grimmiger Schokokuss

Heile Welt mit Achtsamkeit?

Achtsamkeit kann zu einem unerreichbaren Ideal werden. Steve Heitzer zeigt uns drei vermeidbare Achtsamkeits-Fallen. Und ermutigt Eltern: Achtsamkeit heißt echt zu sein, nicht perfekt.

PORTAL FÜR ACHTSAMKEIT IN DER PÄDAGOGIK

„Achtsamkeit, Achtsamkeit, Achtsamkeit – ich kann das Wort Achtsamkeit nicht mehr hören!“ Dennoch kam die Pädagogin und Mutter von zwei Kindern in meinen Kurs Achtsamkeit & Pädagogik und ließ schon bei der Vorstellrunde mit diesem Satz aufhorchen. Das geht ja schon gut los, dachte ich mir. Aber mir gefiel auch etwas daran. Und ich merkte im Laufe der Zeit, dass ihr Frust daran lag, dass sie – wie so viele – so hohe Ideale hatte, als Lehrerin und als Mutter. Und gerade als Mutter scheiterte sie ein ums andere Mal daran, gefühlt „kläglich“.

Der Begriff Achtsamkeit ist in Mode und bleibt für viele doch sehr vage, wenn nicht grob missverstanden. Er kann zu einem unerreichbaren Ideal werden, vor allem dann, wenn wir ihn falsch verstehen: Als Weg zu einer heilen Welt, die wir mit Achtsamkeit machen könnten.

Schwierigkeiten gehören dazu

Wir würden es nicht zugeben; aber wir wollen halt doch am liebsten die heile Welt. Denn wir tun uns schwer mit Emotionen, vor allem mit Tränen und Ärger. Wenn Kinder z.B. traurig sind, weil sie lieber bei ihren Eltern zuhause wären als im Kindergarten oder wenn Kinder wütend sind, weil ihre Eltern Entscheidungen treffen, die ihnen nicht gefallen. Dann halten das Eltern schwer aus.

Wir glauben, wenn wir nett genug wären, wären auch die Kinder nett. Wir glauben, wenn wir nett genug wären, und alles erklären, dann gäbe es keine Konflikte. Wir glauben, wenn wir uns nur alle bemühen würden, dann gäbe es keine Schwierigkeiten, keine Tränen und keine Wutausbrüche. Kein Du blöder Papa!

Aber die heile Welt gibt es im richtigen Leben nicht. Natürlich gibt es Momente voller Frieden und Harmonie. Und natürlich dürfen wir alles dafür tun, damit wir Frieden und Harmonie in unseren Familien und in unserer Gesellschaft erfahren. Aber das geht nicht, indem wir die Schwierigkeiten und Konflikte und Emotionen ignorieren, oder schnell, schnell weg-machen wollen. Nicht nur, dass es ohnehin nicht geht – wir würden uns auch um viele Gelegenheiten bringen, mit Kindern zu wachsen!

Bei Achtsamkeit geht es nicht um eine heile, sondern um die wirkliche Welt. Denn Wachstum, Lebenskunst, ja sogar Glück gehen anders: wirkliches Glück und tiefere Zufriedenheit brauchen unsere Bereitschaft, uns auch auf Schwierigkeiten einzulassen; mit der Welt so, wie sie ist zurechtzukommen, und an den Herausforderungen zu wachsen. Das geht nur hellwach. Und hellwach kommt der Achtsamkeit schon viel näher.

Drei mögliche Fallstricke für die „Heile-Welt-Falle“:

1. Wir sind immer nett zueinander.

2. Mein Kind entscheidet alles selbst.

3. Achtsamkeit macht alles easy.

Meine steilsten Antworten in Kürze:

1. Kinder sind nicht nett! Und wir sollten es auch nicht sein.

2. Wir brauchen den Mut zum Buhmann! Vergessen wir nicht, dass wir die Erwachsenen sind und was unsere Aufgabe ist.

3. Alles easy ist die Illusion unter der Käseglocke. Käseglocke aber ist schlecht für das Immunsystem.

Meine drei Mutmacher

1. Du musst nicht nett sein! Vertrau deinen Gefühlen und den Gefühlen deiner Kinder. Kinder brauchen authentische Eltern und Eltern, die es aushalten, wenn ihre Kinder nicht nett müssen, sondern echt sein dürfen. Dazu gehört auch, dass sie sich über uns ärgern, wenn wir unsere Erwachsenenrolle einnehmen und Dinge gegen ihren Willen bestimmen.

2. Du darfst Entscheidungen treffen! Vertrau deiner Erwachsenenrolle und der Beziehung zu deinen Kindern. Wir sind dazu da, für unsere Kinder das größere Ganze im Blick zu behalten. Dazu gehören Entscheidungen, die unsere Kinder nicht immer mögen müssen.

3. Es darf Schwierigkeiten geben! Vertrau dem Leben. Es meint es nicht persönlich. Selbst wenn es nicht so läuft, wie wir es wünschen, können wir unserer inneren Kraft vertrauen und uns für jedes Wetter rüsten lernen. Das gilt auch für unsere Kinder, und wir unterstützen sie am besten mit der Bereitschaft, uns einzulassen und auszulassen, Dinge auszuhalten und über uns hinauszuwachsen.

Steve Heitzer

Weitere Informationen

Steve Heitzer beschreibt die drei Aspekte in einer Trilogie genauer und erläutert, wie wir verhindern können in die Fallen zu tappen. Lesen Sie hier Falle Eins: Achtsame Eltern – Müssen wir immer nett sein?  Sie sind gespannt auf seine Ideen zu Falle Zwei und Drei? Abonnieren Sie doch einfach unseren Newsletter. Wir informieren Sie alle paar Wochen über aktuelle Artikel auf dem Portal.

Steve Heitzer ist Montessoripädagoge und besuchte Fortbildungen bei Rebecca Wild, Jesper Juul u.a. Er ist Theologe, Achtsamkeitslehrer und arbeitet seit 20 Jahren mit Kindern. Steve lebt in Innsbruck und gibt Kurse, Fortbildungen und hält Vorträge zur verschiedenen pädagogischen Themen, berät Eltern im Coaching und arbeitet zum Thema Achtsamkeit und Spiritualität. Hier kommen Sie zu seiner Seite.

Sein Buch "Kinder sind nichts für Feiglinge. Ein Übungsweg der Achtsamkeit" erschien 2016 im  Arbor Verlag. Mehr Infos zum Buch finden Sie hier.

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  • grimmiger Schokokuss: kcb / photocase.de
  • Steve Heitzer: Sebastian Schieder