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Achtsamkeit als Schlüssel zur Kreativität​

Warum ist Kreativität entscheidend für unsere Zukunft und wie können wir sie fördern? Wir haben uns auf die Reise gemacht – von internationalen Vordenkern über Studien bis hin zu aktuellen Projekten.

PORTAL FÜR ACHTSAMKEIT IN DER PÄDAGOGIK

Wann bekommen Sie neue und kreative Ideen? Bei einem Spaziergang im Wald? Beim Hören guter Musik? Beim Malen?

Mit einer offenen, ganzheitlichen Wahrnehmung (Dinge immer wieder so sehen, als würde man sie zum ersten Mal sehen) können wir Zugang zu unserer eigenen Kreativität und Weisheit herstellen. Auch in Schüler*innen können wir diese Prozesse anschieben oder zumindest nicht unterdrücken – denn wenn Kinder es noch nicht verlernt haben, dann sind sie von sich aus kreativ und ergebnisoffen.

Dafür ist es wichtig, eigene Wünsche und Bedürfnisse zu erkennen, ihnen Raum zu geben und sich einzugestehen, dass Lösungen möglich sind (Möglichkeitsräume). Wertungen wie „das geht eh nicht“ oder „das klappt nie“ sollten in kreativen Prozessen außen vor bleiben, denn nur angstfrei und mit einer bedingungslosen Offenheit kann man Originelles kreieren. ​

Übung: Einladung zum kreativen Kopfkino​

Schließen Sie die Augen und stellen Sie sich Ihre ganz persönliche Traumschule vor. Lassen Sie alles zu, egal wie unrealistisch es erscheinen mag. Malen und/oder schreiben Sie dann alles auf, was sie innerlich gesehen und gefühlt haben. Nehmen Sie sich anschließend einen Aspekt raus, der möglicherweise umsetzbar ist und überlegen Sie – am besten mit anderen kreativen Köpfen zusammen – wie eine konkrete Umsetzung aussehen könnte. Geben Sie Ihrer Idee Zeit, um zu wachsen. Vielleicht kommen Sie nicht sofort auf eine Lösung, aber der Samen ist gepflanzt.

Keine Angst vor Fehlern

Der britische Bildungsexperte Ken Robinson machte bereits 2006 klar, dass wir keine Ahnung haben, was die Zukunft uns bringt, dass wir aber Kinder in der Schule auf diese Zukunft vorbereiten müssen. Das kann seiner Ansicht nach nur gelingen, wenn wir Kreativität als eine Schlüsselkompetenz betrachten, die genauso wichtig ist wie Lesen und Schreiben.

Denn „alle Kinder haben gewaltige Talente“. Sie bringen die Fähigkeit mit, etwas zu riskieren, etwas auszuprobieren. „Sie haben keine Angst, etwas falsch zu machen.“ Indem Schule darauf ausgerichtet ist, Fehler zu vermeiden, wird Kreativität jedoch „weg-unterrichtet“. Dazu kommt eine Fokussierung auf den Kopf (den Verstand), weg vom Körper. (1)

Achtsamkeit kann dabei helfen, das Bewusstsein wieder mehr auf den Körper auszurichten. Beispielsweise durch Bodyscans, Übungen aus dem Embodiment, Yoga oder QiGong. Achtsamkeit kann außerdem dabei helfen, gut mit sich selbst umzugehen – mit Übungen für mehr Wohlwollen, Selbstmitgefühl und Selbstliebe. Ein achtsamer Austausch darüber, was Fehler sind und warum sie nützlich für Lernprozesse sind, ist heilsam.

Gleichzeitig braucht es seitens der Pädagog*innen einen alternativen Umgang mit Fehlern und Leistungsüberprüfungen. Unter einem Diktat kann man die Anzahl der richtigen Wörter vermerken statt der falschen, Leistungen können in alltagspraktischen Projekten überprüft werden, um nur einige Ideen zu nennen. Auch hier ist Kreativität gefragt, und am besten geht das, wenn man sich in Gruppen zusammentut und sich darüber austauscht, z.B. mit Methoden wie dem Design Thinking.

