Mitgefühl Illustration

Begriffe definieren: Empathie oder Mitgefühl?

Empathie und Mitgefühl sind zwei verschiedene Dinge. Ulrike Zika definiert die beiden Begriffe und erklärt, warum es für empathische Menschen wichtig ist, sich in Mitgefühl zu üben.

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Empathie und Mitgefühl gelten als wesentliche Kompetenz für altruistisches Verhalten und emotionale Intelligenz. Nicht selten werden die Begriffe in unserem Sprachgebrauch jedoch sehr undifferenziert verwendet und oftmals durcheinandergebracht.

Wenn wir diese wichtigen sozialen Emotionen besser verstehen wollen, lohnt es sich, sie aus Sicht der Achtsamkeitsforschung und Neurowissenschaft näher zu betrachten und unterscheiden zu lernen. Der buddhistische Mönch und Mikrobiologe Matthieu Ricard* hat am eigenen Leib erlebt, wie tiefgreifend die Unterschiede der beiden Emotionen sind. Und er hat damit eine bahnbrechende wissenschaftliche Erkenntnis ermöglicht.

Forschung: Der Mönch in der Röhre

Matthieu Ricard unterzog sich in einem wissenschaftlichen Experiment der neurowissenschaftlichen Forschungen von Tania Singer und ihrem Team einem Gehirn-Scan, während er sich in einen empathischen Zustand versenkte. Dabei stellte er sich extrem vernachlässigte rumänische Waisenkinder vor, über die er am Vorabend eine bewegende BBC-Dokumentation gesehen hatte.

Er visualisierte das Leiden dieser ausgemergelten und emotional völlig verwahrlosten Kinder so lebendig wie möglich und stellte fest, dass ihm der emotionale Schmerz, den er dabei fühlte, schon nach kurzer Zeit schier unerträglich wurde, er fühlte sich erschöpft und ausgebrannt.

Nach rund einer Stunde wurde es ihm vom Forschungsteam freigestellt, den Vorgang zu beenden oder sich in eine Mitgefühlsmeditation zu versenken. Die Wahl fiel ihm nicht schwer, wie er berichtete, er entschied sich für die Mitgefühlsmeditation, jene traditionelle buddhistische Meditationsform, die eine wohlwollende, fürsorgliche und zugewandte Haltung zum Meditationsobjekt visualisiert und den Wunsch, alle Wesen mögen frei von Leid sein kontempliert.

Der seelische Zustand des Mönchs änderte sich rasch in eine völlig andere Richtung. Immer noch waren die Bilder der leidenden Kinder lebendig vor seinem inneren Auge, aber diesmal lösten sie keine quälenden Gefühle mehr in ihm aus. Er empfand grenzenlose Liebe für diese Kinder und empfand den Wunsch, sich ihnen zu nähern und sie zu trösten.

Aber nicht nur das subjektive Gefühl und die inneren Bilder des Mönchs hatten sich gewandelt. Auch auf den Gehirn-Scans war deutlich zu sehen, dass im zweiten Teil der Sitzung gänzlich andere Areale in seinem Gehirn aktiviert waren.

Empathie als Basic Skill in vielen Berufsgruppen

Ausgehend von ihren Forschungsergebnissen beschreibt die Neurowissenschaftlerin Tania Singer Empathie als unsere Fähigkeit der emotionalen Resonanz mit anderen. Empathie bedeutet also zu spüren, was der andere spürt. Das ist eine wichtige Grundvoraussetzung für unsere Sozialkompetenz.

Wahrzunehmen und emotional zu verstehen, wie es dem anderen geht, gehört auch zu den Basic Skills in allen helfenden Berufen. Ob Therapeut*innen, Sozialarbeiter*innen und Sozialpädagog*innen, Ärzt*innen, Krankenpfleger*innen oder Heimhilfen – sie alle benötigen Einfühlungsvermögen, um ihre Arbeit gut zu machen.

Auch im pädagogischen Bereich ist unsere Empathiefähigkeit eine wichtige Grundvoraussetzung, um wahrzunehmen, mit welchen Bedürfnissen, Wünschen, Erwartungen und Problemen Schüler*innen und Student*innen konfrontiert sind und unsere Bildungsangebote entsprechend darauf abzustimmen. Da eine gelungene Bildungsarbeit stets auch eng mit einer gesunden Beziehungsarbeit verknüpft ist, ist auch in dieser Berufsgruppe die Empathiefähigkeit von grundlegender Bedeutung.

Letztlich wird Empathie überall dort benötigt, wo wir es mit anderen Menschen zu tun zu haben. So zeichnet eine gute und erfolgreiche Führungskraft ihre empathischen Kompetenzen ebenso aus wie eine*n gute*n Verkäufer*in.

