Zeitungsleser

Mehr gute Nachrichten: Der konstruktive Journalismus

Wir brauchen mehr positive Nachrichten, sagt nicht nur unsere Autorin Maria Köpf. Der konstruktive Journalismus möchte lösungsorientierter, perspektivenreicher und dialogischer informieren. Eine Einführung – und Medienseiten, die wir empfehlen wollen.

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Während der ersten Tage des Angriffskrieges auf die Ukraine begleiteten uns täglich die Bilder bedrohter Menschen, zerbombter Häuser und hilfloser Familien. Die Berichte über die beängstigenden Zustände hielt die meisten Medien mit hohen Einschalt- und Lesequoten im Griff. Doch was macht diese Art von Nachrichten mental mit den Leser*innen? Und ist es wirklich hilfreich, ständig über Probleme und Katastrophen zu berichten? Tatsächlich haben viele Menschen es satt, nur zu hören, dass die Arbeitslosenzahlen erneut gestiegen sind oder irgendwo in Welt wieder mal der Busch brennt.

Engagement braucht Hoffnung

Evolutionsbiologisch betrachtet macht es ja Sinn, dass der Mensch zu angst- und sensationsorientiertem Verhalten tendiert. Denn erst wenn Probleme erkannt und Lösungen gefunden sind, kann sich der Homo sapiens entspannt zurücklehnen. Gleichzeitig brauchen Menschen auch Nachrichten, die ihnen Hoffnung machen und Lösungen anbieten. Vor allem, wenn wir uns als Gesellschaft eine Kultur des gemeinschaftlichen, lösungsorientierten Engagements wünschen.

Ausdruck für eine neue Haltung in dieser Richtung wäre die Frage „Wie kann es besser werden, was können wir tun?“ statt der wiederkehrenden Frage „Wo ist das Problem?“.

Seit den 2010er Jahren bilden sich weltweit immer mehr Medien und Medieninitiativen, die sich einen neuen, konstruktiveren Journalismus auf die Fahne geschrieben haben. Diese Journalisten binden verstärkt positive Beispiele ein und berichten beispielsweise auch vom Arbeitslosen, der es geschafft hat und der durch die Gesellschaft Unterstützung bekommen hat. Hier wird die Leserschaft nicht mit den Problemen allein gelassen, sondern es werden faktenbasierte Informationen und Lösungsvorschläge vorgestellt.

Perspektivenreich und lösungsorientiert

Das Constructive Institute in Dänemark setzte hierfür im Jahr 2017 einen kleinen Meilenstein. Das gemeinnützige Bonn Institute folgte in Deutschland Anfang 2022 mit ganz ähnlichen Motiven, nämlich der Förderung eines konstruktiven Journalismus, der negative Nachrichten nicht mehr einseitig stehen lassen möchte. Dennoch verschreibt sich dieser Journalismus weder dem Aktionismus noch der Meinungsbildung – die Gesellschaft soll im Kern darüber informiert werden, welche Lösungen sich bei konfliktbehafteten Themen anbieten.

Neben dem Aufzeigen von Lösungen, wird  ein weiterer Fokus auf eine umfassende und übersichtliche Gesamtdarstellung einer Situation gelegt, auch auf Prävention. Anstatt bloß zu berichten, dass schon wieder ein größeres Waldstück gebrannt hat, bindet der konstruktive Journalismus ein, was man tun kann, um Waldbrände zu vermeiden oder dass Löschsysteme mit automatisierten Rauchmeldern und Löschdrohnen bereits zahlreiche Waldbrände im Keim ersticken konnten.

Die Ziele dieser Analysen sind es, die Kernursachen von Herausforderungen zu analysieren, entstandene positive Entwicklungen zu benennen und die Gesellschaft dadurch indirekt darin zu bestärken, Veränderungen voranzubringen.

Zu unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit gehören auch tragfähige Kompromisse

NDR Hörfunk-Chefredakteurin Claudia Spiewak sagte 2017 über den konstruktiven Journalismus: „Denn zu unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit gehören auch tragfähige Kompromisse, Fortschritt und Erfolge. Entwicklungen also, die Mut machen und inspirierend sein können. Im besten Falle entsteht so ein Bild von der Welt, in der wir leben, das zutreffender ist.“

Dieser „neue“ Journalismus richtet sich natürlich an alle Bürger*innen einer Gesellschaft. Ein besonderes Augenmerk treffen diese Medien aber auch bei der Ansprache von Führungspersonen unterschiedlicher Berufsgruppen. Zusätzlich informieren sie gezielt Medienführungskräfte über passende Produkte und Inhalte, welche die Leserschaft hilfreich oder finanziell unterstützenswert finden könnten. Denn: Obwohl viele Menschen häufiger bereit sind, sensationsorientierte, negative Nachrichten zu lesen, sind sie eher bereit ein Abo abzuschließen, wenn ihnen ein Medium positive und konstruktive Inhalte bietet.

