Kreativität Hochschule

Kreativität im Studium fördern

Kreativität ist das vielleicht wichtigste Kapital der Zukunft unserer Gesellschaft. Der Philosoph Prof. Maik Hosang fördert in besonderer Weise die Kreativität seiner Studierenden und ermutigt sie, auch eigenen Sehnsüchten und Intuitionen zu folgen.

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Das Gespräch führte Mike Kauschke

Wie verstehen Sie Kreativität und warum ist sie heute wichtig?

Prof. Maik Hosang: Wir leben in Zeiten, in denen uns bewusst ist, dass wir in einem gewissen Wandlungsprozess sind. Es bleibt aber eine offene Frage, nämlich woher dieser Wandel kommen kann. Wir brauchen dafür neue Ansätze, Konzepte, Gedanken, Symbole, Innovationen. Und die können letzten Endes nur durch Menschen in die Welt kommen –  bevorzugt durch junge Menschen, die nicht so stark wie die ältere Generation von der alten Matrix geprägt sind.

Deshalb ist klar, die junge Generation ist die Chance dieses Wandels. Und um das zu ermöglichen,  brauchen die jungen Menschen Räume, Räume, in denen sie nicht so stark mit dem Wissen der alten Welt zugeschüttet werden, sondern wo sie Methoden, Tools, Anstöße im Sinne der Transformation bekommen.

Der beste Begriff für diese Fähigkeit, die wir ihnen vermitteln können, ist Kreativität. Denn Kreativität ist die Fähigkeit des Menschen, Neues hervorzubringen, indem er seine eigenen Potenziale durch bestimmte Methoden unterstützt.

Wir brauchen auch ein „Curiosity Learning“, eine auf der eigenen Motivation basierende Wissensaneignung.

Wie versuchen Sie in Ihrer Arbeit als Hochschullehrer Kreativität mit einzubeziehen?

Hosang: Wir brauchen natürlich einen hohen wissenschaftlichen Anspruch, aber wir brauchen auch ein „Curiosity Learning“, eine auf der eigenen Motivation basierende Wissensaneignung, die dieses Neue hervorbringen kann. Deshalb versuche ich den Studierenden den Raum zu geben, ihre eigenen Ideen, Projekte, Motivationen als Grundlage zu nehmen, um sich das Wissen anzueignen. Dafür habe ich bestimmte Module eingeführt, die es bisher nicht gab.

Im Studiengang Kultur und Management, in dem ich unterrichte, kann ich den Kulturbegriff enger und weiter fassen. Kultur ist alles das, was Menschen hervorgebracht haben. Insofern passt der Kulturbegriff gut zur Kreativität. Deshalb habe ich im Unterricht neue Module eingeführt, die sich speziell mit Grundlagen und Techniken der Kreativität beschäftigen.

Was sind das für Module und Praktiken?

Hosang: Im Bachelorstudiengang gibt es ein Modul Grundlagen der Kreativität. Was ist Kreativität überhaupt? Wo kommt das her? Wie kann man Kreativität fördern?

Im ersten Semester gibt es ein Modul, das heißt „Kultur, Soziologie und Ethik“. Hier versuche ich, bewusst zu machen, dass wir alle natürlich einerseits von der Gesellschaft geprägt sind, wie es die klassische Soziologie darstellt. Wir stecken in einer gewissen Matrix, in den Gedanken, Gefühlen, Handlungen der vorherrschenden Kultur.

Jeder hat seine eigenen Sehnsüchte und Intuitionen. Das ist ein Schatz, den man wertschätzen sollte.

Aber das ist nicht alles, denn Kulturgeschichte hat auch immer darauf beruht, dass Menschen die Welt verändern und jeder eigene Qualitäten, Talente, Potenziale hat. Ein Potenzial, dass man spirituell und philosophisch so verstehen kann, dass jeder ein einzigartiges Kind des Kosmos ist, der eine ganz eigene Qualität hat.

Jeder Mensch besteht aus vielen Milliarden Atomen, die schon durch die ganze Evolution schwirren und wahrscheinlich Felder mitbringen, die dann dazu führen, dass jeder seine eigenen Sehnsüchte und Intuitionen hat. Das ist ein Schatz, den man wertschätzen sollte.

Und damit beginnt es, dass die Studierenden merken, sie haben das Recht, ihre eigenen Intentionen, Sehnsüchte, Intuitionen wahrzunehmen, anzuerkennen und davon ausgehend bestimmte Themen zu bearbeiten, die sie inspirieren und neugierig machen. Wenn sie sich so Wissen aus Eigenmotivation aneignen, dann können sie es auch besser behalten.

