Projekt Bachelor of Being

Junge Menschen suchen Orientierung. In diesem fünfmonatigen Vollzeit-Kurs gehen sie inbesondere drei Fragen nach: Was will ich arbeiten? Wie kann ich gesund bleiben? Wie kann die Welt nachhaltig gestaltet werden?

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Der Bachelor of Being ist ein innovativer fünfmonatiger Vollzeit-Kurs für junge Menschen auf der Suche nach ihrem Weg. Der erste Durchgang startete am 30. Oktober 2021 und endet am 26. März 2022. Alle 25 Teilnehmenden wohnen während des Kurses als Gemeinschaft zusammen. Die Ziele des Kurses sind Beruf(ungs-)findung, Resilienz und Lebensfreude sowie Kompetenzen für eine bessere Welt.

Mike Kauschke sprach mit der Initiatorin Dr. Imke-Marie Badur und zwei Teilnehmenden aus dem Pilot-Kurs.

Imke-Marie Badur, wie sind Sie zu der Gestaltung des Projektes in dieser Form gekommen?

Imke-Marie Badur: Das Curriculum habe ich gemeinsam mit Wolf Schneider und unserem jungen Team konzipiert. Der Leitgedanke war eine umfassende, integrale Bildung. Häufig geht es in der Bildung nur um Kompetenzerwerb im Sinne von einem kognitiven Tun und Machen. Die Dimension des Being, des Seins, kommt oft gar nicht vor. Dazu gehört auch die Persönlichkeitsentwicklung, die in der Schul- und Hochschulbildung viel zu wenig Beachtung findet. Besonders intensiv werden Erfahrungen, wenn die jungen Menschen für einige Monate zusammenleben und Konflikten nicht ausweichen können.

Warum denken Sie, ist es so wichtig, dass junge Menschen so eine Zeit der Orientierung erleben können?

Badur: Diese Zeit ist eine Pause, eine Zäsur. Eine Orientierungsphase, um sich freizumachen von äußeren Erwartungen. Im Bachelor of Being gibt es drei Säulen, die auf drei Problemfelder reagieren. Das eine ist die Berufsorientierung. Viele junge Menschen tun sich da verdammt schwer. Das hat viele Gründe. Die Auswahl ist so groß, aber viele junge Menschen spüren auch, dass die Gesellschaft, so wie sie im Moment funktioniert, nicht die Zukunft sein kann.

Sie fragen sich: Soll ich einen traditionellen Beruf ergreifen, in dem ich dann als kleines Rädchen funktioniere? Oder kann ich das auch irgendwie anders machen? Diese Frage bringt einige unserer Teilnehmer*innen richtig in Not. Sie sehnen sich nach einem anderen Weg, fragen sich aber: Wovon soll ich leben, werde ich arm sein, wenn ich diesen Weg gehe?

Die zweite Säule des Bachelor of Being bezieht sich auf Selbsterfahrung, emotionale Kompetenz und Resilienzförderung. Nach aktuellen Studien fühlen sich 60 Prozent aller jungen Menschen psychisch belastet, sie leiden unter depressiven Phasen, Angststörungen, Zukunftsängsten. Die Therapie-Praxen sind voll, viele junge Menschen finden da überhaupt keinen Platz. Solche Themen werden weder im Abitur noch im freiwilligen sozialen Jahr thematisiert. Wir geben dem Raum durch verschiedene Ansätze wie „das innere Team“, körperorientierte Selbsterfahrung und Training der Beziehungskompetenz.

Was will ich arbeiten? Wie kann ich gesund bleiben? Wie kann die Welt nachhaltig gestaltet werden?

Die dritte Säule ist Nachhaltigkeit. Wie können wir morgen leben? Was brauche ich wirklich? Wie ist mein Konsumverhalten? Um alternative Lebensformen kennenzulernen, organisieren wir auch Besuche bei Lebensgemeinschaften. Durch solche Erfahrungen stoßen wir eine Reflexion an: Welchen Beitrag kann ich leisten, durch mein Konsumverhalten, aber auch durch meine Berufswahl? Bei der Frage nach der eigenen Wirksamkeit schließt sich der Kreis.