Viele negative Nachrichten rufen Stress und Hoffnungslosigkeit hervor

Seit September 2001 fanden Studien zunehmend bestätigt, dass man allein durch den Konsum einer verstörenden Nachricht ähnliche Symptome erleidet, wie die Traumatisierten selbst. Diese sogenannte „sekundäre Traumatisierung“ oder vereinfacht gesagt, die Auswirkung von erschütternden Nachrichten auf unsere Psyche kann nachhaltig schädigen. Kürzlich hat der taz zufolge eine Leserforschung der Uni Southampton gezeigt, dass zu viele Negativnachrichten im Leser Stress und Hoffnungslosigkeit hervorrufen.

Umgekehrt können positive Nachrichten uns dazu beflügeln, öfter die positive Seite zu sehen und nach Lösungen zu suchen. Dass negative Gedanken laut Neurowissenschaftler Manfred Schedlowski den Krankheitsverlauf negativ beeinflussen können, gilt als bewiesen, sagte dieser gegenüber spiegel.de. Dass positive Gedanken uns im Umkehrschluss gesünder machen, ist bisher (noch) nicht wissenschaftlich belegt.

Konstruktiv, aber ohne zu viele Heile-Welt-Fantasien

Wie alles hat auch ein lösungsorientiertes Medium seine Tücken. Eine Kritikerin, die Autorin und Journalistin Kathrin Hartmann, hält diese populär werdende Nachrichtenform im Gespräch mit Deutschlandfunk für kritisch, weil sie oft nur nach optimistischen Lösungen suche, wie die Welt ganz schnell eine bessere werde. Dabei seien Probleme oft vielschichtig und komplex. Durch gute Taten eines Kleingartenvereins werde eben nicht sofort die Lage an einem anderen Ort der Welt besser.

Dennoch: die Informationen gut einzuordnen ist auch für konstruktive Medien wichtig. Damit keine Heile-Welt-Fantasien in unseren Köpfen kursieren, die ein diffuses Gefühl der Selbstüberschätzung und Trägheit erzeugen können, bieten sich folgende seriöse Medien an:

  • Tea-after-twelve.com: Ein Team des Bonner Unternehmens Bunny Island GmbH entschied sich für ein kostenfreies, internationales Webmagazin im Sinne des „Solution based Storytelling“. Es wird auf Englisch publiziert und in beinahe 200 Ländern gelesen.
  • Perspective-daily.de: Das erste werbefreie, konstruktive Onlinemedium in Deutschland wurde 2016 als Crowdfunding-Projekt der Neurowissenschaftlerin Maren Urner und des Ökonomiewissenschaftlers Han Langeslag gegründet. Es veröffentlicht werktäglich einen Artikel
  • good news for you: Das Nachrichtenportal entstand 2017und veröffentlicht wöchentlich positive, lösungsorientierte Nachrichten, Berichte, Portraits und sogar Youtube-Nachrichten auf good news for you TV und Nachgefragt! Durch Crowdfunding initiierte das Portal sogar einen Unverpackt-Laden.
  • NDR: Der Podcast Perspektiven – auf der Suche nach Lösungen widmet sich in 22 Folgen drei großen Thematiken, in denen das Podcast-Team im Gespräch mit Menschen nach Lösungen sucht, zu Themen wie Care-Arbeit, geschlechtersensible Medizin und Gender-Planning.
  • Solutions Journalism Network (SJN): Nina Fasciaux koordiniert in der EU das internationale Netzwerk, das lösungsorientierte Nachrichten zusammenträgt
  • Bonn Institute: Die Journalist*innen wollen „den Journalismus in die Zukunft tragen“. Damit er einen Mehrwert für die Menschen schafft und unsere demokratische Gesellschaft stärkt. Dazu machen sie den Journalismus lösungsorientierter, perspektivenreicher und dialogischer. Damit Menschen ihm vertrauen und gute Entscheidungen für ihr Leben treffen können.

Maria Köpf

Maria Köpf ist Journalistin, Dozentin und Mutter in ihrer Wahlheimat Österreich. Derzeit legt sie ihren Schwerpunkt auf Gesundheit, Psyche und Sprache. Ihre erste große Liebe aber war die Literatur. Am liebsten entspannt sie mit einer Tasse Zistustee und ersinnt mit einem guten Hörbuch ferne Welten. Mehr Informationen über sie hier.

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  • Zeitungsleser: C.D. / photocase.de
  • Maria Köpf: privat