Ich ermutige sie, in sich zu hören und zu schauen, was sie motiviert und dem auch nachzugehen.

Wie gehen Sie in der Beziehung mit den Studierenden so mit ihnen um, dass dieses Potenzial noch ein bisschen mehr hervorkommen kann?

Hosang: Ich versuche, es durch Elemente anzuregen, die zu den Modulen gehören, indem sie eigene Beiträge, Referate, Performances erarbeiten. Ich gebe ihnen eine Liste möglicher Themen, aber sie können auch eigene Themen vorschlagen, die in dem Rahmen liegen. Also immer wieder so ein Impuls: Wenn es etwas gibt, das ihnen am Herzen liegt, dann ermutige ich sie, in sich zu hören und zu schauen, was sie motiviert und dem auch nachzugehen.

Wenn ich lehre, versuche ich mehrere Elemente einzubeziehen, eine Vorlesung, ein Seminar, aber auch fließende Elemente wie eine Diskussion, Kleingruppen oder eine Traumreise. Mit den Referaten, die ich lieber Performances nenne, werden dann noch spezielle Räume eröffnet, wo sie die Chance haben, zu einem Thema, das ihnen am Herzen liegt, ihre Fantasie auszuleben, Wissen zu sammeln und das so kreativ künstlerisch darzulegen, dass es ihnen Freude macht.

So können sie sich ganzheitlich Wissen aneignen, aber in der Form der Kommunikation ihren Talenten und Leidenschaften folgen. Die einen machen dann Musik, andere eine Clown-Performance.

Die Masterstudent*innen haben ein ganzes Jahr Zeit, ihrem Thema nachzugehen und sich darin zu entfalten.

Im Masterstudiengang habe ich im Rahmen der Masterarbeit ein ganzes Semester als Wahl-Option eingeführt, wo die Studierenden ein Forschungsprojekt durchführen und ein Thema erforschen, das Ihnen am Herzen liegt. Das können sie dann als Basis für Ihre Masterarbeit im vierten Semester nehmen, so dass sie ein ganzes Jahr Zeit haben, ihrem Thema nachzugehen und sich darin zu entfalten.

Wie werden diese Elemente von den Studierenden angenommen?

Hosang: Die Sehnsucht, sich kreativ zu entfalten, ist in den Menschen generell angelegt, wird aber aufgrund der eigenen Geschichte und Erfahrungen verschieden verwirklicht. Insofern nutzen es einige mit Freude und intensiv, andere haben es schwerer. Sie nehmen das manchmal auch als eine Gelegenheit zum geringsten Widerstand.

Das ist dann die pädagogische Kunst im Umgang mit solchen Fördermaßnahmen. Bei denen, die es eher nutzen, um sich innerlich aus dem Staub zu machen, muss man mehr Impulse geben. Bei anderen, wo man spürt, sie haben ihre Leidenschaft entdeckt, da fließt das von allein weiter. Das ist dann die Kunst, die Seele des Einzelnen zu verstehen.

Dafür ist die Hochschule ein guter Rahmen. Es ist nicht so ein Massenbetrieb wie Universitäten, sondern die Matrikel sind so zwischen zwölf und dreißig Studierenden. Da kann man auf die Einzelnen stärker eingehen.

Mit Methoden wie einer Traumreise, zehn Minuten Stille oder einer meditativen Musik versuche ich Räume zu öffnen.

Wie geht es Ihnen mit diesen Impulsen im Umfeld der Hochschule. Gibt es dort eine Akzeptanz, stößt es bei Kolleg*innen auf Interesse?

Hosang: Staatliche Hochschulen entstanden aus dem Bedürfnis der Industriegesellschaft, klare Kompetenzen oder Funktionen auszubilden. Sie sind bisher erst teilweise für diese transformativen Prozesse gestaltet, die mehr eigene Kreativität erfordern. Das heißt, dass die Strukturen und auch teilweise die Menschen mehr an diesem alten Bildungs-Paradigma orientiert sind. Und da bestehen natürlich immer wieder gewisse Widersprüche und Spannungen.

Mit Methoden wie einer Traumreise, zehn Minuten Stille oder einer meditativen Musik versuche ich Räume zu öffnen, wo die Studierenden in sich hören können. Aber das geht in den Räumen einer Hochschule nur beschränkt, bei Exkursionen ist etwas mehr Raum dafür. Aber es ist oft eine Gratwanderung.

Was brauchen Sie als Hochschullehrer, um solche Räume zu öffnen?

Hosang: Es ist natürlich wichtig, dass man das selber auch ein bisschen lebt. Ich kann nichts vermitteln, was ich nicht selbst auch darstelle. Das heißt, dass ich dafür sorge, den Raum zu haben, um meine Projekte und Intentionen zu verfolgen, die über die Hochschule hinausgehen.

