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Die Dinge, die im Weg stehen – über Hindernisse reden

Lehrer Lukas Lamoller hat den Wunsch, im Schulalltag achtsamer zu sein und regt an, dass wir offener über die Schwierigkeiten und Hindernisse auf dem Weg zur „achtsamen Schule“ miteinander sprechen.

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„Wir finden auf jeder Reise, die wir antreten, Hindernisse vor […]. Wenn wir aus vollem Herzen leben und lieben wollen, und wenn wir der Welt aus einem Gefühl von Selbstwert begegnen wollen, dann müssen wir über die Dinge sprechen, die im Weg stehen.“

Manchmal liest man etwas und hat dabei das merkwürdige Gefühl, die Worte wären persönlich an einen gerichtet. Mir ging es kürzlich so mit dem obigen Zitat aus Brené Browns wundervollem Buch The Gifts of Imperfection.

Meine Gedanken kreisen in letzter Zeit nämlich öfters um die Dinge, die im Weg stehen. Und zwar, wenn ich mir die Frage stelle, warum es mir trotz langer Meditationserfahrung so schwer fällt, bei meiner Arbeit an der Schule achtsam zu sein.

Bei der Auseinandersetzung mit diesem Thema habe ich den Eindruck bekommen, dass die Schwierigkeiten, die bei dem Bestreben nach mehr Achtsamkeit im Bildungswesen auftreten können, in der öffentlichen Diskussion stark unterrepräsentiert sind.

Warum wir ungern über die Schwierigkeiten reden

Wer sich als Lehrer*in auf den Weg machen möchte, mehr Achtsamkeit in die eigene Arbeit zu bringen oder das Thema an die Schüler*innen heranzutragen, der wird heutzutage in Büchern, in Webartikeln und bei Online-Kongressen schnell gute Anleitungen finden. Aber woran es liegen könnte, wenn wir trotz eines guten Rezepts nicht wie gewünscht vorankommen? Darüber wird sehr viel weniger gesprochen.

Vielleicht hat es damit zu tun, dass wir mit Achtsamkeit in der Bildung immer noch am Anfang stehen und Strategien der Umsetzung erst einmal wichtiger sind. Vielleicht fällt es auch schwer, offen über Schwierigkeiten zu reden, wenn man immer noch dabei ist, Überzeugungsarbeit zu leisten.

Möglicherweise ist manchmal jedoch auch ein bisschen persönliche Scham dabei, wenn es darum geht, Misserfolge zu thematisieren. Eventuell schleicht sich ja bei dem einen oder der anderen doch ab und zu der Perfektionsanspruch ein, der so symptomatisch für unsere Gesellschaft ist.

Auf mich trifft das auf jeden Fall zu. Als jemand, der seit vielen Jahren meditiert und eine Menge Kraft daraus schöpft, wünsche ich mir, das Thema Achtsamkeit mit in die Schule zu nehmen. Nachdem ich mehr oder weniger erfolgreiche erste Schritte gewagt habe, bin ich jedoch immer wieder mit der Frage konfrontiert, warum ich selbst es eigentlich so selten schaffe, bei meiner Arbeit als Lehrer achtsam zu sein.

Und diese Frage löst oft Unbehagen aus. Denn mein innerer Kritiker meldet sich immer wieder mit der Auffassung, ich müsse das doch inzwischen viel besser hinbekommen.

Stress macht unachtsam

Die Lösung für mehr achtsame Momente im Alltag – ob in der Schule oder anderswo – hat bis zu einem gewissen Punkt bestimmt viel damit zu tun, welchen Wert und welche Priorität man der achtsamen Haltung bewusst zuspricht. Aber das trifft nur bis zu einem gewissen Stresslevel zu – bei mir zumindest.

