erziehung prägt gesinnung

Resilient gegen Rechts

„In der Kindheit erfahren wir, ob es unter Menschen um Macht und Überlegenheit geht – oder aber um Vertrauen und Zusammenarbeit“, schreibt der Autor und Kinderarzt Herbert Renz-Polster. Sein Buch über mögliche Ursprünge des weltweiten, neuen Rechtspopulismus hat sich Dr. Stefanie Uhrig für uns angeschaut.

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In seinem Buch „Erziehung prägt Gesinnung“ erklärt Renz-Polster eindrucksvoll, wie sich die Kindheitserlebnisse im Erwachsenenalter auf die politischen Ansichten auswirken können. Wir leben, was wir in der Kindheit kennengelernt haben, und das ist ein Problem: Denn in vielen Ländern und Gesellschaften ist noch immer eine autoritäre, oft gefühlskalte und von wenig Achtsamkeit geprägte Erziehung üblich.

„Wenn man die Erwachsenen nicht versteht, schaut man sich am besten an, mit welchen Zielen, Geschichten und Geistern die Kinder aufwachsen.“

Was Gehorsam mit Kindern macht 

In autoritär geprägten Familien stehen Gehorsam und Anpassung ganz oben. Ist es da ein Wunder, wenn die Menschen später jemanden suchen, dem sie sich unterordnen können und der ihnen mit klaren, einfachen Parolen vermeintliche Sicherheit gibt? Wer in den jungen Jahren viel Verunsicherung und Bestrafung von unerwünschtem Verhalten erfahren hat, wird ebenfalls in der Unterdrückung anderer nach Sicherheit suchen.

Im Buch schaut sich Herbert Renz-Polster die autoritäre Erziehung aus ganz verschiedenen Perspektiven an. Er zeigt, was eine harte Hand mit der kindlichen Psyche macht, beschreibt verschiedene gesellschaftliche Konzepte und vergisst dabei nicht den historischen Kontext.

Hilfreich ist seine lockere Sprache, durch die er manchen recht gruseligen Inhalt etwas auflockert. Denn tatsächlich zeichnet er ein überwiegend düsteres Bild von bindungsfremden, stressigen und teils gewaltvollen Kindheitsjahren. Dunkle Gedankenstränge werden hin und wieder aufgelockert mit dem Hoffnungsschimmer: Was, wenn wir es besser machen?

Ein System aus Stärke und Hörigkeit

„Überall in der westlichen Welt macht sich der Rechtspopulismus breit. Die Gaulands, Le Pens und Wilders’ blasen zum Angriff auf den Kern der Demokratie. Wie konnte diese neue, fanatische Kälte nur entstehen“, fragt der Autor im Klappentext des Buches und erklärt ein paar Aspekte schon in seinem Blog:

„Erwachsene mit rechtspopulistischen Haltungen haben häufig verunsichernde Kindheiten erlebt, in denen sie eigene, innere Stärke nur schwer aufbauen konnten. Permanente Überforderungserfahrungen begründen eine lebenslange Abhängigkeit von äußerer Stärke und Autorität. Rechtsautoritäre empfinden deshalb alles als bedrohlich, was dieses Koordinatensystem infrage stellt – seien es Eliten, die Presse oder andersdenkende Minderheiten.“

Sein Entsetzen über die rechte Gesinnung macht er sehr deutlich, gerne auch mal mit Sarkasmus – dem Thema des Buches durchaus angemessen. Immer wieder beschwört er Donald Trump als das Paradebeispiel herauf – zur Zeit der Erstauflage war der „Bully im Sandkasten“, wie Renz-Polster ihn nennt, noch Präsident, doch selbst jetzt böte er noch genug Material für solche Metaphern.

