Die Nachrichten in meinem Email Postfach klingen seit einem halben Jahr etwa so: Ein Mann oder eine Frau schreibt mir, dass ihnen die Luft miteinander ausgeht. Dass sie sich schon immer gestritten haben, aber nun, wo ihr Kind knapp 12, 15, 18, 25 Monate alt ist, sie weder ein noch aus wissen. Ich bin mir nicht sicher, ob die Paare vor den Erfahrungen mit dem Corona Lockdown auch schon nach so kurzer Zeit mit den Nerven und miteinander am Ende waren, oder ob sich jetzt die Paare nur eher melden?
Sie bitten mich um Hilfe bei der Trennung und fragen leise in den Zwischenzeilen, ob es vielleicht doch noch Hoffnung gibt, dass sie es gemeinsam schaffen. Von Hoffnung halte ich nicht viel. Hoffnung hat für mich etwas mit dem Himmel zu tun, mit Göttern oder einem Gott, die das schon regeln werden.
Ich bin da eher eine Fürsprecherin dafür, dass in einer Beziehung zwei Menschen zu 100 Prozent die Verantwortung dafür tragen, wie sie die Atmosphäre zu Hause miteinander gestalten. Oft höre ich aber auch die Frage, ob ich einen Trick oder einen Schalter kenne, den man umlegen kann, damit das Streiten endlich aufhört. Das passt schon eher für mich.
Bei Streit: Erstmal runterkommen
Ein Trick ist natürlich, dem ganzen aus dem Weg zu gehen. Etwas, was vor Corona möglich war. Stress zu Hause? Raus aus dem Haus und Freunde und Freundinnen treffen. Oder auf ins Fitnessstudio, gemeinsam ins Konzert oder Kino.
Irgendwas dazwischen packen, zwischen sich und das Gegenüber. Um den damit verbundenen Schmerz, den ein Streit auf die eine oder andere Weise mit sich bringt, nicht zu spüren. Ich finde nichts Verkehrtes daran, alle solange auf ihre Palmen klettern zu lassen, bis sie wieder, in wahrsten Sinne des Wortes, runter gekommen sind.
In einer Zeit, in der die existenziellen Themen weltweit alle und alles erschüttert und ein Ausflug seit 18 Monaten nur bis zur heimischen Toilette oder auf den Balkon glückt, ist es also per sé um vieles konfliktreicher, als es Familie-Werden ohnehin schon ist. Also können sich alle Paare an dieser Stelle einmal auf die Schultern klopfen, dass sie bis hierher den Berg erklommen haben.
Ein Streit ist ein Verlust. Auch wenn das vielleicht zu groß klingen mag, es stimmt. Es ist ein Kontaktverlust. Und wenn Sie sich, während Sie das hier lesen, an den letzten Streit erinnern, dann merken Sie möglicherweise, dass, so klein der Anlass vielleicht war, der Kontaktverlust doch ganz schön groß gewesen ist. Machen Sie gerne an dieser Stelle eine Pause und spüren dem einmal nach.
Weiß man um diesen Zusammenhang nicht, wird aus vielen kleinen Verlusten irgendwann ein großer. Und dann hat man keine Streitigkeiten mehr, sondern einen handfesten Konflikt. So wie viele kleine Schritte am Ende auch einen großen machen. Und einer friert dann am Nordpol, während der andere am Südpol weilt. Wie kommt man nun zurück an den gemeinsamen Küchentisch?
Auf den Atem fokussieren
Im Idealfall machen Paare, die ihre Streitereien und Konflikte friedlich lösen, es so: Sie hören einander zu. Auch wenn sie manchmal erst am nächsten Tag zusammen kommen.
Es ist wichtig, den Grund zu erfahren, weshalb der Andere außer sich geraten ist, anstatt z.B. die Methode „der Klügere gibt nach.“ anzuwenden. Auch wenn dies äußerlich ruhiger anmutet, brodelt es unter der Oberfläche. Und wir sind mit unserer Aufmerksamkeit innerlich immer noch viel mehr bei dem, was der Andere sagt und meint, oder viel zu sehr bei uns und dem, was wir dagegen vorzubringen habe.
Und der Trick, den ich Familien dafür vermittle, ist, den Fokus im Gespräch auf den Atem zu legen. Lernen wir das, können wir mit gleichen Anteilen unserer Aufmerksamkeit bei uns und dem Gegenüber sein und offen, neugierig und interessiert zuhören.
Am besten lernt man das in Zeiten, in denen man sich wohl gesonnen ist. Dann kann man nämlich ziemlich entspannt zu ungefähr gleichen Teilen mit der Aufmerksamkeit bei sich und beim Gegenüber sein (am besten sind 60 Prozent der Aufmerksamkeit bei mir und 40 Prozent beim Anderen).
Im Streit geht uns nämlich die Luft aus, wie es die Paare so häufig berichten. Weil wir, wenn wir uns aufregen, den Kontakt zu unserem Atem verlieren. Denn das Gegenüber ist dann nicht mehr Mensch und Partner, sondern wird zum Säbelzahntiger in unserer Küche.
Und damit verlieren wir auch den Zugang dazu, auf neue Ideen zu kommen und/oder unser Herz für den Anderen offen zu halten. Je öfter man das trocken übt, desto gekräftigter ist der Zuhör-Muskel im Konfliktfall.
Übung: Rücken an Rücken einander zuhören
Man setzt sich dafür beispielsweise Rücken an Rücken und jeder hat dann im Wechsel 15 Minuten Zeit etwas von sich zu erzählen, was sie oder ihn beschäftigt. Der Andere unterbricht nicht. Und es gibt auch danach keinen inhaltlichen Kommentar zu dem Gesagten.
Geübte können fragen, ob es für den Anderen in Ordnung ist, wenn man inhaltlich etwas anmerkt. Aber nur, wenn dem auch stattgegeben wird. Ein freundliches: „Danke, dass Du mir das erzählt hast.“ Und ein ebenso freundliches: „ Danke, dass Du mir zugehört hast.“ sind für den Anfang als Abschluss völlig ausreichend.
Und wer es ausprobieren möchte, kann noch jeweils eine oder zwei Minuten davon erzählen, was ihm während des Zuhörens bei sich aufgefallen ist. In etwa so: „An der Stelle war ich ärgerlich und das ist dann verflogen, als du das und das gesagt hast.“ Oder: „Das hat mich berührt, denn das wusste ich ja gar nicht von Dir.“
Und das Beste an einer Übung wie dieser ist, die Kinder profitieren so ganz nebenbei auch schon früh davon. Am Beispiel ihrer Eltern lernen sie wie Erwachsene empathisch, respektvoll und friedlich Konflikte lösen.
Und falls sich dann doch im Laufe eines Jahres herausstellt, dass ein Paar es nicht schafft, die Liebe zueinander wieder zu finden? Diese persönliche Art und Weise miteinander zu reden, ist eine gute Hilfe, sich gleichwürdig voneinander zu trennen. Und das ist ja das Wichtigste, schließlich hat man sich ja mal sehr geliebt.
Mona Kino
Die Autorin und Familientherapeutin ist ausgebildet u.a. bei Jesper Juul und ist Teil der aus Dänemark stammenden Bewegung Training Empathy. Sie wirkt als Referentin beim AVE-geförderten Berliner Modellprojekt Empathie macht Schule mit. Mona Kino schreibt über Beziehungskompetenz und ein gutes Miteinander in Schule, Familie und Gesellschaft. Mona Kinos Buch "Zeit für Empathie" ist 2020 erschienen im Beltz Verlag. Mehr über Mona Kino finden Sie auf Ihrer Seite.