„Wir stehen noch am Anfang der Achtsamkeitsforschung“

Neurowissenschaftlerin Dr. Britta Hölzel untersucht, welchen Einfluss Meditation auf das Gehirn hat. Im Interview spricht sie darüber, worauf Wissenschaftler*innen achten und was die Medien daraus (nicht) machen sollten.

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Das Gespräch führte Dr. Stefanie Uhrig

Was macht eine gute Meditationsstudie aus?

Dr. Britta Hölzel: Es ist gar nicht so einfach, eine richtig gute Studie zu Meditation zu machen. Wichtig ist dabei auf jeden Fall, dass die Übungen genau definiert sind, damit klar ist, was genau die Teilnehmenden üben. Gut sind dafür standardisierte Programme, aber häufig werden solche methodischen Fragen in den Publikationen gar nicht genau beschrieben.

Ein zweiter Punkt ist die Kontrollgruppe: Am besten ist ein Vergleich von verschiedenen aktiven Übungen. Also etwa Meditation mit Sportprogrammen oder Diskussionsgruppen. Häufig gibt es nur „passive“ Kontrollen, in denen die Teilnehmenden während der Studie auf einer Warteliste stehen und sonst nichts tun.

Dann lässt sich nicht genau sagen: Kommen die Effekte der Meditation vielleicht nur davon, dass diese Gruppen sich aktiv mit etwas beschäftigen – egal womit?

Die Selbstauskunft über die Gedanken und Gefühle kann mit physiologischen Daten ergänzt werden.

Außerdem finde ich es sehr vorteilhaft, wenn unterschiedliche Daten erhoben werden. So kann beispielsweise die Selbstauskunft über die Gedanken und Gefühle mit physiologischen Daten ergänzt werden, die zeigen, was wirklich im Körper passiert.

Und: Möglichst große Stichproben sind wichtig, um die Effekte klar zu erkennen. Gerade, wenn es um Interventionen geht – also darum, Grundsituationen wie das Stresslevel und die allgemeine Gesundheit zu verbessern – werden mehr Testpersonen benötigt.

Ist es  schwierig, genug Teilnehmende für eine Studie zu finden?

Hölzel: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele Leute daran interessiert sind, an den Studien teilzunehmen. Die Schwierigkeit ist eher, eine gute aktive Kontrollgruppe zu finden. Darin liegt die Herausforderung: Normalerweise rekrutieren wir Menschen, die Lust darauf haben, Achtsamkeit oder allgemein Meditation zu lernen. Diese Personen möchten dann natürlich nicht in der Kontrollgruppe landen, wo sie etwas anderes machen und trotzdem sehr viel Zeit investieren müssen.

Die Kontrollgruppe kann ein Gesundheitstraining durchlaufen und hat das Gefühl, etwas Sinnvolles für sich aus der Studie zu ziehen.

In den letzten Studien haben wir das so gelöst, dass wir gefragt haben, wer etwas für das Gesundheitsverhalten allgemein tun möchte. Die Kontrollgruppe kann dann eine Form von Gesundheitstraining durchlaufen und hat das Gefühl, etwas Sinnvolles für sich aus der Studie zu ziehen. Aber so haben wir eine andere Stichprobe von Menschen – da kommt es wieder stark auf die Frage an, was genau wir untersuchen wollen.

Wie viel Erwartungshaltung bringen Meditationslehrende mit in die Studie?

Hölzel: Es ist ja tatsächlich so, dass manchmal die Wissenschaftler*innen gleichzeitig die Teilnehmenden in Achtsamkeit oder anderen Meditationsformen unterrichten. Dann ist es ganz schwer, die eigenen Erwartungen nicht durchscheinen zu lassen. Ich glaube, ein bisschen kann man mit einer selbstkritischen Betrachtung gegensteuern. Aber es sind sehr starke Erwartungseffekte.

Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass man die Interpretation immer durch die Brille dessen macht, was man sich vorstellt oder aus der Wahrnehmung der eigenen Praxis heraus. Deshalb sollte man sich immer und immer wieder hinterfragen. Aber das ist in anderen Feldern der Neurowissenschaften ja auch nicht anders.

Es ist ganz schwer, die eigenen Erwartungen an die Studie nicht durchscheinen zu lassen.

Können Meditationsstudien überhaupt objektiver werden?

Hölzel: Eine Sache, die wirklich gut und sinnvoll ist: Immer öfter werden die Studien und ihre Hypothesen vorher registriert. Seit ein paar Jahren wird das mehr und mehr zum Standard und sorgt dafür, dass man nicht einfach die Ergebnisse so präsentieren kann, als hätte man genau das erwartet.

Gerade in einem so jungen Forschungsfeld wie der Meditationsforschung passiert es immer wieder, dass man eine Studie mit einer klaren Hypothese registriert – und dann bestätigen sich die Erwartungen nicht. Das ist nicht überraschend bei einem so komplexen Gegenstand, wo noch relativ wenig bekannt ist. Das bedeutet dann nicht, dass wir alles in die Tonne hauen müssen. Wir können daraus lernen und neue Hypothesen formulieren.

Worauf sollten wir achten, wenn wir Meditationsstudien lesen?

Hölzel: Vor allem sollten die Medien die Ergebnisse nicht überstrapazieren und möglicherweise Dinge hineininterpretieren, die nicht da sind. Wir müssen uns im Klaren sein, dass wir noch am Anfang der Achtsamkeitsforschung stehen – da sind eindeutige Aussagen selten.

Außerdem ist es wichtig, genau zu schauen, was untersucht wurde. Wenn sich die Forschenden beispielsweise Veränderungen in der Gehirnstruktur angesehen haben, können wir nicht automatisch daraus schließen, dass sich das auch auf das Verhalten auswirkt.

Dazu zitiere ich gerne eine Studie, die ähnlich wie ein MBSR-Kurs acht Wochen lang ging. In dieser Studie zeigten die Autor*innen ähnliche Veränderungen im Gehirn wie nach der achtsamkeitsbasierten Stressreduktion. Tatsächlich hatten die Teilnehmenden aber in der Zeit Super Mario-Computerspiele gespielt! Anhand der Veränderungen ziehen die Forschenden sogar den Schluss, dass man mit dieser Intervention die psychische Gesundheit verbessern könnte.

Nur weil sich etwas im Gehirn verändert, heißt es nicht, dass sich auch das Verhalten oder das physische Empfinden verändert.

Das macht deutlich, wie absurd das eigentlich ist: Es gibt so viele unterschiedliche Trainings, die man machen könnte und die zu ähnlichen strukturellen Veränderungen führen – wo man aber gleichzeitig nicht davon ausgehen kann, dass sie auch das Verhalten oder das psychische Empfinden in gleicher Weise beeinflussen. Jede Gehirnregion ist unheimlich komplex und vielgestaltig. Also: Immer darauf achten, was genau gezeigt wird und was das über unsere Realität aussagt.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Britta HölzelDr. Britta Hölzel ist Diplom-Psychologin, Neurowissenschaftlerin, MBSR- und Yoga-Lehrerin. Als Wissenschaftlerin untersucht sie die neuronalen Mechanismen der Achtsamkeitsmeditation mittels magnetresonanztomographischer Aufnahmen. Die Ausbildung zur MBSR-Lehrerin erhielt sie an dem von Jon Kabat-Zinn gegründeten Center for Mindfulness an der University of Massachusetts Medical School. Mehr über Dr. Britta Hölzel finden Sie hier.

 

Mindful Students Regensburg – Vortrag von Dr. Britta Hölzel

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  • Britta Hölzel: Julia Rotter