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Achtsamkeit – Möglichkeiten und Grenzen der Forschung

Die Studien zum Thema Achtsamkeit haben in den letzten zehn Jahren deutlich zugenommen. Was wird erforscht, warum und mit welchen Methoden? Und wie kann man eine Studie richtig einschätzen? Ein Überblick von Dr. Stefanie Uhrig.

PORTAL FÜR ACHTSAMKEIT IN DER PÄDAGOGIK

Die Achtsamkeitspraxis ist in den letzten 15 Jahren immer populärer geworden. Menschen interessieren sich aus verschiedenen Gründen dafür, etwa um einen bewussteren Lebensstil zu führen, um sich spirituell zu entwickeln oder für einen besseren Umgang mit Stress.

Bekannter wurde Achtsamkeit auch deshalb, weil sich die Forschung immer stärker damit beschäftigt hat. Die Anzahl an Studien zum Thema Achtsamkeit und Meditation hat in den letzten zehn Jahren deutlich zugenommen: 2016 finden sich zum Stichwort „mindfulness meditation“ erstmals über hundert Artikel in der National Library of Medicine in den USA, 2021 waren es ca. 170. Sucht man nur nach „mindfulness“, gibt es sogar deutlich mehr Treffer.

Warum wird geforscht?

Die unterschiedlichen Forschungsrichtungen konzentrieren sich auf verschiedene Aspekte der Praxis. Bei einem Großteil geht es darum, ob die Achtsamkeitsmeditation Stress reduziert oder uns glücklicher macht. Manchmal hat die Forschung einen Bezug zur Arbeitswelt oder der Schule: Kommen wir besser mit den Anforderungen klar, wenn wir regelmäßig Achtsamkeit üben?

Das große Interesse an diesen Fragen spiegelt die Probleme unserer Zeit wider – in allen Bereichen lauert der Stress, die Konzentration leidet durch Multitasking, ständig werden wir abgelenkt. Dann ist Achtsamkeit vielleicht nicht die alleinige Antwort. Aber die Wissenschaft versucht herauszufinden, ob die Meditation uns möglicherweise helfen kann, mit diesen oft unvermeidbaren Situationen besser umzugehen.

Basis für die Forschung: Achtsamkeit definieren 

Der erste Schritt für eine aussagekräftige Forschung ist die Definition von Achtsamkeit, die man der Studie zugrunde legt. Denn wenn jede Forschungsgruppe darunter unterschiedliche Dinge versteht, lassen sich die Ergebnisse letztendlich kaum miteinander vergleichen.

Die gängigste Definition ist die, welche Jon Kabat-Zinn 1994 machte: „Achtsamkeit bedeutet, auf eine bestimmte Weise aufmerksam zu sein: bewusst, im gegenwärtigen Augenblick und ohne zu urteilen.“

Schon 1979 entwickelte der emeritierte Professor für Molekularbiologie ein Programm, das bis heute oft untersucht wird: der achtwöchige Kurs wird MBSR genannt, Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion bzw. mindfulness-based stress reduction. Das Programm verbindet Gruppensitzungen mit täglichen selbstständigen Übungseinheiten.

Solche genauer definierten Rahmen eignen sich gut, um die Ergebnisse verschiedener Untersuchungen miteinander vergleichen zu können.

Tania Singer
Forscherin Dr. Tania Singer im MRT: Konzentration auf Freundlichkeit, 2015

Für echte Vergleichbarkeit sorgen

Ein Forschungs-Beispiel: 2018 analysierten amerikanische Wissenschaftler*innen 171 Studien (1), die eine Achtsamkeitsintervention bei psychischen Erkrankungen untersucht hatten.

Zwar waren die Methoden nicht bei allen Studien gleich, gemeinsam war ihnen aber, dass die Teilnehmenden zuhause alle die Achtsamkeitsmeditation praktiziert hatten. Zusätzliche Behandlungskomponenten (Gruppensitzungen, kognitive Therapie oder ähnliches) konnten ebenfalls vorkommen.

Interventionen, in denen es eher um eine allgemein achtsame Haltung im Alltag ohne eigentliche Meditation ging oder in denen andere Formen der Meditation angewandt wurden, schlossen die Autor*innen aus ihrer Studie aus. Indem sie außerdem zwischen verschiedenen Arten von Kontrollgruppen differenzierten, machten sie die Ergebnisse der Studien so vergleichbar wie möglich.

Fazit der Metastudie: Durch den Vergleich der 171 Studien konnten sie zeigen, dass die Achtsamkeitsmeditation bei Depressionen, Schmerzen und Suchterkrankungen helfen kann und entsprechende Interventionen zumindest unterstützend zu anderen Therapien ausprobiert werden können.