Alle drei Säulen müssen zusammen gedacht werden: Was will ich arbeiten? Wie kann ich gesund bleiben? Wie kann die Welt nachhaltig gestaltet werden? Diese Verbindung versuchen wir im Bachelor of Being.

Was hat euch als Teilnehmer und Teilnehmerin bewogen, am Bachelor of Being teilzunehmen?

Sonja: Bei mir war es so, dass ich nicht genau wusste, was ich nach der Schule machen möchte und ich wollte mich erstmal mit Persönlichkeitsentwicklung beschäftigen. Da habe ich von dem Projekt gehört und dachte, das wäre eigentlich perfekt, um die Zeit zwischen Schule und Ausbildung zu überbrücken.

Louis: Bei mir ist komplett andersrum. Ich bin der älteste Teilnehmer. Ich habe die Schule beendet, zwei Ausbildungen gemacht, habe zwei Firmen gehabt und in mehreren Firmen gearbeitet. Für mich war es eine spontane Entscheidung. Ich wollte nochmal Zeit in die Persönlichkeitsentwicklung investieren, um dazu zu lernen und vielleicht meine Berufung neu zu entdecken.

Der Kurs läuft jetzt einige Wochen. Wie ist eure Erfahrung als Teilnehmende nach den ersten Wochen?

Louis: Ich habe ein ganz anderes Level von Rücksichtnahme gelernt. Und viele Skills, wie man Vorträge hält oder Seminare leitet. Und ich habe hier in sechs Wochen mehr wunderbare emotionale Momente erlebt als in den letzten sechs Jahren. Und es gibt spannende Referent*innen zu brisanten Themen. Vor drei Wochen war ein Mensch hier, der sich nicht als Frau oder Mann gesehen hat, sondern als ein individuelles Lebewesen. Das hat einen sehr großen Input reingegeben in die Gruppe.

Hier ist der perfekte Raum, um herauszufinden, wer ich eigentlich bin.

Sonja: Ich kann generell sehr viel mitnehmen, weil ich zu den Jüngsten gehöre und mich noch nicht so viel mit Persönlichkeitsentwicklung beschäftigt habe. Hier ist der perfekte Raum, um herauszufinden, wer ich eigentlich bin. Ich merke, dass ich schon ein ganzes Stückchen selbstbewusster geworden bin. Es gab noch nie eine Gruppe, wo ich mich so wohlgefühlt habe, weil man so sein kann, wie man halt ist.

Und für Sie als Kursleiterin?

Badur: Wir sind beeindruckt, wie gut der Kurs bisher gelungen ist. Unsere inhaltlichen Angebote werden von der Gruppe sehr gut aufgenommen. Aber auch die Teilnehmer*innen bringen ihre Fähigkeiten und Ideen ein, wie zum Beispiel einen Tag mit verbundenen Augen zu verbringen. Oder das morgendliche Eisbaden im Fluss. Oder ein Teilnehmer wollte sich einen ganzen Tag so viel bei den anderen anlehnen dürfen, wie er will. Solche Experimente eröffnen immer neue Erfahrungsräume, die wir unterstützen. So wird es zu einer Lebensschule, auch für mich und uns als Team.

Der Übergang ins Erwachsenenleben ist ja ein bedeutender. In indigenen Traditionen gab es Initiationsriten, Prozesse oder Rituale, die es bei uns nicht mehr gibt. Möchten Sie auch diese Lücke neu ausfüllen?

