Mindfulness-Club – Ein Schulprojekt

Anna von Flüe ist eine junge engagierte Lehrerin, die Achtsamkeit mit dem britischen Mindfulness in Schools Programm an einer Schweizer Schule implementiert hat. Ihr Tipp: „Geduld und Durchhaltewillen sind wichtig.“

PORTAL FÜR ACHTSAMKEIT IN DER PÄDAGOGIK

Anna von Flüe begleitet ihre Schüler*innen an einer modernen, Schweizer Schule seit sechs Jahren. Ein Jahr nach ihrem Start als Lernbegleiterin machte sie privat eine Yogalehrerausbildung. „Dann hat mich die Erleuchtung getroffen. Jugendliche sollten meditieren, um runterzukommen“, erkannte sie und absolvierte beim Mindfulness in Schools Project einen Kurs für die Arbeit mit Jugendlichen. So hat alles begonnen. Ihr Schulleiter war aufgeschlossen für das Thema, denn er selbst unterrichtet das Freifach „Glück“.

Im offenen Lernatelier hat jede*r Schüler*in ein Tablet und einen eigenen Platz mit Sichtschutz aus Holz, wo morgens komplett digitalisiert die Hauptfächer „unterrichtet“ werden. Die derzeit 90 Jugendlichen zwischen 11 und 16 Jahren werden bei ihrem autonomen Lernen von einem jungen Team von Lernbegleiter*innen betreut, wertschätzend und auf Augenhöhe.

Der andere halbe Tag ist „tabletfrei“. Da gibt es Sport, Life-Skills (eine Mischung aus Methodenkompetenz, Sozialkompetenz und Mindfulness) sowie die Clubs (AGs). Statt Klassen gibt es altersgemischte Lerngruppen. Jede*r Lernbegleiter*in coacht 12-18 Jugendliche alle zwei bis drei Wochen für etwa 20 Minuten.

Räume für Achtsamkeit schaffen

„Anfangs haben wir in einem Raum im Obergeschoss Mindfulness, also Achtsamkeit, gemacht. Da ist viel Glas. Das war aber zu offen, um sich unbeobachtet zu fühlen“, so von Flüe. „Dann haben wir uns mit dem Zentrum für Achtsamkeit in St. Gallen zusammengeschlossen und ein Raumsharing begonnen.“ Inzwischen hat die Schule einen extra Achtsamkeitsraum aus zwei Schiffscontainern in einem hippen Viertel von St. Gallen. Die Jugendlichen sind es gewöhnt, aus Platzgründen für die Nachmittagsangebote, die so genannten Clubs woanders hinzugehen.

Im Achtsamkeitsraum ist es gemütlich. Die Wände sind weiß, der Boden aus Holz. In dem weißen Schrank ist alles verstaut, was die Achtsamkeitstrainerin für ihre Angebote braucht: Kissen, Decken, Matten, Lego und Kappla-Steine.

Im Mindfulness-Club hört jeder zu

Lego und Kappla? Richtig gehört! Die Schweizerin nutzt für ihr Angebot unter anderem „lego serious play für Lehrkräfte“, ein, wie von Flüe sagt, „geniales Tool, um mit den Jugendlichen Fragen zu beantworten, bei denen sie an die Antworten normalerweise nicht rankommen.“

Sie stellt Fragen wie: „Was ist ein Freund für mich?, Was ist eine Freundschaft nicht für mich?“ und „Was sind meine drei Topqualitäten als Freund?“ Normalerweise kommen bei Jugendlichen dann Antworten wie „Ist mir egal“ oder „keine Ahnung“. Aber im Mindfulness-Club hört jeder zu und erzählt. Alle sollen sich gehört und wahrgenommen fühlen. Und alles, was besprochen wird, bleibt im Raum.

Das Antworten geht einfacher, wenn man dabei etwas mit den Händen macht. Da die Jugendlichen den ganzen Vormittag an Tablet und Handy lernen, ist das Tun mit den Händen so wichtig. Von Flüe: „Sie stehen total auf Lego. Sogar Mädchen mit langen Fingernägeln. Auch aktives Zuhören und Reflektieren finden sie super. Sitzen auf Sitzkissen finden sie nicht so toll, eher anstrengend. Aber dann merken sie, dass die Atemübungen im Sitzen besser klappen als im Liegen..“

Im Club geht es auch um Gemeinschaft. Die Jugendlichen bauen mit den Kappla-Holzbausteinen eine Brücke über eine 50 cm breite Yogamatte oder einen möglichst hohen Turm in 10 Minuten, ohne dabei miteinander zu reden. Sie kneten aus Fimo Gefühlsmonster und können so Gefühle und Emotionen ausdrücken und sichtbar machen. „Außerdem diskutieren wir über Gefühle, was das ist und wo sie stattfinden. Oder die Jugendlichen bewegen sich mit verbundenen Augen durch den Raum und spüren, wer um sie herum ist“, so die Lernbegleiterin.

