Nina Bürklin

„Selbst in die Erfahrung gehen und Achtsamkeit einfach ausprobieren“

Interview mit Dr. Nina Bürklin, Geschäftsführerin des AVE Institutes und Mit-Initiatorin der Konferenz für „Achtsamkeit in der Bildung“ an der Universität Leipzig am 21. September 2023.

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Welche Ziele verfolgen Sie mit dieser Konferenz?

Dr. Nina Bürklin: Trotz zahlreicher erfolgreicher Initiativen und Programme im Bereich Achtsamkeit hat es bisher noch keine bundesweite Konferenz zum Thema gegeben. Wir sind stolz und dankbar, dass wir gemeinsam mit dem Projekt ABiK an der Universität Leipzig die erste deutschlandweite „Konferenz für Achtsamkeit in der Bildung“ ausrichten können. Das Event verstehen wir als wichtigen Meilenstein in unseren Bestrebungen, die praktische Vermittlung von Achtsamkeit in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen zu fördern.

Unsere Vision für die Konferenz ist es, Interessierte und Engagierte im Bereich der Achtsamkeit zusammenzubringen, um mit- und voneinander zu lernen. Die anschließende Fachtagung soll Entscheidungsträger zusammenbringen, um Samen an wirkkräftiger Stelle zu säen und im besten Fall konkrete Umsetzungsprojekte zu beschließen

Warum sollte Achtsamkeit in Schulen gefördert werden?

Bürklin: Wir leben in herausfordernden Zeiten. Mit Blick auf die gesellschaftlichen Spannungen, die Klimakrise, die Schnelllebigkeit und die Technologiesprünge, die wir aktuell erleben, brauchen wir ein Umdenken der Menschen, um diesen Herausforderungen gut begegnen zu können. Wir sehen das Potenzial der Achtsamkeit, hier einen gesellschaftlichen Bewusstseinswandel zu unterstützen und die Verbundenheit und das Engagement von Menschen zu fördern.

Wir sehen das Potenzial der Achtsamkeit, einen gesellschaftlichen Bewusstseinswandel zu unterstützen.

Das AVE Institut setzt hierzu schwerpunktmäßig bei den Schulen an, um möglichst viele Kinder und Jugendliche zu erreichen. Die Konferenz richtet sich daher primär an Menschen, die in der Bildung arbeiten – vor allem auch an Lehramtsstudierende, Lehrkräfte und Schulleitungen.

Denn für diejenigen, die unsere Schulen gestalten und tragen, besteht akuter Handlungsbedarf: die Mehrheit der Menschen, die im schulischen Bereich arbeiten, sind überlastet. Der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger, schätzt die Zahl der unbesetzten Lehrerstellen in Deutschland derzeit zwischen 32.000 und 40.000 – eine Situation, die wir uns in Anbetracht der gesellschaftlichen Situation und ihren Herausforderungen nicht leisten können.

Denn wenn Lehrkräfte überlastet, krank oder im Burnout sind, kann Schule kein guter Lernort für Kinder sein. Wir brauchen eine gute Ausbildung für alle Kinder und wir brauchen an Schulen ein respektvolles, empathisches Miteinander und Offenheit für kulturelle Unterschiede. Damit brauchen wir praktische Konzepte, die die Entfaltung des individuellen Potenzials eines jeden Kindes berücksichtigt und fördert.

Was kann Achtsamkeit hier leisten?

Bürklin: Achtsamkeit fördert das Bewusstsein über sich selbst und die Umwelt, sie ermöglicht Entspannung, Konzentration, Glück und den Aufbau von Resilienz und Ressourcen – hier denken wir zunächst an die Pädagog*innen. Dieselben Kompetenzen helfen aber natürlich auch den Schüler*innen. Sie profitieren enorm, wenn sie neben Mathe und Deutsch auch lernen, gut mit Stress umzugehen, sich nicht so leicht von Smartphone & Co ablenken zu lassen und wissen, wie sie in Gruppen empathisch miteinander umgehen und arbeiten können.

Lehrkräfte, die für sich Meditation und Achtsamkeit üben, verändern automatisch ihre Haltung und das spüren die Kinder. In einem zweiten Schritt können sie zudem Übungen an Kinder und Jugendliche weitergeben. Dafür setzen wir uns ein.

Helle Jensen kommt als Keynote-Speaker dazu und bringt die „dänische Perspektive“ mit hinein – ist das Schulsystem, die Lehrerausbildung in Dänemark schon „weiter“?

Bürklin: In Deutschland können wir viel von Bildungssystemen aus anderen Ländern lernen. Gerade, was die systematische Implementierung von Kompetenzen wie Empathie, Achtsamkeit oder Beziehungskompetenz betrifft, bietet die Lehrer*innenausbildung in Dänemark viele wertvolle Impulse.

So zeigt auch das vom AVE Institut geförderte und wissenschaftlich begleitete Projekt „Empathie macht Schule“ unter der Leitung von Helle Jensen tolle Erfolge bzgl. der Persönlichkeitsentwicklung und Kompetenzförderung von Mitarbeitenden der drei Schulen.

Wir wollen Erfolge wie auch Schwierigkeiten bei der  Implementierung von Achtsamkeit in Schule diskutieren.

Was soll die Konferenz fördern und leisten?