Badur: Wir nutzen auch Rituale, um diesen Übergang bewusst zu machen. Zum Beispiel unser Begrüßungsritual. Die Teilnehmenden wurden von ihren Eltern gebracht, die ihnen die Teilnahme ermöglicht haben. Es gab eine Begrüßungsrede im Innenhof, die jungen Leute standen in der Mitte des Kreises. Die Eltern, manchmal auch die Partner oder Geschwister, standen dahinter und haben die Hände auf den Rücken der jungen Menschen gelegt. Sie durften noch mal diese Stärkung ihrer Familie im Rücken fühlen.

Für viele junge Leute war es das erste Mal, dass sie mehrere Monate ohne Eltern waren. Es war also ein bedeutsamer Tag. Die jungen Leute sind einen Schritt in die Selbstständigkeit gegangen. Sie durften sich nochmal umwenden, sich bedanken, ihre Familie in den Armen nehmen. Dann haben sie sich der Gruppe zugewandt, die nun für einige Monate ihre neue Familie werden sollte. Solche Rituale haben eine große Kraft und machen einen Übergang bewusst.

Für viele junge Leute war es das erste Mal, dass sie mehrere Monate ohne Eltern waren.

Wie sind die Tage und Wochen strukturiert?

Badur: Von Montag bis Mittwoch bieten wir Workshops mit theoretischen Inputs, Gesprächsimpulsen und vielen praktischen Übungen an. Die restlichen Tage der Woche arbeiten die jungen Menschen an selbstorganisierten Projekten. Da gibt es z.B. Taekwondo, eine Movement Group, einen Literatur-Kreis, eine Flinta-Gruppe für Frauen, Lesben, Inter- und Transsexuelle, Chor und Fotokurs. Es gibt eine aktivistische Gruppe und eine Gruppe, die sich im Foodsharing engagiert und Lebensmittel rettet.

Jeden Morgen führt Wolf Schneider in verschiedene Meditationsformen ein und wir machen eine Einstimmung, in der wir teilen, wie es jedem gerade geht. Am Freitag ist Zeit für ein längeres Sharing. Hinzu kommen noch regelmäßige Einzelcoachings.

Was ist Ihre Vision für den Bachelor of Being in der Zukunft?

Badur: Orientierungsangebote wie der Bachelor of Being könnte eine Institution werden wie das Freiwillige Soziale Jahr. Ich möchte mit dieser Idee auf Tagungen gehen und sie in Ministerien vorstellen. Der Bachelor of Being wird auch durch zwei Studien begleitet. Ich denke, es ist gesellschaftlich wichtig, solche Räume zu schaffen, in denen politische Bildung, Persönlichkeitsentwicklung, Berufsfindung und Bildung für nachhaltige Entwicklung zusammengebracht werden. Die skandinavischen Folkehojskolen sind dabei unser Vorbild.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Hier kommen Sie auf die Internetseite vom Bachelor of Being.

Dr. phil. Imke Marie-Badur ist die Initiatorin, Entwicklerin und Leiterin des Bachelor of Being. Sie ist Mutter eines zwölfjährigen Sohns und wohnt mit ihrem Partner Wolf in Kassel. Ihre Mission sieht sie darin, Berufsorientierung, Persönlichkeitsentwicklung und Bildung für nachhaltige Entwicklung zusammenzudenken. Sie möchte junge Menschen dazu ermutigen, ihrem inneren Ruf zu vertrauen und sich zugleich handfest zu qualifzieren und zu engagieren. Im Sommer 2021 hat sie zu diesem Zweck ein Social Start Up gegründet: die Orientierungszeiten gGmbH, die Träger des Bachelor of Being ist. Auf dieser Seite  macht sie auch andere Orientierungsangebote sichtbar.

Bildquellen dieser Seite anzeigen

  • Bachelor of Being: Markus Hühn
  • Startteam Bachelor of Being: Orientierungszeiten gGmbH
  • Begrüßung: Orientierungszeiten gGmbH
  • Köchinnen: Orientierungszeiten gGmbH
  • Eisbaden: Erik Noetzold
  • Imke-Marie Badur: K. Wyss