Yoga in der Grundschule

Erfahrungsbericht von Sabine Piecha, Grundschullehrerin, Yogalehrerin und Enspannungstrainerin für Kinder

Die positive Wirkung ihrer eigenen Yogapraxis hat Sabine Piecha so beeindruckt, dass sie anfing, die Körper- und Atemübungen auch in ihrem Unterricht an der Grundschule zu integrieren.

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Das Gespräch führte Sandra Gumpinger.

Was macht Ihre Leidenschaft für Yoga mit Kindern aus? Wie sind Sie dazu gekommen?

Sabine Piecha: Ursprünglich habe ich privat Yoga gemacht und fand es immer faszinierend. Dann habe ich mich für die zweijährige Yogalehrerausbildung entschieden um zu erfahren: Was steckt dahinter? Wie kommt es zu all diesen positiven Effekten? Durch die Ausbildung bin ich dann dazu gekommen, Yoga im Zuge meines Berufs als Grundschullehrerin anzubieten.

Ich dachte, mir tut es gut, dann wird es den Kindern auch gut tun. So habe ich es einfach im Unterricht ausprobiert und die Kinder fanden es vom ersten Moment an klasse. Nach einiger Zeit verlangten sie direkt danach – nach Ruhe und Entspannung. Das hat mich dazu bewegt, Yoga in der Schule weiter zu vertiefen und nun auch anderen Lehrkräften zugänglich zu machen.

Die Kinder merken, wie gut ihnen die Ruhe tut.

Warum sind Entspannung und Ausgeglichenheit wesentlich für den Lernprozess?

Piecha: Das Thema ist hoch komplex und hat viel mit unserem Nervensystem zu tun. Anspannung führt auf Dauer zu Schmerzen und Krankheiten. Deshalb ist der Gegenpol, die Entspannung, so wichtig. Vor allem für Kinder. Sie merken, wie gut ihnen Ruhe tut. Die Anspannung im Körper lässt nach und der Geist ist wieder frei.

… und so können sich die Kinder mehr auf die Inhalte und den Lernprozess einlassen?

Piecha: Ganz genau!

Grundschulkinder beim Yoga

 

In welcher Form trägt Yoga dazu bei?

Piecha: Yoga ist die Einheit, die Verbindung. Durch den Wechsel zwischen Anspannung und Entspannung – zwischen Bewegung und Stille – schafft Yoga Harmonie. Es gibt aktivierende Momente und harmonisierende Momente. So werden Körper, Geist und Seele in Einklang miteinander gebracht.

In einem Ihrer Blogartikel sprechen Sie von 5 Elementen, welche Yoga ausmachen. Können Sie die für uns näher beschreiben?

Piecha: Ich beziehe mich auf Hatha-Yoga, eine bei uns im Westen übliche Yogarichtung. Sie beinhaltet Körperübungen, Atemübungen, Entspannung, Achtsamkeit, beziehungsweise Meditation und positives Denken. Das sind die fünf Kernelemente. Wenn man diese regelmäßig übt, sei es nur kurz am Tag, dann kann man enorme Wirkungen sehen und spüren.

Wie können die Elemente des Yoga im Unterricht integriert werden und braucht es dazu eine spezielle Ausbildung?

Piecha: Als ich mit Yoga in der Grundschule begonnen habe, habe ich einfach ausprobiert was gut funktioniert und was eher nicht. Ich habe die Praxis ständig verbessert und dann ein Workbook darüber geschrieben. Zunächst über die Theorie, auf was beim Yoga mit Kindern geachtet werden muss. Dann über die Übungen zu den 5 Elementen des Yoga: Körperübungen, Atemübungen, Entspannungsübungen, Achtsamkeitsübungen und Übungen zum positiven Denken.

Man braucht keine spezielle Ausbildung, um Yoga im Unterricht zu integrieren.

Ich habe mir gedacht, wenn die Übungen bei mir im Unterricht gut funktionieren, muss das bei anderen auch so sein. Also habe ich Testpersonen gesucht und viele Lehrkräfte aus Deutschland und Österreich gefunden, die das Programm dann ausprobierten. Alle waren begeistert und fanden die Übungen leicht umzusetzen, egal ob mit Vorkenntnissen oder ohne. Man braucht also keine spezielle Ausbildung, um Yoga im Unterricht zu integrieren. Natürlich kann man sich dann weiter im Thema vertiefen, wenn man das möchte.

