12 Fragen an Vera Kaltwasser

Wer sie kennt, weiß, Vera Kaltwasser sprudelt nur so vor Energie, Lebensfreude und Ideen für neue Bücher und Achtsamkeits-Projekte. Tägliche Meditation und QiGong unterstützen sie im Umgang mit kreativen Impulsen und bringen Ruhe in den Tagesablauf.

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Wann und warum haben Sie angefangen Achtsamkeit und Meditation zu üben?

Eigentlich schon damals, als ich als junge Lehrerin mit Schüler*innen Theaterprojekte realisiert habe. Da haben wir vor jeder Probe meditiert, auf den Atem geachtet und uns in Präsenz miteinander verbunden.

Wie würden Sie Achtsamkeit einem Kind oder Jugendlichen erklären?

Erklären würde ich erstmal nicht, sondern dazu ermutigen, Erfahrungen zu machen. Zum Beispiel mit einer einfachen Atemübung und dann ins Gespräch kommen: Wie war das? Was habt Ihr wahrgenommen? Der Erfahrungsaustausch und die Körperorientierung sind die Basis der achtsamen Haltung. Man sollte die Achtsamkeit schmecken wie eine gute Schokolade oder wie eine reife Brombeere. Danach kann theoretisches Wissen folgen. Bei der Achtsamkeit z.B. die Psychoedukation: Was geschieht bei Stress im Körper? Warum stärkt es den Parasympathikus, wenn ich bewusst auf den Atem achte?

In welchen Situationen fällt es Ihnen schwer achtsam zu sein?

Ich habe immer so viele Ideen und Projekte, weil mir das Freude macht. Ich sprudele und würde gerne alles gleichzeitig machen, aber ich merke das meist rechtzeitig und sortiere dann und setzte Prioritäten. Morgens nehme ich mir Zeit zum Meditieren, Qigong Üben und Tagebuchschreiben. Da setze ich Intentionen für den Tag. Wenn ich das mal nicht mache, dann wird der Tag irgendwie chaotischer.

Welches Zitat inspiriert Sie immer wieder?

„Man muss, solange man lebt, lernen, wie man leben soll.“ Der Spruch ist von Seneca. In letzter Zeit beschäftige ich mich auch mit Marc Aurel und bin verblüfft, wie viele seiner Äußerungen aus dem heutigen Achtsamkeitsfeld stammen könnten.

Wer ist in Bezug auf Empathie und Mitgefühl Ihr persönliches Vorbild?

Oh, da gibt es so viele Menschen in meinem Umfeld, die mich inspirieren, für mich da sind, aber auch meine Lehrer*innen: Der Dalai Lama, Jon Kabat-Zinn, Jack Kornfield, Tara Brach, Matthieu Ricard und alle, mit denen ich Herzensbegegnungen haben durfte.

Kann man mit Achtsamkeit die Welt retten?

Die Haltung der Achtsamkeit bedeutet, dass wir immer genauer wahrnehmen, was in uns vorgeht und was in unserem Umfeld und in der Welt geschieht. Genauer wahrnehmen bedeutet hier, dass wir merken, wie oft wir vorschnell urteilen, anderen etwas unterstellen, was so gar nicht stimmt, was aber unserer gewohnten Weltsicht entspricht. Veränderungen gehen vom Einzelnen aus, dann geschieht die Verbindung mit Menschen, die ähnliche Wertvorstellungen haben. Das habe ich seit vielen Jahren bei meiner Arbeit im Bildungsbereich erfahren. Wenn der Funke der Begeisterung überspringt und konkret gemeinsame Ziele verfolgt werden, dann verändert sich ganz viel, weil andere auch darauf aufmerksam werden. Also nicht missionieren, sondern inspirieren. Wenn ich mitfühlend und freundlich mit mir umgehe, dann strahlt diese liebevolle Verbindung auch auf meine Weltsicht aus, dann möchte ich von Herzen dazu beitragen, dass wir unsere Umwelt schützen und schädliche Einflüsse fernhalten

Welches Buch hat Sie zuletzt besonders inspiriert?