„Wer Unsicherheitsgefühl und Ängste bedient, braucht keine plausiblen Sachargumente zu liefern, um Wähler zu überzeugen. Raunendes Warnen vor möglichen Gefahren reicht völlig aus.“ Damit bringt Herbert Renz-Polster nicht nur Donald Trump auf den Punkt, sondern auch viele andere Politiker*innen und Politiker in Deutschland und weltweit. Ihre Ansichten sind nicht identisch, gleich ist ihnen aber immer das deutliche zwischenmenschliche Gefälle aus Stärke und Hörigkeit. Diesen Aspekt beschreibt der Autor als Doppeldecker:

Oben sitzen diejenigen, die führen, unten diejenigen, die folgen. Denn zur Hierarchie einer autoritären Gemeinschaft gehört immer beides – und doch sind die vermeintlich Starken auf der oberen Ebene genauso verunsichert wie diejenigen, die ihnen folgen. Um das zu überdecken, nutzen sie Härte, Spott und Verachtung gegenüber andersdenkender Menschen.

Resilienz gegen Rechtspolularismus

Seit jeher steht Renz-Polster für die bindungs- und beziehungsorientierte Begleitung von Kindern. Hier sieht er auch die Chance, Menschen resilienter gegenüber rechts-populistischen Einflüssen zu erziehen.

 „Für mich ist […] genau das die Antwort auf den Rechtspopulismus: Kindheit wagen! Denn Kinder, die ihre Kindheit innerlich unverletzt, mit Selbstvertrauen, wachen Augen, Einfühlungsvermögen und Mut unter dem Herzen verlassen, sind widerstandsfähig – gerade gegenüber den Verlockungen des Rechtspopulismus.“

Manchmal wirken seine Ausführungen etwas zweidimensional – entweder, Kinder erfahren nur eine autoritäre oder nur eine bindungsorientierte Erziehung. Auch bekommt man als Leser*in manchmal das Gefühl, dass der Kinderarzt den Menschen recht wenig Fähigkeit zur kritischen Betrachtung der eigenen Lebensumstände zuschreibt.

Das alles erklärt und relativiert er allerdings auch, indem er hin und wieder auf mögliche Nuancen hinweist. Zudem belegt er seine Thesen und Erklärungen mit leicht nachzuvollziehenden Quellenangaben. Auch seine eigenen Ansichten und Absichten macht er immer wieder deutlich.

Was können wir denn nun tun?

Nur einen leichten Wermutstropfen gibt es: Wenn die Lesenden nach einer harten Reise durch autoritäre und rechte Köpfe endlich zum Kapitel „Kindheit wagen – wo wollen wir eigentlich hin?“ kommen, ist das Buch schon fast am Ende. Nur sieben Seiten widmen sich dem Teil, von dem man sich ein Aufatmen hätte versprechen können: den praktischen Lösungsansätzen. Ja, die Botschaft ist da: Lasst uns auf die Kinder eingehen, sie achtsam und mit Respekt behandeln, anstatt sie unterordnen und verbiegen zu wollen. 

 „Wer will, dass es unter Menschen menschlich zugeht, muss den Menschen eine sichernde, ermutigende Kindheit zugestehen.“

Aber wie erreichen wir die Erwachsenen, die als Kinder selbst nichts anderes kennengelernt haben und jetzt glauben, ihr eigener Nachwuchs sollte schön unterwürfig tun, was ihm gesagt wird? Wie zeigen wir den Menschen den Weg zu einem achtsameren Umgang mit Geflüchteten, die ihre eigenen Sorgen und Erfahrungen mitbringen? Wie genau ändern wir unser Schulsystem in Deutschland, um die Kinder zu mehr Selbstwirksamkeit zu ermutigen?

Sicher gibt es hier viele mögliche Antworten und Lösungen – einer ist ja, den Weg über Pädagog*innen und Bildungsinstitutionen zu gehen. In vielen Schulen sind Demokratisierungsprozesse und die stärkere Partizipation der Schüler*innen (Mitbestimmung) ein Thema. „Können wir von unseren Kindern lernen, mutiger zu sein? Das glaube ich tatsächlich. Denn unsere Kinder sind für den Ausbruch bereit. Sie sind bereit für die Gestaltung einer neuen, eigenwilligen und neusinnigen Zukunft.“

Stefanie Uhrig

Herbert Renz-Polster: Erziehung prägt Gesinnung. Wie der weltweite Rechtsruck entstehen konnte – und wie wir ihn aufhalten können. Kösel-Verlag, 2019

Mehr rund um das Thema bindungsorientierte Erziehung und auch viele andere Aspekte, zu denen sich Renz-Polster als Kinderarzt äußert, finden Sie auf seiner Website.

 

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