Wie kann man damit umgehen, wenn Kinder die Übungen nicht mögen, nicht mitmachen wollen oder auch wenn sie den Unterricht stören?

Piecha: Um die Frage zu beantworten muss ich weit ausholen. Die Gründe, warum Kinder nicht mitmachen wollen, sind sehr unterschiedlich. Es gibt Kinder, die nicht mitmachen, weil sie denken sie können es nicht und das nicht zeigen wollen. Es gibt Kinder, welchen Entspannungsübungen schwer fallen und die dann beginnen andere zu stören. Zwang ist hier jedenfalls nicht angebracht.

Ich handhabe es so: wer nicht mitmachen möchte, darf sich anderweitig still beschäftigen, dabei allerdings den Rest der Klasse nicht stören. Die Kinder gehen dann zum Beispiel in die Leseecke um ein Buch anzusehen. Aber bisher kam bei allen Kindern irgendwann das Interesse. Sie merken einfach an den Reaktionen der anderen, dass die Übungen eine bestimmte Wirkung haben und machen dann doch mal mit.

Die Regelmäßigkeit – das ist das A & O.

Das Gute daran ist, wenn man Yoga regelmäßig macht, werden die Unterrichtsstörungen automatisch weniger. Die Kinder verbessern ihr Körpergefühl, ihre Selbstwahrnehmung, ihre Fremdwahrnehmung und Empathie. Es entsteht eine ganz andere Atmosphäre in der Klasse, sodass die Kinder überhaupt keine Lust haben zu stören, weil sie die Stimmung, die Ruhe und Stille so genießen. Man schafft ganz neue Werte. Plötzlich ist es wichtig, zu genießen, zu spüren und zu beobachten. Dazu muss man die Übungen allerdings auch regelmäßig machen. Die Regelmäßigkeit – das ist das A & O.

Welche Übungen sich für das Klassenzimmer eignen, verrät Piecha in ihrem Workbook

 

Erleben Sie, dass die Säulen des Yoga von den Kindern auch ins Elternhaus getragen werden oder die Kinder zuhause auch Übungen machen?

Piecha: Ja, tatsächlich. Ein Beispiel ist das Glitzerglas. Ich habe bereits vor der Corona-Zeit damit begonnen, es mit den Kindern zu verwenden. Das Glitzern im Glas sind unsere Gedanken, die herumwirbeln und die wir zur Ruhe bringen möchten. Wir verwenden die tiefe Bauchatmung und halten das Glitzerglas. Während wir atmen, kommt der Glitzerwirbel zur Ruhe und setzt sich am Glasboden ab.

Gleichzeitig merken die Kinder: „Jetzt ist es ruhiger in mir und ich kann wieder klar denken.“ Dieses Glitzerglas haben die Kinder mit nach Hause genommen und auch die Eltern finden es super.  Sie erzählen zum Beispiel: „Wenn es mal ausgeartet ist, guckt mein Kind zwischendurch auf das Glitzerglas und kann sich wieder beruhigen.“

Gibt es manchmal Widerstände von Eltern, z.B. aus religiösen Gründen?

Piecha: Ich informiere die Eltern in einem Elternbrief darüber, worum es beim Yoga geht. Eine Anleitung dazu findet man auch in meinem Workbook. Yoga hat an sich nichts mit einer bestimmten Religion zu tun und kann von allen praktiziert werden. Ich lasse die spirituellen Aspekte stets raus und hatte bisher keinen einzigen Fall, bei dem Eltern Widerstände gezeigt hätten.

Unter meinen Testpersonen gab es einen Fall, in dem Eltern auf Grund spiritueller Aspekte etwas gegen den Sonnengruß hatten. Ich verkaufe den Sonnengruß zum Beispiel als Aufwärmübung: wir aktivieren unseren Körper und dabei begrüßen wir die Sonne und die Erde und so weiter. Das kennt man ja beispielsweise auch aus anderen Kinderliedern. So hatte ich noch nie Probleme.

