Kind mit Pusteblume

Samen der Achtsamkeit säen

Dörte Westphal bringt Achtsamkeit in Kitas und bildet Erzieher*innen aus. Ein Interview über spielerische Achtsamkeit mit Kindern und wie wir sie auch in Konflikten achtsam begleiten können.

PORTAL FÜR ACHTSAMKEIT IN DER PÄDAGOGIK

Das Gespräch führte Birgit Stratmann

Dörte Westphal, mittlerweile gibt es Initiativen, Achtsamkeit auch in den Kindergarten zu tragen. Was ist die Idee dahinter?

Dörte Westphal: Die Idee ist, Samen der Achtsamkeit zu säen. Wir wollen Kinder frühzeitig mit ihren Sinnen vertraut machen und Qualitäten des Wohlwollens fördern. In der Kita ist Achtsamkeit eher experimentell und spielerisch, z.B. den Körper bewusst erfahren, achtsam essen und riechen. Es geht nicht darum, mit kleinen Kindern Achtsamkeitstrainings zu machen. Sie wollen spielen und Spaß haben.

Am Anfang meiner Arbeit in der Kita habe ich den Kindern gesagt, dass ich mit ihnen spielen wolle. Dann begann ich, einige Atemübungen anzuleiten, bis sie sich beschwerten: „Du wolltest doch mit uns spielen!“

Kids wollen aktiv sein, springen, rennen, ihren Herzschlag spüren. Hier kann man sie in der achtsamen Körpererfahrung unterstützen. Vielen ist es möglich, ihren Körper zu spüren. Sie bemerken sofort, ob ihr Herz schnell schlägt und wie sich ihr Puls anfühlt. Aber natürlich gibt es auch Kids, die ihren Körper noch nie wirklich wahrgenommen haben oder denen Gerüche nicht bewusst sind.

Kann man Achtsamkeit auch „benutzen“, um etwas Bestimmtes zu erreichen?

Westphal: Im Kindergarten besteht die Gefahr, dass wir mit Achtsamkeit eine bestimmte Absicht verfolgen. Wir fragen uns z.B., wie wir es schaffen, dass nicht gehauen und geschlagen wird und alle freundlich miteinander umgehen. Aber für diese Art der Impulskontrolle ist es noch zu früh. Die Kinder sind noch in ihrem Ego verhaftet, die Sozialisierung bahnt sich langsam an.

Mit Achtsamkeit können wir in erster Linie den Erzieher:innen zeigen, wie sie Kinder unterstützen, wenn diese außer sich oder aggressiv sind, ohne sie zu bestrafen. Wie kann man Ruhe reinbringen, etwa indem man beim Essen einfach zwischendurch einen Gong anschlägt und kurz innehält. Wir wollen die Kinder bei dem abholen, was sie wahrnehmen und spüren.

Mit Achtsamkeit können wir schwierige Gefühle halten.

Braucht man dafür wirklich Achtsamkeit?

Westphal: Insbesondere die Erwachsenden brauchen Achtsamkeit, um die Kinder in dem zu begleiten, was sie gerade erleben. Wir wollen die Heranwachsenden schon früh erfahren lassen, dass wir schwierige Gefühle halten können. Das ist besonders wichtig in Konfliktsituationen.

Mit Achtsamkeit können wir sie dabei begleiten, die Wut und Aggression in sich wahrzunehmen, wenn jemand anderes sie tritt oder boxt. Sie können dann spüren: „Ich bin wütend, ich will es jetzt sofort heimzahlen“. Also die Aufmerksamkeit erst einmal auf sich zu lenken.

So bilde ich ein Erinnerungs- und Erfahrungsfeld für andere Verhaltensweisen, die weniger verletzend sind und allmähliches Verständnis für den anderen entstehen lassen. So etwas kann man in frühen Jahren anbahnen.

Sie sagen also, dass man Achtsamkeit in der Kita auf zwei Ebenen anwenden kann.

Westphal: Genau, einerseits stärkt man die Körperwahrnehmung der Kinder. Andererseits begleitet man sie in Konfliktsituationen behutsam. Wichtig ist auch, eine freundliche Atmosphäre in der Kita zu schaffen, das geht über die Achtsamkeit hinaus. Ich überlege mir, wie und mit welchen Spielen ich zu einem wohlwollenden, freundlichen Umgang beitragen kann.

Wir sagen nicht, wenn wir etwas vorlesen wollen und Lisa „stört“: „Sei doch endlich still“ oder drohen „Wenn du nicht endlich ruhig bist, dann …“ Denn wenn wir so agieren, lernen die Kinder durch uns, ihren Fokus immer nach außen zu richten.