Ist dieser überschritten, werde ich von dem nicht abreißenden Strom permanent auf mich einprasselnder Verpflichtungen, Stimmen und Deadlines mitgerissen und treibe hoffnungslos selbstvergessen durch den Tunnel des Tuns. Und so können Tage und Wochen vergehen, in denen ich trotz täglicher Morgenmeditation keinen wirklich achtsamen Moment in der Schule lebe.

Die Ursachen dafür, dass Achtsamkeit uns bei der Arbeit oft schwer fällt, sind sicherlich individuell unterschiedlich und verschieden stark ausgeprägt. Einige dieser Ursachen sind zweifellos systemisch. Andere liegen in unserer Persönlichkeitsstruktur, wie beispielsweise die vorwärtstreibende und kräftezehrende Befürchtung, die eigene Leistung sei immer irgendwie unzureichend.

Klar, solche Probleme mit dem Selbstwert könnte man wunderbar durch regelmäßige Selbstmitgefühlsübungen angehen – würde einem da nicht die systemisch bedingte Arbeitsbelastung einen Strich durch die Zeitrechnung machen.

Schon bei einer solchen Überlegung zeigt sich, dass die Spannung zwischen dem Ziel der Achtsamkeit und der Lebensrealität in der Schule nicht immer so leicht aufzulösen ist, wie wir es uns gerne wünschen.

Wir brauchen einen offenen Dialog

Gerade deshalb halte ich es für enorm wichtig, dass wir die Dinge, die im Weg stehen, nicht vergessen, wenn wir über Achtsamkeit im Bildungssystem sprechen, und dass wir sie offen thematisieren. Es wäre komisch, würden wir das nicht tun. Denn wir würden einen wichtigen Aspekt der Achtsamkeitspraxis vernachlässigen: auch den unangenehmen Erfahrungen Raum zu geben.

Das Gespräch über die Dinge, die im Weg stehen, birgt ein großes Potential für die fortschreitende Implementierung von Achtsamkeit in der Schule. Je mehr wir nicht nur untereinander, sondern auch öffentlich über all die spitzen Steinchen und die Schlaglöcher ins Gespräch kommen, die wir auf unserem persönlichen Weg dorthin vorfinden, desto mehr kann sich ein allgemeiner Erfahrungsschatz entwickeln.

Je mehr wir von all den kleinen Irrwegen erzählen, die wir gegangen sind, desto besser können wir gemeinsam das Terrain kartieren und zu unterschiedlichen Ausgangspunkten die passenden Ratschläge geben. Eine solche gemeinsame und fehlerfreundliche Reflexion würde uns dem Ziel einer achtsameren und mitfühlenderen Bildungswelt daher mit Sicherheit näher bringen.

Unvollkommen, aber zufrieden

Das gilt unter anderem auch deswegen, weil die gewonnenen Erkenntnisse sich auch auf unsere Schüler*innen übertragen lassen. Sie sensibilisieren uns dafür, was die Ursachen dafür sein können, wenn einige von ihnen sich weniger empfänglich für Achtsamkeitsübungen zeigen.

Nicht zuletzt liegt in einem Austausch über Schwierigkeiten und Hindernisse aber auch etwas Schönes. Wenn wir solche Erfahrungen mit anderen teilen, geben wir nicht nur etwas. Wir gewinnen auch die selbst erteilte Erlaubnis, unperfekt zu sein. Und in dieser geteilten Unvollkommenheit finden wir nicht selten ein tiefes Gefühl von Zufriedenheit und Verbundenheit.

Lukas Lamoller

 

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Der Lehrer, der ich sein möchte

Lukas Lamoller ist Biochemiker. Er meditiert seit einigen Jahren und übt sich in der achtsamen Haltung. Besonders interessiert er sich für die wissenschaftliche Forschung zum Thema Achtsamkeit und Meditation - außerdem schreibt er gern. 2020 ist er per Quereinstieg als Lehrer an eine Hamburger Stadtteilschule gekommen. Hier unterrichtet er derzeit eine 8. Klasse.

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  • Lukas Lamoller: Privat