Unser Gehirn und das Bildungssystem

Forschungen des britischen Psychiaters Iain McGilchrist haben ergeben, dass die linke Gehirnhälfte für Fokus, Detailwissen, Analyse, spezifisches Denken und Trennung zuständig ist. Unser Schulsystem ist überwiegend auf diese Gehirnhälfte ausgerichtet. Die rechte Gehirnhälfte wird im klassischen Unterricht dagegen wenig aktiviert. Dort geht es mehr um eine offene Wahrnehmung, Intuition, ganzheitliches Denken und Synthese. Neue pädagogische Ansätze brauchen eine Verschiebung hin zur rechten Hemisphäre bzw. einen Ausgleich, damit beide Teile des Gehirns gleichermaßen genutzt und gefördert werden.

Unser Gehirn funktioniert wie ein Muskel. Richard Davidson, US-amerikanischer Psychologe und Hirnforscher, sagt: „Neuroplastizität bedeutet einfach, dass das Gehirn sich verändert, in der Reaktion auf Erfahrung und als Reaktion auf Training.“ Und Ralph Buchner, Professor an der Hochschule München, betont, dass durch außergewöhnliche Bewusstseinszustände eingefahrene Denkmuster verlassen werden können und eine Offenheit für neue Herangehensweisen geschaffen wird.“

Raum für kreative Prozesse schaffen

Dass Achtsamkeitstraining das Gehirn verändern kann, zeigen viele wissenschaftliche Studien. Der sogenannte Mandelkern, in dem sich unser Angstzentrum befindet, kann schrumpfen, der Hippocampus, kann wachsen.  Eine Studie von Britta Hölzel et al zeigt, „dass bereits eine kurze „Trainingszeit´ von etwa 25 Stunden zu nachweisbaren Veränderungen in den Gehirnteilen führt, die für Lern- und Gedächtnisprozesse, Selbstwahrnehmung, Gefühlssteuerung bzw. Stressreaktionen zuständig sind.“ (2)

Achtsamkeit öffnet uns auf vielfältige Art und Weise Türen zu neuen Sichtweisen. Zum Beispiel, indem wir Perspektiven anderer Menschen einnehmen, indem wir unser Körperwissen abrufen oder durch die Fokussierung auf unser Inneres zu tiefen Erkenntnissen kommen.

Achtsamkeit hilft aber nicht nur dabei, Kreativität zu fördern, sie unterstützt uns auch dabei, Rahmenbedingungen, die Kreativität verhindern oder einschränken, zu minimieren.

Wie wissenschaftlich umfangreich belegt ist, hat Achtsamkeitstraining positive Auswirkungen auf verschiedenen Ebenen. Stress wird reduziert. Die entstehende Entspannung bietet Raum für neue Ideen. ​Angst wirkt lähmend. Durch Achtsamkeit kann der Fokus auf Mut, Dankbarkeit, Möglichkeiten und ein liebevolles Miteinander gelenkt werden.

Auch die bewusste Verschiebung von ​einer Zielgerichtetheit zu einer Absichtslosigkeit bereitet den Boden für kreative Prozesse. Statt bestimmte Ziele anzupeilen, bleibt das Ergebnis offen. Man wartet, was entstehen möchte und kann dann damit weiterarbeiten. ​Negativitätstendenzen von Schüler*innen sowie im Kollegium oder unter Eltern können durch Achtsamkeitspraktiken hin zu Freude, Leichtigkeit und Gelassenheit verschoben werden.

Marika Muster

 

(1) TED Talk von Sir Ken Robinsons

(2) Quelle

Weitere Informationen

Am 2. Dezember 2022 fand am LIS in Bremen ein Lehrerfachtag statt, bei dem es um das Thema Kreativität ging. Der Hauptreferent Leonard Sommer betonte die Wichtigkeit von Kreativität in Schulen. Kristóf Fenyvesi Ph.D. (Senior Researcher, Finnisches Institut für Bildungsforschung der Universität Jyväskylä) stellte eine STEAM-Lehrmethode vor, bei der zusammen ein Turm gebaut wurde. Thomas Weis zeigte, wie man sich mit „Lego serious play“ dreidimensional ausdrücken kann. Carola Sieglin und Marika Muster vom AVE-Institut zeigten schließlich auf, wie Achtsamkeit und Kreativität in Theorie und Praxis zusammengehören. Aus den Recherchen ist dieser Artikel entstanden.

Fortbildung Achtsamkeit – Ein Schlüssel zur Potenzialentfaltung

„Kreativität hat mit Freude am Lernen zu tun“

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