Wichtig wäre, dass wir mit Lisa ins Gespräch kommen: „Du hast keine Lust, etwas zu hören.“ Vielleicht kann sie in der Zeit etwas anderes machen und wir können die Geschichte trotzdem vorlesen.

Ich biege mir die Welt im Außen nicht nach meinen Wünschen zurecht. Achtsamkeit mit Kindern heißt, wie können sie bei sich bleiben, wenn um sie herum Chaos ist?

Wo liegen die Grenzen der Achtsamkeit mit kleinen Kindern?

Westphal: Eine Grenze ist die Selbstregulation, die wir oft mit Achtsamkeit verbinden. Aber damit wären die Kleinen überfordert. Wenn sie im Sandkasten spielen und ihnen etwas weggenommen wird, werden sie nicht zuerst auf die Idee kommen, in sich hineinzuspüren. Das sollten wir auch nicht erwarten.

Mir geht es darum, kleine Impulse zu setzen, kleine heilsame Erfahrungen z.B. für einen anderen Umgang mit Wut zu machen. Ein Same ist gepflanzt. Und vielleicht klappt es ein paar Wochen später einmal anders zu handeln.

Wir bringen Kindern nicht Achtsamkeit bei, wir leben sie vor.

Wie beginnt man mit Achtsamkeit in der Kita?

Westphal: Leider gibt es kaum Achtsamkeitsausbildungen für den Bereich Kita. Ich selbst bilde aus, aber nur, wenn ich eine Anfrage von einer Einrichtung erhalte oder im Rahmen der AmiKi Fortbildung.

Ich fange immer mit den Erzieherinnen und Erziehern an: Was ist Achtsamkeit und wie erfahre ich sie? Achtsamkeit hilft, Kinder anders zu sehen und zu überlegen, was sie wirklich brauchen.

Oft spüren die Erwachsenen ein tieferes Bedürfnis nach Verbundenheit: Ich möchte, dass wir zusammen eine gute Zeit haben und Freude erleben. Ich möchte ihnen dieses oder jenes ermöglichen. Aus dieser Kraft können wir auf die Kinder zugehen.

Wenn ich mich selbst gut regulieren kann, wird es mir besser gelingen, die Kinder achtsam zu begleiten. Wir können im Hier und Jetzt sein und das Kind im Hier und Jetzt abholen. Wie geht es dir? Was würdest du gern tun? Was hat dir heute Spaß gemacht? Kinder können das schon früh reflektieren, wenn sie die Möglichkeit dazu erhalten.

Am Anfang steht also die eigene Achtsamkeit.

Westphal: Ja, daran führt kein Weg vorbei. Wer Achtsamkeit mit Kindern machen will, muss erst einmal selbst Erfahrungen sammeln. Das macht gerade die andere Qualität der Beziehung aus. Und darum geht es ja auch bei der Achtsamkeit: die Beziehungen anders zu gestalten – zugewandt und respektvoll.

Natürlich kann ich auch Achtsamkeit vermitteln ohne eigene Erfahrungen. Dann ist es eher eine Technik, es ist zielorientiert. Und meistens steckt eine Absicht dahinter: Wie kann ich verhindern, dass Kindern sich gegenseitig schlagen? Aber wenn wir so herangehen, schöpfen wir nicht das Potenzial der Achtsamkeit aus.

Sind Erzieherinnen und Erzieher nicht vor allem auch Vorbilder?

Westphal: Das ist am wichtigsten: Kinder ahmen nach, sie orientieren sich an uns. Wenn ich möchte, dass Kinder freundlich sind, dann brauchen sie einen Erwachsenen, der sich selbst regulieren kann, eigene Gefühle wahrnimmt und auf nicht verletzende Weise ausdrückt.

Wenn ich sehen kann, wie starr ich bin, wie rau mein Ton ist, dann schaffe ich eine entsprechende Atmosphäre. Und es ist dann es kein Wunder, dass die Kinder nicht ausgeglichen sind. Wenn ich mit mir im Reinen bin, dann überträgt sich das ebenso auf die Kinder. Wir bringen nicht den Kindern Achtsamkeit bei, wir leben sie vor.

Danke für das Gespräch!

 

Foto Dörte Westphal

Dörte Westphal ist Referentin und Projektleiterin für “Mit Kindern wachsen” und Arbor Seminare im Bereich Achtsamkeit und achtsames Selbstmitgefühl. Sie ist ausgebildete Grund- und Hauptschullehrerin, Montessori-Pädagogin, Seminarleiterin und Referentin für Montessoripädagogik sowie seit 2014 bei bei Christopher Germer ausgebildete MSC-Trainerin. Mehr auf ihrer Seite.

 

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  • Achtsamkeit mit Kindern Kita: Julia Strub / photocase.de
  • Dörte Westphal: Rui Camilo