Krieg

Mit Kindern über den Krieg reden – und Halt geben

Der Krieg in der Ukraine bereitet vielen Sorge. Familienberater Christopher End schreibt, wie wir uns einerseits gut selbst unterstützen, und andererseits wie wir unser Kind angemessen mit seinen Fragen und Gefühlen begleiten können.

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Mit Kindern über einen aktuellen Konflikt oder Krieg zu sprechen, fordert Eltern wie Pädagog*innen auf mehreren Ebenen heraus: Zum einen ist da die Frage, ob ich mit dem Darüberreden dem Kind Halt gebe oder es eher noch mehr verunsichere. Zum anderen spüren viele Erwachsenen selbst eine Unsicherheit.

Es beginnt – wie so oft – bei mir: Ich brauche Halt in mir, um meinem Kind Halt geben zu können. Wer innerlich selbst unsicher ist, vielleicht ängstlich ist oder sogar Panik erlebt, kann auch beim Kind Ängste auslösen. Kinder spüren unsere Unsicherheit genauso wie unsere Sicherheit.

Der erste Schritt heißt also: Ich kümmere mich um mich! Wenn Sie bereits eine Achtsamkeitspraxis entwickelt haben oder Erfahrung mit Selbstregulations-Tools haben, dann ist jetzt ein guter Moment das zu nutzen, um sich zu beruhigen. Spüren Sie hingegen, dass Sie Gefühle zu übermannen zu drohen und fehlen Ihnen noch Methoden, dann finden Sie hier ein paar einfache Hinweise:

Sicherheit durch Selbstregulation

Bewegung
Wenn wir uns körperlich bewegen, kommen wir mehr und mehr in die körperliche Wahrnehmung. Das bringt uns raus aus dem Gedankenkarussell und den Sorgen. Laufen, auf dem Trampolin hüpfen oder durch die Küche tanzen sind Aktivitäten, die uns entspannen und Stress abbauen.

Natur
Der Kontakt mit der Natur wirkt beruhigend auf uns: Seien es Spaziergänge im Park oder im Wald, Gartenarbeit oder Tiere zu streicheln oder mit ihnen zu spielen. Wer keine eigenen Tiere hat, kann der Nachbar*in anbieten eine Runde mit dem Hund zu gehen.

Menschen
Die Co-Regulation hilft uns auch als Erwachsene: Sich vom Partner oder der Partnerin lange in den Arm nehmen zu lassen, einen Freund oder eine Freundin bitten einfach mal zuzuhören oder ein Coaching oder eine Therapiesitzung buchen.

Gefühlen Raum geben

Wenn wir uns gefühlt und verstanden fühlen, erzeugt das in uns inneren Halt. Deswegen brauchen Kinder in emotionalen Ausnahmesituationen Erwachsene, die ihre Gefühle anerkennen. Der Satz „Du brauchst keine Angst zu haben“ mag zwar gut gemeint sein, spricht aber genau genommen dem Kind sein Gefühl ab. Das Kind hat Angst und es darf auch Angst haben! Es hilft Kindern sogar, wenn wir ihnen erklären, dass Angst ganz normal und verständlich ist. Wenn wir erklären, dass viele Kinder und selbst Erwachsene Angst haben.

An dieser Stelle kann ich auch meine eigene Angst zeigen – so ich in mir gleichzeitig Halt spüre. Dann könnte ich sagen: „Ja, auch mir macht das etwas Sorge.“ Um dann weiter zu erklären: „Und wir sind in Sicherheit.“ Wie genau wir das ausdrücken, hat viel damit zu tun, wie alt und weit unser Kind ist und wie es auf den Krieg tatsächlich reagiert.

Wichtig ist vor allem zu erkennen, was braucht mein Kind eigentlich gerade? Robert Baden-Powell, der Gründer der Weltpfadfinder*innen-Bewegung nannte das: „Look at the child!“ Sind wir selbst aufgewühlt , neigen wir dazu unsere Kinder zu überfordern. Das sind die Momente, in denen meine Frau mich darauf hinweist, dass mein Kind mir nach der Hälfte meiner Erklärung nicht mehr zugehört hat …

Was will mein Kind wissen?

Wenn Kinder Fragen stellen, ist der erste Schritt, daher genau zuzuhören: Was will mein Kind wissen? Und dann kurz und möglichst knapp zu antworten. Dann kann ich nachfragen, ob ich die Frage beantwortet habe oder mein Kind das verstanden hat. So kann sich ein Dialog entwickeln. Ein Dialog, der sich an den Informationsbedürfnissen meines Kindes entlang entwickelt – und nicht an meinem Bedürfnis mich mitzuteilen.

Kinder brauchen auch Zeit, um Informationen zu verarbeiten. Es kann sein, dass ein Kind nach einer für uns aufwühlenden Frage (Beispielsweise ob im Krieg auch Kinder sterben) sich umdreht und in sein Kinderzimmer geht, um weiterzuspielen. Das ist völlig normal. Viele Kinder holen sich so viel Informationen, wie sie gerade benötigen.