Neben all diesen beruflichen Handlungsfeldern spielt unsere Empathiefähigkeit aber auch in unserem Privatleben eine Schlüsselrolle. Wie gut wir wahrnehmen können, wie es unserem*r Partner*in, unseren Kindern, Freund*innen oder Nachbar*innen geht, ist ausschlaggebend dafür, wie gut wir mit ihnen in Verbindung kommen.

Die Schattenseiten der Empathie

Doch Empathie hat auch seine Schattenseiten: Wenn wir mit dem Schmerz des anderen in Berührung kommen, kann uns das auch überfordern und persönlichen Stress und Verzweiflung auslösen.

Diese empathische Resonanz kann großen Widerwillen in uns hervorrufen und zur Folge haben, dass wir wegschauen, das Leid anderer ausblenden und uns abwenden. Wir machen einen Bogen um obdachlose Menschen, weil wir es nicht ertragen, sie zu sehen. Weil unser empathischer Schmerz uns sonst zu überwältigen droht.

Sind Menschen zu lange und zu intensiv mit diesem Schmerz konfrontiert, wie das in helfenden Berufen der Fall sein kann, kann dies leicht ins Burnout führen. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von Empathiemüdigkeit oder Empathie-Stress.

Menschen mit stark ausgeprägter Empathie sind daher besonders Burn-out gefährdet, wenn sie nicht lernen, in einen mitfühlenden Modus zu wechseln.

Mitgefühl spürt sich gut an

Mitgefühl ist hingegen eine Emotion, die sich gut anspürt und neurobiologisch deutlich von Empathie unterscheidet. Das gute Gefühl aktiviert in unserem Gehirn Areale, die mit Belohnung und Zugehörigkeitsgefühlen in Verbindung stehen. Damit hat Mitgefühl auch positive gesundheitliche Auswirkungen auf uns und begünstigt prosoziales Handeln, Helfen und die ehrliche Anteilnahme am anderen.

Mitgefühl bringt uns ins Handeln und sorgt dafür, dass wir mithelfen, Leid zu lindern, wo uns das möglich ist. Das Ausprägen von einer Haltung von Warmherzigkeit und Wohlwollen verhindert schließlich Empathie-Stress und nutzt damit auch dem Leidenden, denn Mitgefühl motiviert uns zum Helfen – eine klassische Win-Win Situation also.

Emotionsregulation unterstützt unser Mitgefühl

Die Kognitive Verhaltenstherapeutin Jocelyn Sze und die Gesundheitspsychologin Margaret Kemeny beschreiben im Sammelband zum Workshop „How to train compassion“, dass Mitgefühl allerdings bestimmte emotionale Bedingungen braucht, damit es sich entfalten kann.

Emotionen, die unser Bedrohungssystem aktivieren und die Aufmerksamkeit auf uns selbst richten lassen, wie Wut, Angst oder Scham unterdrücken unsere Motivation zu Mitgefühl.

Wir tun also gut daran, uns um die Regulation unserer Gefühle zu kümmern, wenn wir unsere Mitgefühlskompetenzen erweitern und prosoziales Handeln fördern wollen, denn emotionale Balance ist dafür ein wichtiger Schlüsselmechanismus.

Achtsamkeitskurse als Übungsfeld

In achtsamkeitsbasierten Programmen werden viele dieser Kompetenzen gelehrt und trainiert. Das Wahrnehmen der eigenen Emotionen und die Regulation derselben sind ebenso Teil der Curricula wie das Etablieren von Wohlwollen, Güte, Gelassenheit und eben Mitgefühl – und zwar sich selbst als auch anderen gegenüber.

Allesamt Komponenten, um schließlich jene geistigen und emotionalen Fähigkeiten zu entwickeln, damit wir am Schmerz und Leid der Welt nicht zugrunde gehen, sondern vielmehr in einen kraftvollen und mitfühlenden Modus kommen, wo wir beherzt gegen Ungerechtigkeiten ankämpfen und leidenden Menschen unsere Hilfe anbieten können.

Ulrike Zika

 

*Matthieu Ricard ist ein buddhistischer Mönch und Molekularbiologe. Er ist Board Member des Mind and Life Institute, das die Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen westlicher Wissenschaft und Buddhismus fördert.

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Ulrike Zika ist diplomierte Sozialarbeiterin und Sozialpädagogin mit einem Master-Abschluss in Achtsamkeit in Bildung, Beratung und Gesundheitswesen. Sie ist Trained MSC-Teacher, Ernährungsberaterin nach Traditionell Chinesischer Medizin und Expertin für ganzheitliche Gesundheit. In Trainings, Workshops, Kursen und Beratungen unterstützt sie Menschen darin, ihre innewohnende Weisheit (wieder-)zu entdecken und mit Zugängen der Achtsamkeit Mitgefühl und Fürsorge für sich und andere zu üben und zu etablieren. Mehr auf ihrer Website.

Bildquellen dieser Seite anzeigen

  • Mitgefühl oder Mitleid?: Tetiana Garkusha / istick
  • Ulrike Zika: Robert Saringer