Fallstricke: Studien richtig verstehen

Insgesamt zeigen uns wissenschaftliche Studien und Übersichtsartikel schon viel über die Wirkungsweise von Achtsamkeit. Wir müssen nur bei der Interpretation der Ergebnisse aufpassen, was genau die Forschenden eigentlich untersucht haben. Ein Beispiel dazu: 2021 wollten Wissenschaftler in einer Studie (2) herausfinden, ob eine digital begleitete Achtsamkeitspraxis bei Schlafstörungen helfen kann.

Dafür gab es zwei Gruppen, eine mit einer 6-wöchigen Achtsamkeits-Intervention, die andere bekam während der Studiendauer keine Behandlung – eine sogenannte passive Kontrolle. Die Ergebnisse können also nur sagen, ob eine solche digitale Achtsamkeitstherapie besser wirkt als gar nichts zu verändern.

Damit ist die Studie nur bedingt aussagekräftig: Die Effekte der Intervention könnten auch einfach von der Tatsache herrühren, dass sich die Teilnehmenden aktiv mit ihrem Problem beschäftigt und das Gefühl haben, etwas für sich zu tun.

Wer eine gut fundierte Studie von weniger aussagekräftigen Studien unterscheiden möchte, kann zunächst auf die Anzahl der Teilnehmenden achten: Die Menschen sind so verschieden, dass eine Gruppe aus 10 Testpersonen kaum ein Ergebnis liefert, das auf alle Menschen übertragen werden kann. Auch die Kontrollgruppe ist wichtig: Womit vergleichen die Forschenden die Meditation, mit dem Nichts-tun oder mit anderen Formen von Stressbewältigung oder Therapien?

Ziele – was die Forschung interessiert

Soziales Verhalten: Die bekannte Neurowissenschaftlerin und Psychologin Tania Singer beschäftigt sich beispielsweise mit prosozialem Verhalten wie Empathie, Aufmerksamkeit und der Fähigkeit, sich in andere Menschen hineinzuversetzen (Theory of Mind, ToM). In ihrer Forschung hat sie bereits gezeigt, dass verschiedene Arten der Meditation sich unterschiedlich auf diese mentalen Fähigkeiten auswirken. (3)

Gesundheit: Bei Fragestellungen anderer Studien geht es darum, wie sich die Achtsamkeitsmeditation bei psychischen oder körperlichen Erkrankungen auswirkt und ob sie vielleicht als alleinige Therapie oder als zusätzliche Behandlung die Symptome lindern kann. Hinweise gibt es beispielsweise auf eine Verbesserung von Depressionen durch Achtsamkeitsmeditation (4). Auch bei anderen seelischen Problemen (5) und chronischen Schmerzen (6) oder bei körperlichen Symptomen wie Bluthochdruck, Entzündungen und Rheuma (7) wirkt Meditation möglicherweise lindernd.

Methoden und Wirkmechanismen: Wie funktioniert Forschung?

Mathieu Ricard
Forschung bereits 2008 mit Langzeit-Meditierendem Mönch Mathieu Ricard

Und es gibt die Forschenden, die wissen möchten, wie Meditation überhaupt auf uns wirkt, etwa auf den Blutdruck oder das Gehirn. Verändert sich etwas an den Verknüpfungen der Nervenzellen oder am Hirnvolumen in bestimmten Regionen? Hat Meditieren eine Auswirkung darauf, wie gut wir uns konzentrieren können oder wie mitfühlend wir uns anderen Menschen gegenüber verhalten?

Außerdem unterscheiden Forschende zwischen der Meditation selbst und einer allgemein achtsamen Haltung im Alltag . Letzteres lässt sich allerdings weniger eindeutig untersuchen als eine festgelegte Meditationspraxis. Der Kontext spielt ebenso eine Rolle: Geht es um Erwachsene oder Kinder, um Psychologie oder Pädagogik?

Die Forschungsmethoden sind auf die jeweiligen Fragen angepasst. Oft gibt es eine Art von Meditationsplan, dem die Teilnehmenden folgen sollen, teils angeleitet, teils selbstständig. Phänomene wie das allgemeine Wohlbefinden oder die Schmerzintensität beschreiben die Teilnehmenden vor und nach der Meditationsintervention in Fragebögen, bei anderen Aspekten wie der Konzentrationsfähigkeit gibt es objektivere Tests.

Spannend ist es auch, ins Gehirn selbst zu schauen. Dazu wird die Aktivität im Gehirn der Teilnehmenden in einem funktionellen Magnetresonanztomograph (fMRT) sichtbar gemacht. Während der Analyse konzentrieren sie sich dann beispielsweise auf die Achtsamkeitsmeditation oder bekommen andere Aufgaben – was wiederum davon abhängt, was genau die Forschenden herausfinden möchten. Manchmal werden dafür Menschen untersucht, die noch nie Kontakt mit der Meditation hatten, andere Studien analysieren Menschen mit sehr viel Meditationserfahrung.

Hürden in der Forschung

Ganz einfach ist die Forschung zur Achtsamkeit und zu Meditation im Allgemeinen nicht. Die Wissenschaftler*innen müssen sich beispielsweise darauf verlassen, dass ihre Testpersonen wirklich die Übungen durchführen, auch selbständig zuhause. Überhaupt müssen sie erst einmal genug Teilnehmende finden.

