ohne Breitenwirkung.

Wichtig ist auch, welche Leistungen der Gesetzgeber von Schüler*innen und Pädagog*innen verlangt und welchen Wert Persönlichkeitsstärkung, sozio-emotionale Kompetenzen und psychosoziale Gesundheit als Bildungsziel haben.

Es gibt bereits an manchen Schulen gezielte Mobbinginterventionen.   

Schröder: Man muss zwischen Prävention und Intervention unterscheiden. Schulen arbeiten präventiv, wenn sie auf persönlicher Ebene durch Persönlichkeitsstärkung, Vertrauensaufbau und Null-Toleranz von Gewalt wirken. Sie können Prävention in den Klassen und Kollegien zu einem gemeinsamen Anliegen machen und darauf achten, dass Regeln und Vereinbarungen ernst genommen und eingehalten werden.

Ein Schulleitbild, pädagogische Leitvorstellungen und Kinderschutzkonzepte können einen verbindlichen Handlungsrahmen geben.

Auf der Organisationsebene können ein Schulleitbild, pädagogische Leitvorstellungen und Kinderschutzkonzepte einen verbindlichen Handlungsrahmen geben. Ein Case-Management hilft bei einem Mobbingverdacht unaufgeregt für Schutz zu sorgen, das Geschehene in seiner Komplexität zu erkennen und professionell zu handeln.

Dies ist angesichts der Zunahme von Cyber-Mobbing besonders wichtig. Letztlich muss die ganze Schule einbezogen werden. Die kontinuierliche Zusammenarbeit mit den Eltern darf nicht vernachlässigt werden.

Und wie kann Schule intervenieren, wenn erste Mobbingszenen stattfinden?      

Schröder: Erste Mobbingszenen gibt es aus meiner Sicht nicht. Es gibt Gewaltvorkommen, die den Verdacht auf Mobbing lenken. Worum es wirklich geht, muss sorgsam geklärt werden. Opferschutz muss Priorität haben.

Was können Eltern machen?                                                                                                         

Schröder: Wichtig ist für alle eine Kombination von „Halt sagen und Halt geben“, wie es die Entwicklungspsychologin Francoise Alsaker formuliert hat. Und dann gilt es unter Einbeziehung schulinterner und externer Expert*innen abzuklären, worum es geht.

Eltern können sich ihrer Erziehungsverantwortung bewusst sein, eine vertrauensvolle Beziehung zu ihren Kindern aufbauen, häusliche Gewalt ablehnen, sich für Cyberaktivitäten ihrer Kinder interessieren und sich dafür einsetzen, dass in Schulen Gewalt- und Mobbingprävention Teil der Schulkultur wird.

Es gibt sicher auch „No-Go’s“ bei Mobbing.

Schröder: Eltern sollten das soziale Klima keinesfalls mit Aufgeregtheit, schneller Täterzuschreibung und Panik aufheizen und sich selbst vielleicht unbeabsichtigt zum Teil des (Cyber)Mobbingsystems machen.

Herzlichen Dank für das Interview!

 

Mag. Brigitte Schröder ist studierte Germanistin und Historikerin, unterrichtete an Wiener Gymnasien und beteiligte sich an einem Schulversuch zur Integration verhaltensauffälliger Schüler*innen. Nach einer Zusatzausbildung zur Supervisorin und Organisationsberaterin begleitete sie Schulentwicklungsprozesse und leitete 2008-2018 das staatlich beauftragte ÖZEPS (Österreichisches Zentrum für Persönlichkeitsbildung und soziales Lernen).

 

Weiterführende Infos für Lehrkräfte und Eltern

Kostenlose Elternbroschüre gibt es hier.

Die gut abgestimmte Zusammenarbeit von Eltern und Schule ist bei der Vorbeugung und beim Stoppen von Mobbingvorfällen ein wesentlicher Gelingens-Faktor. Die Broschüre startet darum mit Informationen über das Gruppenphänomen Mobbing und darüber, was Schule gegen Mobbing tun kann. Sie gibt Hinweise, wie Eltern ihre Kinder frühzeitig gegen Mobbing stärken. Sie gibt Tipps und Informationen, was Eltern tun können, wenn ihr Kind von Mobbing in der Schule betroffen ist. Die Broschüre ist kostenlos und kann auch in größerer Stückzahl bei der Aktion Kinder- und Jugendschutz Schleswig-Holstein bestellt werden.

Buchtipp: Das Anti-Mobbing-Buch. Gewalt an der Schule – vorbeugen, erkennen, handeln.

„Eine gelungene Mischung aus Informationen über die Schulpraxis und deren Probleme sowie eine detaillierte und praxisnahe Methoden- und Materialsammlung.“ Pädagogik

„Lehrer können das Buch mit Gewinn nutzen. Tabellen, Stichpunkte, Schaukästen – hier werden wirklich ganz praktische Lösungen geboten.“ Gehirn & Geist

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Fortbildung: Schule gegen Mobbing. Prävention und Intervention systemisch in der Schule verankern

Mobbing und Cybermobbing unter Jugendlichen stellt unsere Gesellschaft, insbesondere Schulen, vor große Herausforderungen. Deshalb ist es wichtig, dass Lehrkräfte die Kompetenzen erlangen, Mobbing zu erkennen und adäquat intervenieren zu können. Lehrkräfte lernen, sowohl präventiv als auch intervenierend einzuschreiten. Das Ziel der Fortbildung ist es, Lösungsansätze für Mobbing sowohl auf individueller als auch auf systemischer Seite in der Schule zu integrieren.

Hier kommen Sie zur Fortbildung.

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  • Mobbing in der Schule: Brycia James / istock