Mädchen Augen

Wenn die Kinder größer werden – das erste Smartphone

Wenn die Kinder mit der Pubertät immer selbstständiger werden, beginnt in vielen Familien ein neuer Abschnitt. Berenice Boxler beschreibt sehr persönlich ihre mütterlichen Gefühle zwischen Sorge, Liebe, Kontrollverlust und Vertrauen.

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Die Erkenntnis trifft mich abends, als der Alltag endlich etwas leiser wird und ich etwas zur Ruhe kommen kann: Es wird nie wieder so sein wie früher, etwas ist für immer Vergangenheit.

Meine Tochter hat eine Schwelle überschritten, die eigentlich keine klare Kante hat und sich schon lange in unser Leben geschlichen hat. Nun aber ist es mit einer Handlung besiegelt und nicht mehr rückgängig zu machen. Meine Tochter hat ein Smartphone erhalten. Sie ist jetzt kein Kind mehr, so jedenfalls fühlt es sich für mich an.

Der Fokus lag wochenlang auf den äußeren Prozessen: „Wie mache ich das Handy sicher für meine Tochter? Was empfehlen Experten? Welche Apps lade ich ihr und welche sind gegenwärtig noch tabu?“ Ich kam gar nicht auf den Gedanken, nach mir selbst und meinen Gefühlen, tiefer zu schauen. Ich kam gar nicht auf den Gedanken, dass sich meine Rolle als Mutter ändern würde und dass ich etwas für immer verlieren würde.

Kontrollverlust

Mit der Übergabe ihres eigenen Smartphones habe ich eine Tür geöffnet zu einer neuen Welt. Gerade fühlt es sich so an, als stünde ich in dieser neuen Welt und müsste mich erst einmal umschauen, während meine Tochter in der Ferne schon alles wie selbstverständlich erlebt. Ich habe nun eine Fast-Jugendliche, die ein eigenes Smartphone besitzt, benutzt und damit die Grenzen ihres Kinderzimmers und ihrer bisher bekannten Welt sprengt.

Die Illusion von Kontrolle ist endgültig fort. Ja, ich hatte bisher immer noch die Vorstellung, ich könne mein Kind behüten, solange sie nur nicht in den sozialen Medien unterwegs sei, solange sie noch nicht ihre Bilder, ihre Meinung, ihr wunderschönes, aber verletzliches Wesen der Internet-Welt offenbare. Das Smartphone, so wird mir immer mehr klar, ist nur ein Sinnbild für diesen neuen Abschnitt, dem ich mich nur zögerlich öffne.

Sorge

Was mich abends traf, war ein unerwarteter Gefühlscocktail. Aus diesem Kind, dessen Geburt und erste Worte, Begeisterung für Rollerfahren und kreative Betätigung, Faszination für Pinguine und glupschäugige Kuscheltiere noch so nah scheinen, ist ein großes Mädchen geworden. Ein Mädchen, das mittlerweile physisch stärker ist als ich und ihren sich verändernden Körper mit skeptischer Verwunderung wahrnimmt.

Da ist eine Angst um ihren Seelenfrieden. Was wird sie sehen und hören? Was wird sie erzählen? Wohin wird sie gehen? Welche Freunde wird sie entdecken in dieser neuen Eigenständigkeit, in der digitalen und in der physischen Welt? Und welche Feinde?

Als Mutter von zwei kleinen Kindern lag es vor allem an mir, Playdates auszumachen. Oft spielte auch die Sympathie zwischen uns Eltern eine große Rolle und ich begrüßte sehr diese Momente des Austauschs, der gemeinsamen Erfahrungen und der bereiteten Umgebung für die Kinder. Das ist vorbei.

Meine Tochter sucht sich schon länger ihre eigenen Freunde aus. Doch es fällt immer wieder schwer, loszulassen und sie ihre eigenen Erfahrungen machen zu lassen. Ich will sie einfach beschützen – und weiß doch, ich kann es eigentlich nicht.

