Schüler*innen nutzen digitales Tablet

Achtsamkeit und Digitalisierung – wie geht das zusammen?

Dr. Jan Ullmann ist Pädagoge und E-Learning Trainer. Ihm ist es wichtig, digitale Werkzeuge nicht um ihrer selbst Willen zu nutzen. Stefanie Uhrig hat mit ihm darüber gesprochen, wie die Digitalisierung an Schulen gelingen kann.

PORTAL FÜR ACHTSAMKEIT IN DER PÄDAGOGIK

Das Gespräch führte Dr. Stefanie Uhrig

Wir sprechen viel darüber, dass Schulen digitaler werden müssen. Was ist denn bisher vorhanden und was fehlt noch?

Dr. Jan Ullmann: Wir können uns das als Wellen vorstellen: Die erste Welle der Digitalisierung war rein auf die technischen Aspekte fokussiert. Die Zwangsdigitalisierung in der Corona-Pandemie hat eine Menge dazu beigetragen, diese Entwicklung zu beschleunigen. Trotzdem hinkt technisch weiterhin viel hinterher. Wir brauchen eben schnelles Internet, eine gute Tastatur und eine funktionierende Software, um an Schulen sinnvoll digital zu arbeiten.

Nun aber stellen viele Lehrkräfte fest, dass es mit der Technik allein nicht getan ist. Da haben wir vielleicht einen Satz iPads in der 5. Klasse – aber schenken sozusagen alten Wein aus digitalen Schläuchen aus. Das führt uns zur zweiten Welle: die menschzentrierte Digitalisierung. Das bedeutet, die Technik so zu nutzen, dass die Menschen davon einen Mehrwert haben.

Was können wir denn für eine achtsame Digitalisierung tun?

Ullmann: Für mich gibt es eigentlich keine achtsame Digitalisierung. Das Gehirn kennt keinen Unterschied zwischen digital oder nicht digital. Vielmehr unterscheidet es zwischen dem aufmerksamen und bewussten Denken und dem unbewussten, gedankenlosen Handeln. Am Ende des Tages gelten in digitalen Formaten wie Webinaren oder Homeschooling exakt die gleichen Gesetze wie im klassischen Präsenzunterreicht. Denn am Bildschirm sitzen genauso Menschen aus Fleisch und Blut, mit Emotionen, Gedanken und Bedürfnissen.

Auch digital sollten sich die Leute über die Beziehungsebene angesprochen fühlen.

Am Digitalen ist aber interessant, dass es beide Seiten nochmal verstärkt. Die Sachen, die zuvor schon nicht besonders gehirngerecht und zielführend waren, wie etwa monotone und ewig lange Vorträge, sind digital nochmal umso langweiliger.

Und was schon immer einen guten Unterricht ausgemacht hat, ist digital besonders wichtig: Etwa Lehrkräfte, die eine gute Beziehung zu den Schüler*innen aufbauen, die selbst präsent sind und Authentizität und Resonanz erzeugen.

Auch digital sollten sich die Leute über die Beziehungsebene angesprochen fühlen und die Relevanz der Übungen erkennen. Wenn das nicht gegeben ist, haben wir digital noch größere Probleme als in Präsenz.

Interessanterweise wird die Präsenzveranstaltung jetzt sehr gerne romantisiert: Früher waren im Unterricht immer alle aufmerksam und begeistert dabei – das stimmt natürlich nicht. Da waren manche auch nur physisch anwesend.

Worauf können Pädagog*innen aktiv achten, um die Kinder sinnvoll an digitales Lernen heranzuführen?

Ullmann: Sie können vor allem darauf achten, dass sich jedes Kind gesehen fühlt. Wenn Menschen in ihrer Ganzheit, mit ihren Talenten und auch mit ihren Ängsten wahrgenommen werden, wachsen sie über sich hinaus. Was haben denn unsere eigenen Lieblingslehrer*innen anders gemacht als die anderen?

Sie waren authentisch, man hatte Vertrauen und wusste, woran man bei ihnen ist. Das erzeugt Sicherheit. Und außerdem haben sie etwas in uns gesehen, was andere nicht gesehen haben. Auch in der Digitalisierung macht das den Unterschied.

Das Problem ist aber, dass diese schönen Prinzipien häufig durch die institutionellen Rahmenbedingungen torpediert werden: Wenn ich eine 30-köpfige Grundschulklasse vor mir habe, mit unterschiedlichen Talenten, Bedürfnissen, vielleicht auch noch Sprachen, wird es natürlich schwierig.

Wir können uns dann wünschen, das System auf den Kopf zu stellen, das wird aber über Nacht nicht funktionieren. Da muss ich als Lehrkraft eben schauen, wo trotzdem meine kreativen Spielräume sind.

Das wichtigste Ziel für Pädagog*innen in der Digitalisierung wäre, ihnen selbst erstmal wieder auf die Beine zu helfen.

Das geht auch nur dann, wenn ich selbst erstmal vom Überlebensmodus in den Schöpfermodus komme. Das wichtigste Ziel für Pädagog*innen in der Digitalisierung wäre, ihnen selbst erstmal wieder auf die Beine zu helfen, weil so viele Stressoren auf die Lehrkräfte eingeprasselt sind und jede*r irgendwie von der Seite reinredet. Das ist wahnsinnig anstrengend und sehr schwierig. In diesem Modus ist nichts mit Achtsamkeit und Kreativität.