Mindful eating – mit Eis im Stadtpark

Auch Schreiben gehört zur Achtsamkeit. Jeder hat ein Moleskinebuch, in das viel geschrieben wird. Von Flüe ist aber wichtig: „Ich schaue da nie rein!“ Das Buch gibt die Möglichkeit, einmal alles aufzuschreiben, „was scheiße ist“. Oder sie schreiben Briefe an sich selbst, die sie kollektiv zerreißen. „Manchmal gehen wir auch raus und machen einen Spaziergang oder praktizieren „mindful eating“ mit Eis im Stadtpark…“

Die Achtsamkeitsstunden sind ein fester Bestandteil des Stundenplans. Jeder hat im Laufe der Schulzeit mindestens einmal mitgemacht. Auch Kinder mit ADHS können sich Schritt für Schritt darauf einlassen. „Erst haben wir einen Tag mit zwei Stunden pro Woche für maximal 11 Schüler*innen angeboten, mit einem Wechsel nach dem Quartal, aber auch der Möglichkeit weiterzumachen“, so von Flüe.

Viele waren neugierig. Dann kam die Mund-zu-Mund-Propaganda. „Die meisten bleiben hängen“, sagt die Lernbegleiterin, „und zwar mehr Jungs als Mädchen. Ein Mädchen ist nun schon 2,5 Jahre dabei. Die Clubs waren schnell überlaufen, selbst als wir drei Termine pro Woche angeboten haben. Dann musste ich mir mehr einfallen lassen“, sagt sie rückblickend. Kein Problem für die junge Frau, denn die Ideen kommen ihr zugeflogen.

Mindfulness Camp in den Bergen

So entwickelte sie 2022 zusätzlich das „Camp“, bei dem sie mit 14 Schüler*innen in die Bündner Berge fährt, um voll und ganz in die Welt von Mindfulness abzutauchen – mit Bewegung, Achtsamkeitsübungen und so wenig Technik wie nötig. „Da sind wir viel draußen und die Jugendlichen sind froh, mal nichts tun zu müssen.“ Viele wollen mit. Daher müssen sie sich bewerben.

Von Flüe erinnert sich: „Einer meiner Lieblingsmomente war im Camp. Wir sind zu einem Bergsee hochgewandert. Die Jugendlichen sagten: „So‘n scheiß. Drei Stunden den Berg hoch, damit wir mal merken, was unser Geist mit uns macht. Das ist voll gemein.“ Der Bergsee war gefroren, aber sie sind trotzdem rein gegangen und haben sich 100 Prozent selbst gespürt und den inneren Schweinehund überwunden.“

Die Eltern mit ins Boot holen

Bevor es mit den Schüler*innen losgehen konnte, war sehr viel Aufklärungsarbeit nötig. „Ich erkläre den Eltern bei Elternabenden, dass Achtsamkeit wissenschaftlich fundiert ist und dass ich es ohne religiöse Ansprüche verwende. Ich erkläre, das ist Mindfulness, das ist es nicht. Zum Beispiel, dass ich kein Yoga mit den Jugendlichen mache. Man muss erstmal Vorurteile abbauen, die weit verbreitet sind. Viele halten Achtsamkeit für airy-fairy nonsense.“ [Anmerkung Redaktion: Larifari].

Inzwischen bietet die Schule ein- bis zweimal pro Jahr 8-wöchige Elternkurse an, die teilweise auch von den Lehrpersonen besucht werden. „Die sind nach zwei Stunden ausgebucht“, so von Flüe. Zusätzlich gibt es spezielle Mindfulness-Tage für Eltern. „Aber die Eltern werden auch von den Kids nachgezogen.“ Zitat eines Schülers: „Mom, musst halt mal Mindfulness machen, dann biste ein bisschen lockerer.“

Ein weiteres Angebot ist besonders niederschwellig. Es heißt „be kind“. Dafür werden Musiker für ein Konzert eingeladen und zwischendurch werden kleine Meditationen angeleitet. Die können freiwillig mitgemacht werden oder man genießt nur die Musik.

Außerdem gibt es Mindfulnessbotschafter*innen. Sie melden sich freiwillig, um mit denen zu sprechen, die nicht in die Clubs kommen, aber trotzdem an den Themen interessiert sind und mit Besuchern. Sie erklären, was gemacht wird und warum. Zum Beispiel, dass man mit Achtsamkeit Stress abbauen kann. Wenn Prüfungen anstehen, gibt es morgens ein extra Mindfulness-Angebot, für alle, die wollen. Das wird auch gerne besucht.

Welche Tipps hat von Flüe für andere Schulen, die das Thema Achtsamkeit etablieren möchten? „Ganz klein anfangen und Geduld haben. Von der ersten Idee für das Camp bis zur Umsetzung hat es bei uns drei Jahre gebraucht. Geduld und Durchhaltewillen sind wichtig. Und die Lehrperson muss authentisch sein.“

Marika Muster

 

Weitere Informationen

Hier finden Sie das Kursprogramm, mit dem Anna von Flüe Achtsamkeit implementiert hat: .b Curriculum / für 11 – 18Jährige – Mindfulness in Schools Project (MiSP). Daneben hat sie den Elternkurs vermittelt: .b foundation Kurs von MiSP

Hier kommen Sie zur Seite von Anna von Flüe.

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Wie bringe ich Achtsamkeit in die Schule?

Marika Muster ist Journalistin und hat mehrere Jahre als Lehrerin und Lernbegleiterin an verschiedenen Schulen in Schleswig-Holstein gearbeitet. Sie hat viel Erfahrung in der Erwachsenenbildung (z.B. Schulfach Glück) und in der Seminarleitung mit Jugendlichen (Klimagipfel des BUND). Sie hat "Schulfach Achtsamkeit" gegründet und bietet selbständig Lehrerfortbildungen und Onlinekurse an.

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