Das Gespräch führte Sarina Hassine
Frage: Sie beschäftigen sich schon seit vielen Jahren mit dem Thema Achtsamkeit. Zunächst als Mutter, später als Trainerin für Schulkinder – heute geben Sie Fortbildungen für Pädagoginnen und Pädagogen. Erzählen Sie uns etwas darüber.
Sabine Heggemann: Die Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen hat mir immer viel Freude bereitet. Aber ich musste irgendwann erkennen, dass ein Achtsamkeitstraining vor allem dann nachhaltig ist, wenn es täglich stattfindet. Am besten ist es, wenn die Lehrkräfte in der Schule als erstes für sich selbst praktizieren und aus ihrer Erfahrung heraus Achtsamkeit an die Schülerinnen und Schüler weitergeben.
Daher freut es mich sehr, dass es immer mehr Kursangebote für Achtsamkeitstrainings gibt und Pädagoginnen und Pädagogen sich zunehmend dafür interessieren. Achtsamkeit unterstützt einen gesunden, entspannten und kompetenten Umgang mit den eigenen Gedanken und Gefühlen.
Menschen, die sich in der achtsamen Haltung üben, sind auch eher in der Lage gute, unterstützende Beziehungen aufzubauen. Und es wäre einfach wunderbar, wenn jedes Kind und jede:r Jugendliche Zugang zu mindestens einem Erwachsenen haben könnte, der ihm oder ihr solch ein Beziehungsangebot machen kann.
In der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen muss man sich ein bisschen verletzlich zeigen, von sich selbst sprechen.
Frage: Inzwischen gibt es ja einige gute Weiterbildungsmöglichkeiten für Pädagog:innen im Bereich Empathie-, Achtsamkeits- oder Resilienztraining.
Heggemann: Eine gute Ausbildung ist wichtig. Wir brauchen Erwachsene, die bereit sind Emotionen zu halten, die Raum geben können, in dem junge Menschen sich dann finden dürfen. Ich habe in Seminaren viele Lehrerinnen und Lehrer getroffen, die eine Art Schutzmauer um sich herum gezogen haben.
Aber in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen muss man sich auch einmal öffnen können, sich ein bisschen verletzlich zeigen, von sich selbst sprechen. Dann entsteht eine authentische Beziehung. Und auf dieser Basis kann auch Lernen viel leichter stattfinden.
Frage: Warum fällt das so schwer, authentisch zu sein und auch mal Gefühle zu zeigen?
Heggemann: Dafür gibt es sicher viele Gründe. Zunächst einmal haben wir alle Verletzungen erlebt und wenn die getriggert werden, dann ist das unangenehm. Unangenehme Gefühle mögen wir nicht. Und so kann es eine Strategie sein sich abzuschotten. Manche glauben auch, Gefühle zu zeigen sei eine Schwäche. Aber Lehrende, die mit sich selbst verbunden sind und kompetent mit ihren Gedanken und Gefühlen umgehen können, sehen darin eine Stärke.
Frage: Diese Erfahrung muss man aber auch erstmal machen.
Heggemann: Das stimmt. Ich habe viele schulinterne Lehrerfortbildungen durchgeführt. Für die Lehrerinnen und Lehrer ist es in einer Gruppe untereinander manchmal schwer, sich zu öffnen und etwas von sich preiszugeben. Ist dann einer dabei, der keine Lust auf das Thema hat, kann das die ganze Gruppe blockieren.
Daher arbeite ich mittlerweile nur noch mit Lehrkräften, die sich freiwillig für die Fortbildung anmelden. Das kläre ich bei einer Anfrage von Schulleitungen immer zuerst ab. Freiwilligkeit und Motivation sind eine entscheidende Grundlage um sich mit Achtsamkeit zu beschäftigen.
Frage: Welchen Fokus haben Sie mit den Lehrerinnen und Lehrern, welche Motivation haben sie, wenn sie zu Ihnen kommen?
Heggemann: Selbstfürsorge. Lehrkräften wird zunehmend mehr abverlangt. Viele kommen durch eigene Erschöpfung mit dem Thema Achtsamkeit in Kontakt. Das Gedanken-Karussell dreht sich bei vielen ununterbrochen.
Allein die Erkenntnis: Ich bin nicht meine Gedanken, ich habe Gedanken, ist da oft schon eine erste Entlastung. Im nächsten Schritt geht es dann darum, sicherer mit Gedanken und Gefühlen umzugehen. Da gibt es im Rahmen des Achtsamkeitsansatzes diverse hilfreiche Strategien.
In der Arbeit mit Jugendlichen ist es entscheidend, einen Zugang zu ihnen zu finden, z.B. über die Musik.
Frage: Ich würde Sie gern abschließend zu Ihrer Arbeit mit den Kindern in der Schule befragen. Sie sind damals extra in die USA geflogen um sich weiterzubilden?
Heggemann: Der Amerikaner Soryu Forall hat das Programm „Mind the Music“ für Jugendliche entwickelt. Es war damals eines der ersten „Programme“ auf dem Markt. Als ich davon hörte, hatte ich sofort das Gefühl: Das muss in die Welt.
Frage: Was zeichnet das Programm „Mind the Music“ aus?
Heggemann: In der Arbeit mit Jugendlichen ist es entscheidend, einen Zugang zu ihnen zu finden. Bei Mind the Music geschieht es über die Musik, welche die Jugendlichen selbst mitbringen können. Das ist wirklich ein toller Ansatz, der direkt an ihren Bedürfnissen anknüpft. Es braucht hier aber unbedingt Erwachsene, die Emotionen halten können.
Das Programm ist flexibel einsetzbar und muss nicht als fortlaufendes Curriculum unterrichtet werden. Insgesamt umfasst es Techniken, die vor allem die geistigen „Achtsamkeitsmuskel“ Konzentration und Gelassenheit trainieren. Das geschieht über verschiedene Fokusmöglichkeiten. Ein Fokus ist die körperliche Entspannung. Dies hat oft schon einen enormen Einfluss auf ihr Wohlbefinden und ihr Lernen in der Schule.
Ein weiterer möglicher Fokus ist das achtsame Hören. Wir hören gemeinsam die Musik. Hier gibt es dann eine wunderbare Gelegenheit, Gefühle zu thematisieren. Für mich ist dieses Wissen entscheidend für ein glückliches und erfolgreiches Leben.
Ein weiterer wichtiger Fokus ist das „Nähren des Positiven“. In dieser Flut von Negativität scheint es mir immer wichtiger, zu wissen, wie man sich das Gute, das Inspirierende und Stärkende in sein Leben holt.
Jugendliche sind oft mit den Erwartungshaltungen ihrer Umwelt, mit Kritik und Unsicherheiten konfrontiert. Da ist es sehr wertvoll, einen Fokus auf die Ressourcen zu legen. Zu bemerken, was es alles schon Gutes im Leben gibt, ist sicher für alle Menschen heilsam und kräftigend.
Weitere Informationen
Mehr Infos zu „Mind the Music“ finden Sie hier beim Center for Mindful Learning. Sabine Heggemann unterrichtet das Programm auf Anfrage als 3-monatige Weiterbildung für Lehrerinnen und Lehrer.