Aktuell arbeiten wir an dem Projekt einer Eco City. Hier in der Lausitz soll eine Stadt der Zukunft entstehen.

Entsteht zwischen den Studierenden auch ein anderer sozialer Raum durch die gemeinsame Würdigung der Kreativität?

Hosang: Ja, das wirkt sich auf jeden Fall auf die Interaktion aus. Es gibt ein Modul, das heißt Forschungs-Seminar. Wir suchen uns ein Thema, das wir gemeinsam entwickeln. Aktuell arbeiten wir an dem Projekt einer Eco City. Hier am Rande der Lausitz soll im Rahmen des Strukturwandels eine Stadt der Zukunft entstehen. Geplant ist das Projekt in Weißwasser, einer Kleinstadt zwischen Görlitz und Berlin, die viel Raum hat, weil da nach der Wende viele Menschen weggezogen sind. Das kann man als Nachteil oder Vorteil sehen, denn es ist infrastrukturell schon viel erschlossen.

Eine Stadt der Zukunft ist mehr als nachhaltige Gebäude, Energie und Verkehr. Notwendig ist auch eine nachhaltige Kultur. Im Forschungs-Seminar stellen wir uns vor, was Elemente dieser Kultur sind. Nicht nur durch Text, sondern wir entwickeln spielerisch ein digitales Tool dafür.

Die Vision haben wir auf sieben Ebenen runtergebrochen: Sexualität, Liebe, Sprache, Erkenntnis, Bildung, Kommunikation, Sinn. Dazu konnten sich die Studierenden in Themengruppen zusammenfinden. Das reicht von Gruppen, die eine neue Bildungsforschung entwickeln, bis zu anderen, die Stadtviertel entwickeln wollen, um Erotik und Rausch anders zu erleben. Dazu bilden sich Teams, die dazu Ideen entwickeln. Dadurch entstehen ein Möglichkeitsraum und die Freude, miteinander etwas zu entwickeln.

Die Studierenden sind nicht nur gefordert, Texte zu formulieren, sondern sich co-kreative virtuelle Räume auszudenken.

Wir haben dafür Forschungsmittel erhalten und arbeiten mit einer Hamburger Firma zusammen, die virtuelle Räume im Sinne eines Metaverse entwickelt. So soll im Rahmen des Semesters ein Metaverse zur Kultur der Stadt der Zukunft entstehen. Die Studierenden sind nicht nur gefordert, Texte zu formulieren, sondern sich co-kreative virtuelle Räume auszudenken. Wie können die aussehen? Was kann man da erleben? Wie kann man das digital und virtuell umsetzen? Wie kann dieser Raum aussehen, wo man als Avatar jemanden treffen und gemeinsam etwas erleben kann?

In so einem Projekt ist Kreativität keine Theorie, sondern geht in die konkrete Gestaltung und Anwendung. So können sich die Studierenden als selbstwirksam erfahren.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Maik HosangMaik Hosang ist ein deutscher Philosoph, Zukunftsforscher und Sozialökologe und arbeitet als Professor für Management- und Kulturwissenschaften an der Hochschule Görlitz/Zittau. Er studierte Philosophie, Psychologie und Anthropologie an der Humboldt-Universität Berlin. In Anknüpfung an die Theorien von Johann Gottlieb Fichte, Nicolai Hartmann, Max Scheler, Manfred Eigen, Erich Jantsch u. a. promovierte er 1990 zum Thema „Der Mensch in den Evolutionsschichten der Selbstorganisation.“ Zusammen mit dem Philosophen Rudolf Bahro baute er an der Humboldt-Universität Berlin ein Institut für Sozialökologie auf und wirkte hier von 1990 bis 1998. 1993 gründete er zusammen mit Freunden das sozial-ökologische Modellprojekt LebensGut in Pommritz.

 

Weitere Informationen: Buch Tipps

Maik Hosang, Gerald Hüther, Anselm Grün: Liebe ist die einzige Revolution. Drei Impulse für Ko-Kreativität und Potenzialentfaltung, 2020, Herder

Natascha Reith, Maik Hosang: Ko-Kreativität: Wie Menschen einander kreativ Inspirieren und dabei die Welt veränderen können, 2019, Independently Published

Mike Kauschke ist Autor, Übersetzer, Dialogbegleiter und Redaktionsleiter des Magazins evolve. Mehr über ihn und seine Arbeit finden Sie auf seiner Seite.

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  • Kreativität in der Hochschule: SvetaZi / istock
  • Maik Hosang: privat
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