Ab welchem Alter kann man mit Kindern über Krieg sprechen?

Bei sehr kleinen Kindern im Kita-Alter ist es ratsam erst über den Krieg zu sprechen, wenn das Kind das Thema selbst aufwirft. Grundschulkinder kommen eventuell in der Schule, durch Freunde oder schon in den Medien mit Nachrichten über den Krieg in Berührung. Da ist es wichtig, dass wir als Eltern im Bilde sind, wo unser Kind mit seinem Wissen und seinen Gefühlen steht. Wie Kinder in dem Alter mit den Informationen umgehen, hängt sehr vom einzelnen Kind ab: So kann sich eine 9-Jährige zum Beispiel mehr Gedanken über den Krieg machen als der 12-Jährige aus der gleichen Familie. Und auch das ist völlig okay.

Während Kinder eher mit Fragen kommen und Antworten suchen, sieht das bei Jugendlichen schon anders aus: Sie kommen oft schon mit eigenen Ideen, Eindrücken und Meinungen. Häufig wollen sie diese mit uns austauschen – und zwar auf Augenhöhe. Hier ist dann die Herausforderung nicht automatisch in Diskussionen zu verfallen, gerade wenn die Meinung des Teenagers unserer Einstellung widerspricht! Bei unterschiedlichen Meinungen ist es eine gute Möglichkeit zu fragen, woher unser Kind seine Informationen hat und sich dann gemeinsam auf einen Faktencheck zu begegnen.

Übrigens ist es nicht notwendig, dass wir als Eltern auf alle Fragen Antworten haben – das erwarten Kinder und auch Jugendliche nicht und das braucht es auch nicht. Was Kinder hingegen brauchen, ist das Gefühl, dass sie sich auf uns verlassen können: Dass wir der Ort sind, an dem sie auftanken können, an dem sie ihre Gefühle besprechen können und an dem gemeinsam Lösungen gesucht und gefunden werden.

Bewusster Umgang mit Medien

Gerade in hoch emotionalen gesellschaftlichen Situationen spielen Medien eine besondere Rolle, indem sie oft genug die Stimmung anheizen. Das gilt für die klassischen Medien genauso wie die Sozialen Medien. Abgesehen von der unterschiedlichen Qualität von Medien nutzen viele Seiten diese Momente der Gefahr und Verunsicherung, um ihre politischen Forderungen zu platzieren. Das macht es schwierig herauszufinden, was jetzt eine sinnvolle Lösung ist oder was eher nicht. Dazu kommen bewusste Propaganda und Falschmeldungen.

So anstrengend das ist: Diese Momente sind auch gute Möglichkeiten einen bewussten Umgang mit Medien zu üben – gemeinsam mit unserem Kind. Zum einen können wir zusammen recherchieren, über die Qualität der Medien sprechen und unsere Vorbehalte gegenüber manchen Quellen besprechen. Zum anderen können wir auch unseren Medienkonsum überdenken.

In Krisenzeiten ist es für die psychische Gesundheit sinnvoll, sich bewusst Zeitfenster zu setzen, wann und wie lange wir und unsere Kinder Nachrichten sieht – und welche! Man kann z.B. versuchen, nur morgens Radio zu hören und nachmittags noch mal ein paar Artikel zu lesen.

Ins Handeln kommen

Was uns aus der Hilflosigkeit und Ohnmacht rausführen kann, ist unser Handeln: Wenn wir beginnen konkret etwas zu tun, spüren wir plötzlich wieder unsere Handlungsfähigkeit. Kinder haben manchmal tolle Ideen, was man tun kann um seine Solidarität zu zeigen oder zu helfen. Sei es ein Plakat zu malen oder eine Postkarte an Politiker*innen zu verschicken, an einer Demo teilzunehmen oder Spenden zu sammeln – wir haben gerade in der Krise die Chance zu erfahren, dass wir Teil des Ganzen sind und Verantwortung übernehmen.

Christopher End

 

Weitere Informationen

Ein anderer guter Impuls zum Thema kommt von Corinna Simpson auf dem Blog von „Empathie macht Schule“.

 

Die Ruhe einladen – Selbstregulation für Kinder

Christopher End ist systemischer Coach und bietet in seiner Praxis Gesprächstherapie, Meditation und Eltern-Coaching (auch online) an. In seinen Podcast "Elterngedöns" läd er Gäste wie Nicola Schmidt, Inke Hummel, Nora Imlau, Mona Kino und Kathrin Hohmann ein. Außerdem gibt er selbst Impulse zum Elternalltag und stellt Meditations-Anleitungen bereit. 2020 erschien sein Buch "Der kleine Samurai findet seine Mitte - Eine Anleitung zum Meditieren mit Kindern". Mehr Infos finden Sie auf seiner Seite.
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  • Krieg: Jeeni / photocase
  • Christopher End: privat