Bürklin: Die Besucher*innen erwartet eine Fülle an professionell geleiteten, interaktiven Workshops von erfahrenen Referent*innen in ihrem Feld, eingerahmt von zwei herausragenden Expert*innen mit ihren Keynotes. Neben dem Programm ist uns der persönliche Erfahrungsaustausch der Konferenzteilnehmer*innen wichtig, bei dem Erfolge wie auch Schwierigkeiten bei der praktischen Implementierung von Achtsamkeit in Schule und Hochschule diskutiert werden.

In der Praxis scheint es ganz leicht und unsere Erfahrung zeigt, dass schon kleine Schritte wie ein Moment der Stille zu Beginn einer Schulstunde oder eine kurze Atemübung in einer herausfordernden Situation helfen kann, Lehrer*innen wie auch Schüler*innen mehr zu sich zu bringen und aus dem permanenten Stress herauszukommen.

Gleichzeitig hören wir auch immer wieder Berichte, dass Eltern, Kolleg*innen oder auch Schüler*innen skeptisch sind, bei dem Wort Achtsamkeit Esoterisches vermuten oder einfach in Widerstand gegen Neues sind. Hier gilt es, mit offenen Ohren und Herzen zuzuhören, weitere, vor allem auch wissenschaftlich fundierte Informationen anzubieten und immer wieder die Einladung auszusprechen, selbst in die Erfahrung zu gehen und Achtsamkeit einfach auszuprobieren.

Schließlich geht es um nichts Geringeres als die Stärkung von Kindern und Jugendlichen, die in ihrer persönlichen Entwicklung unterstützt werden müssen, um die Zukunft wertorientiert und selbstbewusst gestalten zu können.

Wichtig ist für uns, institutionsübergreifend zu wirken und gemeinsam neue Lösungen zu entwickeln.

Welche Ziele hat die angeschlossene Fachtagung?

Bürklin: Die Fachtagung hat das Ziel, gemeinsam mit Entscheidungsträger*innen aus Bildung, Wissenschaft und aus dem Schul- und Hochschulalltag, konkrete nächste Schritte für die weitere Implementierung von achtsamkeitsbasierten Maßnahmen in (Hoch-)Schulen zu erarbeiten. Dafür werden wir mit einem Team von externen Moderator*innen in Kleingruppen arbeiten. Wichtig ist für uns, institutionenübergreifend zu wirken und gemeinsam neue Lösungen zu entwickeln, um die Kräfte zu bündeln.

Mein Wunsch ist, dass wir mit konkreten Zusagen und Vereinbarungen im Gepäck wieder nach Hause fahren. Ich träume davon, dass Achtsamkeitsangebote fester Bestandteil der Lehrer*innenausbildung werden und würde mir wünschen, dass beiden Seiten – sowohl Lernenden als auch Lehrenden an Schulen und Hochschulen – einfacher Zugang zu Kursen, gemeinsamer Praxis und einem bewertungsfreien Erfahrungsaustausch ermöglicht wird.

Welche Erwartungen und Hoffnungen haben Sie persönlich?

Bürklin: Ich erhoffe mir eine Stärkung unseres bundesweiten Netzwerkes, indem ausreichend Zeit für persönlichen Austausch und neue Begegnungen sein wird. Ich freue mich, Partner*innen des AVE Institutes aus ganz Deutschland wiederzutreffen, u.a. viele Absolvent*innen aus unserer Weiterbildung, Expert*innen unserer Selbstlernkurse wie Vera Kaltwasser oder Helga Luger-Schreiner, ebenso wie Hochschullehrende aus Darmstadt, Jena und Berlin.

In vielen einzelnen Projekten sind wir uns immer wieder in kleineren Gruppen begegnet und ich bin gespannt, welche Strahlkraft wir entwickeln werden, wenn wir uns nun bundesweit zusammenfinden. So sehr ich die Möglichkeiten von Online-Formaten schätze, sie können ein Treffen in Person nicht ersetzen.

Ich habe außerdem die Hoffnung Menschen zu erreichen, für die diesen Themen noch neuer sind und frage mich, wie wir noch mehr Menschen ermutigen können, neugierig zu sein, Achtsamkeit für sich selbst zu entdecken und in den Alltag einfließen zu lassen.

Wir wollen Themen wie Eco-Anxiety, politische Instabilität und Digitalisierung selbst-bewusst und gestärkt begegnen können.

Zudem möchte ich von den Referent*innen lernen, was Erfolgsfaktoren in der Vermittlung von Achtsamkeit im Bildungskontext – konkret in Schule und Hochschule – sind. Denn wir wollen noch mehr Menschen dabei unterstützen, Achtsamkeit professionell zu vermitteln, um insbesondere Themen wie Eco-Anxiety, politische Instabilität und Digitalisierung selbst-bewusst und gestärkt begegnen zu können.

Ich bin überzeugt, dass Achtsamkeit, die mit einer tiefen, inneren Haltung gelebt wird, die Grundlage für Resilienz, Demokratiefähigkeit und einen bewussten Umgang mit der Natur bilden kann – alles Fähigkeiten, die wir mehr denn je brauchen.

Den Diskurs zur Bildungstransformation erweitern

Erste deutschlandweite Konferenz für Achtsamkeit in der Bildung

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  • Nina Bürklin: privat