DeBruin Ganzkörper

Die Brücke nach innen

Interview mit Prof. Andreas de Bruin: Er entwickelte 2010 das „Münchner Modell“, um Achtsamkeit an die Hochschule zu bringen. Als einer der ersten bot er Meditation als Hochschulfach an.

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Das Gespräch führte Hannah Lisa Linsmaier

Frage: In den letzten elf Jahren hat sich das Münchner Modell „Achtsamkeit und Meditation im Hochschulkontext“ mit über 2000 teilnehmenden Studierenden erfolgreich weiterentwickelt. Was ist Ihnen weiterhin besonders wichtig?

Andreas De Bruin: Zusammenarbeit und Nachhaltigkeit: Fünf Studierende aus den ersten Jahren unterrichten bereits selbst im Rahmen des Münchner Modells. Angebote auf Basis des Modells wurden inzwischen auch in Fortbildungsinstitutionen für Hochschullehrende aufgenommen, die Ähnliches etablieren wollen. Details beschreibe ich in meinem neu erschienenen Buch. Es geht um Möglichkeiten der Umsetzung eines solchen Programms und auch über die Risiken.

Frage: Ich bin nach wie vor erstaunt, dass wie im Münchner Modell eine Praxis wie Meditation nach verbindlichen Standards bewertet werden kann.

De Bruin: Eigentlich sollte man das natürlich nicht machen. Hinter dem Tor des Schweigens, von dem der große indische Lehrer Krishnamurti oft gesprochen hat, gibt es keine Buchstaben und Ziffern!

Gerade zum Meditieren passt die Leistungsidee nicht. Aber um Meditation als Fach in die jeweiligen Lehrpläne zu integrieren, blieb mir bislang keine andere Wahl. Ich überlege regelmäßig mit den Studierenden, was geeignete und faire Bewertungskriterien sind. Bislang funktionieren die ganz gut.

Ausrichtung vor allem auf das innere Potential des Menschen.

Frage: Wie sieht in Ihren Augen die Zukunft von Meditation als fester Bestandteil des Bildungsauftrags aus?

De Bruin: Die Hochschule bietet für das Thema Meditation ein seriöses Setting, für Interessierte, die auf dem freien Markt kaum Überblick über die Angebote haben. Einer der Paradigmenwechsel, der uns bevorsteht, ist der Perspektivenwechsel von Aussen nach Innen. Es geht darum, unseren inneren Kern, die Seele, ernst zu nehmen und irgendwann auch wissenschaftlich weitmöglichst anzuerkennen.

Die Ausrichtung ist dann nicht mehr nur auf den zukünftigen Job, sondern vor allem auf das innere Potential des Menschen. Mit diesem Shift wird auch Unterricht ganz anders, weil sich dann jeder freier entfalten kann.

Dann werden die eigene Inspiration und der innere Auftrag besser sichtbar und somit der individuelle Beitrag für die Gesellschaft. Die Meditationspraxis kann hier einen wichtigen Beitrag leisten, da sie diese Innenausrichtung fördert, ebenso die Intuition als Sprache der Seele.

Frage: Wie könnte Lernen zukünftig aussehen?

De Bruin: Es lässt sich kaum vorhersagen, was es in 20 Jahren für Berufe gibt. Da macht es wenig Sinn, dass wir Schüler:innen und Studierende alle möglichen Dinge lernen lassen, die sie in Zukunft wissen müssen. Sinnvoller wäre es, Kreativität, Flexibilität und ein gewisses Vertrauen in sich selbst zu stärken.

Das kann unter anderen durch Meditation geschehen, die zu einer authentischen und achtsamen Haltung mir selbst und meiner Umgebung gegenüber führen kann. Wenn ich alles mehr aus der Tiefe heraus betrachte, wird zum Beispiel achtsames Kommunizieren etwas ganz Normales. Wenn ich erkenne, dass im Anderen auch etwas Göttliches, auch ein Buddha steckt, ist es ganz natürlich, dass ich ruhig und respektvoll kommuniziere.

Frage: Welche Pläne gibt es für das Münchner Modell?

De Bruin: Die Forschung wird sich sicher weiter differenzieren: Was funktioniert an Schulen gut, was ist für den Hochschulkontext passend, was hat Erfolg in sozialen Einrichtungen, und wie können wir es umsetzen? Da bietet das Münchner Modell mit über zweitausend Stimmen der Studierenden und über zehn Jahren Lehrveranstaltungen zum Thema Achtsamkeit und Meditation ein Beispiel dafür, wie es an Hochschulen gelingen kann.

Um dies zu vertiefen, sind unter anderem weitere Befragungen qualitativer und quantitativer Art der Studierenden bezüglich ihrer Erwartungen und ihrer Entwicklung geplant. Dies geschieht aktuell bereits zum Teil in Form der Meditationstagebücher. Außerdem wären Messungen etwa des Cortisol-Levels, der Aufmerksamkeitsspanne, der Emotionsregulierung und möglicherweise sogar Gehirnmessungen interessant.

 

Andreas de Bruin, PorträtDer Ethnologe Andreas de Bruin meditiert seit 1991. Er lehrt an der Münchner Hochschule für Angewandte Wissenschaften und der Ludwig-Maximilians-Universität München. Mit dem „Münchner Modell“ hat er ein wegweisendes Programm entwickelt, das Studierenden, Lehrenden und Angehörigen des Hochschulapparates Achtsamkeit und Meditation nahebringt.

 

Weitere Informationen

Auf Netzwerk ethik heute finden Sie ein weiteres, interessantes Interview mit Andreas de Bruin: „Meditation and Art“ ist ein Projekt von Prof. Andreas de Bruin. Er geht mit Studierenden ins Museum, um über Achtsamkeit einen tieferen Zugang zu den Werken und den Künstlern zu ermöglichen. De Bruin erklärt im Interview die vier Schritte seiner Methode und wie über Kunst und Meditation eine tiefere Wahrnehmung entstehen kann.“ Hier kommen Sie zum Interview.

Mehr Infos zum Münchner Modell

Zur offiziellen Seite des Münchner Modells.

Zum Film über das Münchner Modell.

Das aktuelle Buch von Andreas de Bruin gibt es kostenfrei als Download beim Transcript Verlag unter diesen Links:

 

Arbeitsbuch zu Achtsamkeit im Hochschulkontext

Bildquellen dieser Seite anzeigen

  • Andreas de Bruin: privat
  • Andreas de Bruin: Johanna Weber