Das Glas mit Glitzer hilft, die Gedanken und Gefühle zu beruhigen und gemeinsam zu reflektieren

 

Abgesehen von Entspannung und Ausgeglichenheit, welche Effekte bringt Yoga in der Grundschule noch mit sich?

Piecha: Oh, da gibt es jede Menge! Der Körper wird flexibler und kräftiger und das Gleichgewicht wird gestärkt. Auch die Konzentration, welche wir in der Schule brauchen, nimmt zu. Ganz allgemein erhöht sich die eigene Körperwahrnehmung und die Selbstwahrnehmung. Bei gewissen Übungen denken die Kinder vorher „das schaffe ich nicht“, dann probieren sie es aus und merken „ah, mein Körper kann das doch“.

So stärken wir auch das Selbstbewusstsein und die Selbstliebe. Beim Yoga fällt außerdem das Konkurrenzdenken weg. Wir üben alle für uns selbst. Die Aufmerksamkeit liegt ganz beim eigenen Körper und beim eigenen Empfinden. Auch die Atemübungen sind wertvoll. Sie stärken die Lunge und die Atemkoordination. Aus der flachen Brustatmung wird die tiefe Bauchatmung und mehr Sauerstoff gelangt in den Körper.

„Wenn ich mich selbst liebe, habe ich keinen Grund anderen gegenüber böse zu sein.“

Beobachten Sie auch Auswirkungen auf das soziale Miteinander in der Klasse?

Piecha: Das soziale Miteinander wird auf jeden Fall auch gestärkt. Wenn ich mich selbst liebe, habe ich keinen Grund anderen gegenüber böse zu sein. Am Anfang ist das schwierig, denn viele Kinder denken nicht all zu positiv über sich selbst. Sie sehen immer nur ihre Fehler und das, was sie nicht gut können. Wenn man die Übungen zum positiven Denken regelmäßig macht, merken die Kinder „ich muss mich nicht vergleichen, ich bin gut so wie ich bin“. Ich denke, das ist ein wichtiger Gegenpol zu Leistungsbeurteilung und Leistungsdruck. So können Druck und Anspannung immer wieder rausgenommen werden.

Haben Sie Tipps für Lehrkräfte, die skeptisch sind?

Piecha: Es gibt Lehrkräfte, die privat nichts mit Yoga zu tun haben und alles was neu ist, ist erst mal schwierig. Man muss alte Gewohnheiten loslassen und Neues erlernen. Das ist vor allem dann schwierig, wenn man das Thema persönlich nicht mag. Dann ist es klug, es zu lassen. Niemand muss dazu gezwungen werden. Offenheit, die eigene Bereitschaft und Interesse sind die Grundlage. Anders geht es nicht.

Danke für das Gespräch!

 

Sabine Piecha ist seit über zehn Jahren als Grundschullehrerin in Deutschland tätig. Die positive Wirkung ihrer eigenen Yogapraxis hat sie dazu bewegt, 2020 eine Yogalehrerausbildung zu absolvieren. Seit einigen Jahren praktiziert sie Yoga mit Kindern im Zuge des Unterrichts. Sie verbindet die Elemente des Yoga mit Lerninhalten. Um interessierte Lehrkräfte dazu zu ermutigen und und dabei zu unterstützen, Yoga im Unterricht zu integrieren, hat sie ein Workbook geschrieben und eine Schatzkiste an Unterrichtsmaterial erstellt.

Hier kommen Sie zu Sabine Piechas Website mit zahlreichen Anregungen, Blogartikeln, dem Workbook und Materialien für den Unterricht.

Sandra Gumpinger, BEd, ist Absolventin des Hochschullehrgangs Achtsamkeit in Bildung, Beratung und Gesundheitswesen. Sie arbeitet als Sozialpädagogin im Bundesschülerheim der Tourismusfachschule Krems in Niederösterreich, wo sie gemeinsam mit Jugendlichen Meditation und Yoga praktiziert. Zusätzlich ist sie freiberuflich als Achtsamkeitstrainerin, Mentaltrainerin und Yogalehrerin tätig. Hier kommen Sie auf ihre Seite.

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  • Illustration Sabine Piecha: Felicitas Horstschäfer
  • Yoga im Klassenraum: Sabine Piecha
  • Yoga in der Grundschule: Sabine Piecha
  • Glitzerglas: Sabiene Piecha