Trauer

Da ist Traurigkeit um diese Zeit, die für immer fort ist. Die Zeit, in der ich meine zu wissen, was sie tut, was sie denkt, wer ihre Freunde sind, und was und wer ihr guttut. Die Zeit, in der ich meiner Tochter die Welt erkläre und sie versuche, vor Ungerechtigkeit und Leid zu beschützen. Die Zeit, in der sie von mir in den Arm genommen werden möchte und auf meinen Schoß klettert. Die Zeit der körperlichen Nähe und der liebevollen Äußerungen: „Mama, ich hab dich lieb!“

Die Zeit, in der sie die Welt durch die Augen der Familie kennenlernt und nicht durch einen Filter auf Instagram oder durch die Erzählungen von anderen aus der Clique. Die Zeit der Leichtigkeit und kindlichen Freude scheint schon länger vorbei – oft von zu viel Grübeln, schulischem und sozialem Druck in die Ecke gedrückt.

Scham

Da ist etwas Scham angesichts der Tatsache, dass ich am liebsten noch viele Jahre begutachten möchte, was an sie rankommt. Scham deshalb, weil ich natürlich weiß, dass es falsch ist, ihr die Welt vorzuenthalten. Ich weiß, dass sie ihre eigenen Fehler und Erfahrungen machen muss, um zu wachsen. Scham, weil ein Teil von mir immer wieder vorprescht und meint, er wisse es besser, sei ja viel erfahrener und könne ihr erklären, was jetzt am schlausten oder gesündesten wäre.

Liebe und Vertrauen

Und da ist natürlich ganz viel Liebe und Fürsorge als Basis all dieser Gefühle und Gedanken. Ich wünsche ihr, dass sie behutsam ihren Weg findet und sich weiter vortastet und entdeckt, lernt und fällt, wieder aufsteht und es von Neuem versucht. Ich habe keine Ahnung, in was für eine Welt sie gehen wird, und genau das ist beängstigend.

Früher ging es darum, die Kinder vor physischem Schaden zu bewahren und sie in diese Welt hineinzubegleiten. Jetzt geht es darum, immer mehr loszulassen und zu vertrauen. Ich merke, dass es mir schwerer fällt als gedacht.

Ein Teil von mir wollte sich lange gar nicht damit auseinandersetzen und vertagte das auf „irgendwann“. Ich vertraue meinen Kindern. Und gleichzeitig fällt es mir manchmal schwer, dem von mir und meinem Mann gelegten Fundament zu vertrauen. War und ist es ausreichend, was wir den Kinder mitgegeben haben, um in dieser sich so rasant verändernden und herausfordernden Welt zu bestehen? Das können wir wohl erst in der Zukunft wirklich wissen.

Selbstmitgefühl

Jetzt geht es darum, weiterhin flexibel zu bleiben und anzuerkennen, dass sich der selbst-zweiflerische und ängstliche Teil immer wieder melden wird. Und es geht darum, meiner Tochter die Mutter zu sein, die sie jetzt braucht: der sichere Hafen, zu dem sie immer wieder zurückkehren kann.

Jetzt gerade möchte ich mir Zeit nehmen, Abschied und Neuanfang bewusst wahrzunehmen und zu fühlen. Diese Wehmut und Verunsicherung darüber, dass ein Lebensabschnitt für immer vorbei ist.

Berenice Boxler

Berenice Boxler ist Achtsamkeitslehrerin und Autorin in Luxemburg. Auf ihrer Webseite veröffentlicht sie regelmäßig Artikel zum Thema Achtsamkeit. Dort gibt es auch zahlreiche Meditationen (auch speziell für Eltern) zum freien Download. Für das Arbor Online Center hat sie einen Selbstlern-Kurs erstellt: „Ein innerer Kompass – Achtsamkeit für Eltern“.  Mehr Informationen hier

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  • Mädchengesicht: svet_sin / photocase.de
  • Berenice Boxler: privat