Da gibt es so viele! Immer wieder kehre ich zu Jon Kabat-Zinns Werk „Zur Besinnung kommen“ zurück. Wir haben einen Buchclub, da lesen wir kontinuierlich aktuelle Romane, zuletzt „Lektionen“ von Ian McEwan, was mir sehr gut gefallen hat. Oder „Crossroads“ oder die letzten Bücher von Seethaler oder Arno Geiger.

Gibt es etwas, das Sie an der Achtsamkeitspraxis manchmal nervt?

Was bedeutet „nerven“? Man mag das nicht, was gerade ist. Und hier ist ja das größte Lernpotential. Die Achtsamkeitspraxis im Alltag, das beobachtende Gewahrsein, das ist mir immer eine Hilfe und nervt nie, sondern unterstützt mich und bewahrt mich davor, vorschnell zu agieren oder mich in Gedankenschleifen zu verirren.

Haben Sie eine spezielle „Achtsamkeitsroutine“?

Tatsächlich habe ich da positive Gewohnheiten etabliert – morgens schon im Liegen Kontakt mit dem Körper aufnehmen durch einen Mini-Body-Scan, dann aufstehen und einige kraftvolle Qigong-Übungen machen, Meditieren, Kaffee trinken beim Journaling. Ja – das klingt nach viel, aber mein Körper verlangt danach und ich weiß, dass ich mich danach so gut fühle, wenn ich dann die Dusche mit Kaltwasser beende, dann bin ich als Vera Kaltwasser bereit für das Frühstück und die Zeitung. Und wenn ich unterwegs bin für Seminare, dann kürze ich die Abläufe, lasse sie aber nicht weg.

Sollte Achtsamkeit Einzug erhalten in Bildungsinstitutionen und wenn ja wie/warum?

Oh eine umfangreiche Frage, dazu habe ich ja Bücher und viele Artikel  geschrieben, aber das Wesentliche scheint mir, Lehrer*innen zu ermutigen und zu befähigen, zunächst eine verlässliche, persönliche Achtsamkeitspraxis zu entwickeln. Schon wenn Lehrer*innen Achtsamkeit verkörpern, verändern sie durch ihre Haltung das Beziehungsklima im Unterricht. Und dann haben sie oft den Wunsch, Achtsamkeit an Schüler*innen zu vermitteln.

Welche bereits verstorbene Person hätten Sie gerne getroffen?

Rumi, Goethe, Sophie Mereau, Bettine von Brentano und Karoline von Günderrode. Über diese habe ich Features für den Rundfunk geschrieben und sie haben mich allesamt fasziniert. Vielleicht schreibe ich noch ein Buch über Sophie Mereau.

Wenn Ihr Geist ein Garten wäre, wie sähe es dort aus?

Danke für das Bild… Da kümmere ich mich mal nicht um botanische Regeln. Es gedeihen unterschiedlichste Pflanzen aus allen Klimazonen nebeneinander, bunt und satt, Bienen schwirren herum, Bananenstauden, Palmen, aber auch Heckenrosen gibt es, lauschige Plätzchen, ein Teich mit Seerosen und eine Hängematte zwischen einem Kirschbaum und einem Birnbaum wie in meinem Garten bei Freiburg. Mal ruht mein Geist in der Hängematte, mal erfreut er sich an der Vielfalt oder an einer einzigen Blume. Solche Fragen dürfen Sie mir nicht stellen, denn ich könnte nun endlos meine Fantasie spielen lassen.

Vera Kaltwasser, Oberstudienrätin, Theaterpädagogin und in der Lehrerfortbildung tätig. 2007 nahm sie ein Sabbatjahr und begann u. a. bei Jon Kabat-Zinn, dem Begründer der Achtsamkeitsbewegung, in den USA ihre Ausbildung zur MBSR-Lehrerin. Weitere Ausbildungen: Qigong und Freiburger Lehrercoaching (Prof. J. Bauer). Als Autorin hat sie diverse Bücher und zwei Kartensets für den Unterricht veröffentlicht. Mehr über Vera Kaltwasser und die AiSchu-Lehrerfortbildung finden Sie auf ihrer Seite.

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  • Illustration Vera Kaltwasser: Felicitas Horstschäfer