Kann die Digitalisierung vielleicht trotzdem den Unterricht verbessern?

Ullmann: Ich glaube, das ist eine generelle Grundhaltung des Menschen: Irgendwas im Außen wird die Probleme im Inneren retten. Das ist aber ein Irrtum. Wenn wir digitalisieren, wird es die Probleme von nicht-zielführendem Unterricht nicht verbessern. Dafür brauchen wir einen Blick nach innen.

Mir fallen – obwohl ich mich E-Learning-Trainer und -Berater nenne – nicht viele Dinge ein, bei denen nur das Digitale einen Mehrwert hat. Oft ist es nur eine andere Art, gängige Lehrmethoden umzusetzen. Aber es gibt ein paar wenige Beispiele, wo man neben den rein pragmatischen Vorteilen der zeitlichen und örtlichen Unabhängigkeit auch noch didaktische Vorteile hat.

Zum Beispiel können wir digital umfassender gemeinsam arbeiten. Mit Google Docs oder anderen Anwendungen können wir gleichzeitig zu dritt hochkreativ einen Text, eine Präsentation, eine Idee entwickeln. So bietet die Digitalisierung hier und da einen neuen Kanal. Aber auch hier kommt es am Ende auf die Kreativität der Menschen und auf die empathische Kollaboration miteinander an. Wenn das nicht passt, nützt auch Google Docs nichts.

Keine App kann sehen, wie es den Kindern emotional geht.

Können Lern-Apps dabei helfen, in großen und diversen Klassen besser auf die einzelnen Bedürfnisse einzugehen?

Ullmann: Ja und nein. Ja, insofern, dass sie etwa auf die verschiedenen Lerntypen eingehen und die Lehrpläne nach Interessen und Wissensstand anpassen können. Aber keine App kann sehen, wie es den Kindern emotional geht. Dafür braucht es die Lehrkraft. Es geht also in gewisser Weise darum, die Rolle der Lehrenden zu verändern.

Die reine Wissensvermittlung kann auch über die technischen Möglichkeiten geschehen, über Lernprogramme, Apps und das Internet. Die Lehrkräfte werden dann umso stärker als Lernbegleiter*in gebraucht, bei dem das Wissen nicht aus dem erhobenen Zeigefinger kommt.

Wir sollten achtsam reflektieren, wo die eigenen Ängste liegen und wie man selbst einen authentischen Weg findet.

Kennen sich Lehrkräfte überhaupt gut genug aus, um digitale Kompetenzen achtsam zu vermitteln?

Ullmann: Da war Corona ein wahnsinniger Evolutionsbeschleuniger. Durch die Pandemie haben viele, die sich vorher dagegen gesperrt hatten, den Mehrwert der digitalen Möglichkeiten erkannt. Oft sind sie nun diejenigen, die sich am meisten mit den Anwendungen beschäftigen.

Aber: Letztendlich kommt es nicht darauf an, die 50. Fortbildung zum Thema Technik und Digitalisierung zu machen. Stattdessen sollten wir auch auf diesem Gebiet achtsam reflektieren, wo die eigenen Ängste liegen und wie man selbst einen authentischen Weg findet.

Wie lernen Kinder, nicht zu viel digital zu konsumieren?

Ullmann: Es gibt ein paar Dinge, die nur in der digitalen Welt und im Internet möglich sind, und es steht ein unendlicher Quell von Reizen zur Verfügung, die auch belohnend wirken: Als ob ich digitale Chips nasche.

Da kommen Gefühle hoch, vor denen sie Angst haben – das Handy ist quasi nur ihr Betäubungsmittel.

Aber auch hier gilt: Wenn Kinder oder Jugendliche das Handy nicht mehr aus der Hand legen können, liegt die Wurzel des Problems nicht in der Technik. Vielmehr geht es darum, dass sie die Stille oder eine innere Leere nicht aushalten können. Da kommen möglicherweise Gefühle hoch, vor denen sie Angst haben – das Handy ist quasi nur ihr Betäubungsmittel.

Handyverbote helfen dagegen nicht. Das ist so, als würden wir Alkoholkranken sagen, sie sollen nicht so viel trinken.
Anstatt am Betäubungsmittel anzusetzen, müssen wir fragen, wie wir auch mal unangenehme Gefühle aushalten können. Wenn diese Fähigkeit vorhanden ist, stellt sich der achtsame Umgang mit den Sozialen Medien und Co von ganz allein ein.

So abgedroschen es klingt: Die Frage ist nicht, was wir tun, sondern warum wir es tun. Die Lösung sollten wir also nicht im Außen suchen – in der exzessiven Handynutzung – sondern bei dem Grund, warum ein 14-jähriger Mensch dieses Ding nicht mehr weglegen kann.

Vielen Dank für das Gespräch

Prof Jan Ullmann

Dr. Jan Ullmann ist Pädagoge und E-Learning Trainer und Berater. Als Gründer von lernhandwerk.de bietet er mediendidaktische Trainings zu E-Learning-Projekten. Er berät Unternehmen und Bildungsinstitutionen zu Lösungen für bessere Lernerfahrungen, die den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Dabei setzt er die gemeinsam erarbeiteten Konzepte auch selbst um.

 

 

 

 

Begleiten statt verbieten – Medienkompetenz in der Familie

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  • Dr. Jan Ullmann: privat