Denn: Solange jemand sich keine Heilung für eine bestimmte Erkrankung oder Hilfe bei extremer Stressbelastung verspricht, nehmen sich die wenigsten Menschen die Zeit für eine Beiteiligung an einer wissenschaftlichen Studie. Und natürlich hängt auch vieles davon ab, wer die Meditation unterrichtet und wie genau das Training abläuft. Das sind nur einige der Hürden, vor denen Forschende immer wieder stehen.

Dass geforscht wird, hat jedoch zweifelsohne viele positive Folgen – das Thema Achtsamkeit bekommt dadurch mehr Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit und somit einen höheren gesellschaftlichen Stellenwert. Institutionen wie Schulen, Hochschulen und auch Unternehmen können Programme und Initiativen für eine Implementiertung von Achtsamkeit besser rechfertigen und in ihrem Umfeld anbieten.

Stefanie Uhrig

 

Goldberg, S. B., Tucker, R. P., Greene, P. A., Davidson, R. J., Wampold, B. E., Kearney, D. J. & Simpson, T. L. (2018). Mindfulness-based interventions for psychiatric disorders: A systematic review and meta-analysis. Clinical psychology review, 59, 52-60. doi: 10.1016/j.cpr.2017.10.011

Kennett, L., Bei, B. & Jackson, M. L. (2021). A randomized controlled trial to examine the feasibility and preliminary efficacy of a digital mindfulness-based therapy for improving insomnia symptoms. Mindfulness, 12, 2460-2472. doi: 10.1007/s12671-021-01714-5

Trautwein, F.-M. et al. (2020). Differential benefits of mental training types for attention, compassion, and theory of mind. Cognition. 194: 104039. doi: 10.1016/j.cognition.2019.104039

4  Zum Beispiel: Wang, Y., Fu, C., Liu, Y. Li, D., Wang, C. Sun, R. & Song,Y. (2021). A study on the effects of mindfulness-based cognitive therapy and loving-kindness meditation on depression, rumination, mindfulness level and quality of life in depressed patients. American journal of translational research, 13(5), 4666-4675

Zum Beispiel: Reddy, Y. C. J., Sudhir, P. M., Manjula, M., Arumugham, S. S. & Narayanaswamy, J. C. (2019). Clinical practice guidelines for cognitive-behavioral therapies in anxiety disorders and obsessive-compulsive and related disorders. Indian journal of psychiatry, 62(Suppl 2), S230-S250. doi: 10.4103/psychiatry.IndianJPsychiatry_773_19

und Vancampfort, D., Stubbs, B., Van Damme, T., Smith, L., Hallgren, M., Schuch, F., Deenik, J., Rosenbaum, S., Ashdown-Franks, G., Mugisha, J. & Firth, J. (2021). The efficacy of meditation-based mind-body interventions for mental disorders: A meta-review of 17 meta-analyses of randomized controlled trials. Journal of psychiatric research, 134, 181-191. doi: 10.1016/j.jpsychires.2020.12.048

6 Zum Beispiel: Hilton, L., Hempel, S., Erwing, B. A., Apaydin, E., Xenakis, L. Newberry, S., Colaiaco, B., Ruelaz Maher, A., Shanman, R. M., Sorbero, M. E. & Maglione, M. A. (2017). Mindfulness meditation for chronic pain: Systematic review and meta-analysis. Annals of behavioral medicine, 51, 199-213. doi: 10.1007/s12160-016-9844-2

7 Zum Beispiel Sedlmeier, 2016

Weitere Informationen

Informationen über aktuelle Forschungsprojekte gibt es beim (Forschungs-)Netzwerk Achtsamkeit in der Bildung

Aufbereitet und teils in Kontext gesetzt sind die Studien beispielsweise auf Science Daily (Englisch).

Pressemeldungen der Forschungseinrichtungen in deutscher Sprache finden Sie beim idw – Informationsdienst Wissenschaft

Für weitere Recherche ist die Seite der American Mindfulness Research Association zu empfehlen, die ausführliche Bibliothek ist allerdings erst als Mitglied einsehbar.

Myriad – Scheitern oder Chance?

Vortrag: Ein Blick auf den Achtsamkeitshype

Stefanie Uhrig ist freie Wissenschaftsjournalistin und promovierte Neurowissenschaftlerin. Sie schreibt Texte über Psychologie, Neurowissenschaften und Medizin für online- und Printmedien. Ehrenamtlich engagiert sie sich bei Kiwanis, einer Charity-Organisation für Kinder. Zu ihrer Website.

Bildquellen dieser Seite anzeigen

  • Kopf mit Gehirn: david matos / unsplash
  • Tania Singer / ressource project: Science Magazine
  • Mathieu Ricard: AFP
  • Stefanie Uhrig: privat