Für ein inklusives Achtsamkeitskonzept

Erfahrungsbericht von Madlen Neubauer, Lehramtsstudentin Sonderpädagogik

Die meisten Achtsamkeitsprogramme sind für Regelschulklassen konzipiert und auch in diesem Setting evaluiert. Madlen Neubauer, Studentin für das Lehramt Sonderpädagogik an der Universität Leipzig, forscht in eine inklusive Richtung.

PORTAL FÜR ACHTSAMKEIT IN DER PÄDAGOGIK

Das Gespräch führte Christina Raftery

Frage: Wie sind Sie im Rahmen Ihres Studiums mit der Achtsamkeit und den entsprechenden Angeboten an Ihrer Uni in Kontakt gekommen?

Madlen Neubauer: Bestandteil meines Studiums für das Lehramt Sonderpädagogik an der Universität Leipzig ist das Modul „KSK – Körper Stimme Kommunikation“. Darin gab es verschiedene Wahlseminare. Eines davon war das Seminar „Kommunikation und Achtsamkeit“ von Susanne Krämer. Es ist fast immer ausgebucht.

Im 6. Semester meines Studiums hatte ich Glück, einen Platz zu bekommen. Durch eine sehr kreative, vielfältige und vor allem praxisnahe Gestaltung des Seminars lernte ich das Themenfeld der Achtsamkeit zum ersten Mal tiefgründiger kennen.

Über den gesamten Zeitraum des Seminars haben wir verschiedenste Achtsamkeitsübungen ausprobiert und unsere Erfahrungen und Eindrücke in einem Tagebuch festgehalten und reflektiert. Auch der gemeinsame Austausch mit anderen Kommiliton:innen war gewinnbringend.

Diese Zeit (ein Semester lang) kann ich als eine spannende und bereichernde Reise beschreiben, auf der ich mich selbst und meine Umwelt neu erlebt und das Thema der Achtsamkeit für mich entdeckt habe!

Frage: Wie hat die Praxis den Alltag Ihres Studiums verändert?

Neubauer: Die Achtsamkeitsübungen verbunden mit Meditationen haben meine Haltung zum Studium, aber auch konkrete Situationen darin enorm beeinflusst und positiv verändert. Nach meinen ersten „Berührungen“ mit dem Thema im Kurs habe ich in meinem privaten Leben eine regelmäßige Praxis etabliert.

Schon seit Beginn meines Studiums hatte ich mit Prüfungsängsten zu kämpfen und war in den Prüfungsphasen regelmäßig ein „psychisches Wrack“. Der Leistungsdruck und auch die viel zu voll gestopften Semester haben mich häufig überfordert.

Ich kann meine Energie für Dinge einsetzen, die mir wirklich wichtig sind.

Dank einer regelmäßigen Achtsamkeitspraxis habe ich gelernt, mit Stress- und Prüfungssituationen besser umgehen zu können. Es ist nicht so, dass meine Prüfungsangst einfach verschwunden ist oder ich in Stresssituationen überhaupt keinen Druck mehr empfinde. Vielmehr habe ich mich selbst und meinen Körper viel besser kennengelernt und weiß nun, wie ich mein Gedankenchaos steuern und wieder beruhigen kann. Ich fühle mich jetzt viel kompetenter darin, energieraubende Situationen zu identifizieren und zu beenden.

Stattdessen kann ich meine Energie für Dinge einsetzen, die mir wirklich wichtig sind. Eine regelmäßige Achtsamkeitspraxis hilft mir, in schwierigen und chaotischen Situationen wieder zu mir selbst und zur Ruhe zu kommen, Optimismus zu bewahren und neue Kraft zu tanken.

Schade finde ich, dass es dieses Modul seit letztem Semester nicht mehr an der Universität Leipzig gibt, weil es als „unpassend“ für den Themenbereich „Körper Stimme Kommunikation“ eingestuft wurde.

Ich bin jedoch der Meinung, dass es für alle Studierende im Bereich Lehramt, wahrscheinlich auch darüber hinaus, gut ist, sich mit Achtsamkeit auseinanderzusetzen. Eine regelmäßige Achtsamkeitspraxis bietet nicht nur ein großes Potential für die Persönlichkeitsentwicklung, sondern auch für die Rolle als Lehrperson.

Frage: Hat die Achtsamkeitspraxis auch Ihren Studienschwerpunkt beeinflusst?

Neubauer: Im letzten Semester meines Studiums entschied ich mich dazu, in meiner Staatsexamensarbeit die Themen „Sonderpädagogik“ und „Achtsamkeit in Schulen“ zu kombinieren. Ich wollte ein inklusives Konzept zur Achtsamkeitsförderung entwickeln, weil es in diesem Themenfeld aktuell noch gar keine Materialien gibt.

Die meisten Achtsamkeitsprogramme wurden für Regelschulklassen konzipiert und auch in diesem Setting evaluiert. Ich bin jedoch fest davon überzeugt, dass alle Menschen, egal ob mit oder ohne Unterstützungsbedarf, ein Recht darauf haben, Momente der Achtsamkeit zu erfahren und selbst mitgestalten zu dürfen.

Ich habe ein inklusives Konzept und dazugehörige Materialien entwickelt.

Gemeinsam mit Susanne Krämer und Prof. Dr. Saskia Schuppener habe ich also ein inklusives Konzept und dazugehörige Materialien entwickelt. Auch bei Achtsamkeitsübungen gilt es die individuellen Lern- und Entwicklungsvoraussetzungen der Kinder zu berücksichtigen.

Wir arbeiten im Studium der Sonderpädagogik mit vier Ebenen, über die Kinder sich neue Inhalte aneignen: die basal-perzeptive, konkret-gegenständliche, anschauliche und abstrakte Aneignung. Ich habe versucht, alle diesen Ebenen bei den Achtsamkeitsübungen anzusprechen. Eine weitere tragende Säule meines Konzeptes ist die „Unterstützte Kommunikation“. Die Lehrkraft schafft hierbei an die Bedürfnisse der Kinder angepasste Erklärungs-, Reflexions-, und Kommunikationssituationen – auch für Kinder, die nonverbal kommunizieren.

Frage: Auf welche Weise möchten Sie dies Ihren künftigen Schüler:innen nahe bringen?

Neubauer: Durch meine Arbeit als Unterrichtsbegleiterin konnte ich bereits in den vergangenen Monaten einzelne Übungen mit Kindern ausprobieren. Aufgrund der Corona-Maßnahmen darf ich aktuell allerdings nicht in den Schulen tätig sein.

Sehr dankbar bin ich deshalb Susanne Krämer, weil ich an ihrer Weiterbildung „Wache Schule“ teilnehmen darf. Dadurch habe ich die Möglichkeit, mich mit anderen Lehrkräften auszutauschen und das Anleiten und Durchführen von Achtsamkeitsübungen zu trainieren.

In meinem bevorstehenden Referendariat möchte ich auf jeden Fall mein inklusives Achtsamkeitskonzept mit den Kindern ausprobieren und achtsame Momente als Rituale für mich selbst, aber auch für die Schüler:innen etablieren. Weiterhin könnte ich mir auch vorstellen, Achtsamkeit in das Kollegium zu tragen und gemeinsam mit anderen Lehrkräften Achtsamkeit zu praktizieren.

Weiterführende Information

Hier kommen Sie zur Weiterbildung Wache Schule bei Susanne Krämer.

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  • Illustration Madlen Neubauer: Bitteschön.tv