Ernte und Ausblick – Konferenz Achtsamkeit in der Bildung in Leipzig

Die Konferenz war ein erfahrungsreiches und verbindendes Event mit viel Input sowie Raum für Austausch und Vernetzung. Ein Bericht von Sarina Hassine

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Die erste deutschlandweite Konferenz „Achtsamkeit in der Bildung – Basis für Resilienz und gesellschaftliches Engagement“ am 21.09.2023, war mit 400 Teilnehmenden gut besucht. Über 1,5 Tage kamen Menschen aus Schule, Hochschule und dem Feld der Achtsamkeit zusammen, folgten wissenschaftlichen Vorträgen sowie praxisorientierten Workshops und nutzten das besondere Zusammenkommen in Präsenz.

Ziel der Konferenz war es, Impulse zu geben und engagierte Menschen zusammenzubringen für den notwendigen Bewusstseinswandel im Bildungssystem. Die Veranstalterinnen Susanne Krämer (Projektleitung ABiK) und Dr. Nina Bürklin (Geschäftsführerin AVE Institut) sind überzeugt: Es braucht eine Bildung, die Persönlichkeitsentwicklung ermöglicht und fördert, um zu einem werteorientierten, ethischen Handeln beizutragen.

Dr. Nina Bürklin (AVE Institut) und Susanne Krämer (Projektleitung ABiK) eröffnen die Veranstaltung

 

Unter den Teilnehmenden waren viele bekannte Expert*innen und Pionier*innen aus dem Feld der Achtsamkeit wie Helle Jensen, Vera Kaltwasser, Dörte Westphal, Dr. Cécile Cayla, Karlheinz Valtl, Helga Luger-Schreiner, Dr. Nils Altner und viele weitere gekommen. Mit dabei waren auch Forschende wie Prof. Dr. Maria von Salisch (Leuphana) und Prof. Dr. Stefan Schmidt (Universität Freiburg), Bildungsinnovator*innen wie Magret Rasfeld und Katharina Wyss-Schley sowie visionäre Schulleiter*innen wie Adrian Bröking (Berlin) und Mandy Frömmel (Leipzig) sowie zahlreiche Pädagog*innen und Studierende.

Einige der teilnehmenden Pionier*innen und Expert*innen:

Vom Wissen ins Handeln kommen

Die Keynote von Dr. Corina Aguilar-Raab (Universität Heidelberg) eröffnete die Konferenz und gab einen strukturierten Überblick über Inhalte, Programme und wissenschaftliche Erkenntnisse zu den Themen Achtsamkeit und sozial-emotionales Lernen an Schulen. Die Psychologin betonte, dass es vor allem um eine Veränderung in den zwischenmenschlichen Beziehungen gehe und die Bildungswende auch eine „Beziehungswende“ sei. Hier sieht sie die Basis für Entwicklung und Lernen und stellte heraus, dass beispielsweise auch die Demokratiefähigkeit des Einzelnen von seiner Beziehungsfähigkeit abhänge.

Dr. Corina Aguilar-Raab: Bildungswende ist eine „Beziehungswende“

 

Anschließend konnten die Teilnehmenden aus 30 unterschiedlichen Angeboten wählen, Neues kennenlernen und gemeinsam praktizieren. Neben den eher praxisorientierten Workshops wie „Bodypercussion“, „Kreativität und Achtsamkeit“ oder Inhalte aus AiSchu, Happy Panda, Herzbeschirmt u.a., gab es auch wissenschaftliche Beiträge zu den Themen Resilienz und Gesundheitsprofilaxe in Schule und Hochschule sowie aktuelle Forschungsergebnisse z.B. aus der Studie zur „Atempause: Eine tägliche Kurzintervention zur Achtsamkeit bei Grundschulkindern“.

In zwei wissenschaftlichen Symposien und vier Panels wurde ebenfalls über Aktuelles aus der Forschung berichtet, darunter eine Studie zu Achtsamkeit in der Lehrer*innenausbildung oder zur Bedeutung einer gendersensiblen Haltung der Lehrkraft.

Eines wurde bereits bei der vorherigen Auswahl der Einreichungen für das Konferenzprogramm deutlich: Es gibt schon eine Menge an praktischen Erfahrungswerten zu den Implementierungsmöglichkeiten im Bildungsbereich. Es liegen zahlreiche wissenschaftliche Belege für die Wirksamkeit von Achtsamkeit vor. Ebenso gibt es eine Vielzahl an Akteuren, die sich mit Konzepten, Angeboten und Projekten in allen Bildungsbereichen engagieren. Der Boden ist bereitet und die ersten Pflänzchen gedeihen schon. Die Frage der Stunde ist, was und wer eine gelingende Implementierung unterstützen könnte.

Lehrer*innen und Trainer*innen berichteten, die Schulleitungen seien – auch aufgrund der hohen Belastung – vielerorts bereit, die Angebote anzunehmen und fragten vornehmlich nach Möglichkeiten, wie dies am besten umzusetzen sei.

Impressionen – Büchertisch, Infostand AVE Institut, Stefanie Hammer mit dem Magazin moment by moment, wissenschaftliches Symposium und Workshops.

 

Praxisbeispiel „Empathie macht Schule“

In der Keynote am Nachmittag der Konferenz berichtete Helle Jensen über die Ergebnisse und Prozesse des dreijährigen Projekts „Empathie macht Schule“ in Berlin. Auch sie sprach über die Bedeutung der Beziehungsarbeit, damit Zusammensein und Lernen gelingen. „Achtsamkeit ist bei jedem schon da, wir müssen nichts Neues Lernen, sondern in Kontakt mit unseren eigenen Ressourcen kommen.“ Eine der Schlussfolgerungen des wissenschaftlich begleiteten Projekts ist, dass es viel Unterstützung der Schulleitung braucht, um Transformation möglich zu machen. Und „es brauche Raum, in dem es das Vertrauen gibt, über Dinge zu reden.“

Praxisbeispiel: Schule am Palmengarten

Eine weitere Gelingensgeschichte wurde sichtbar in dem Workshop, den die Leipziger Schulleiterin Mandy Frömmel anbot. Sie entführte die Workshopgruppe durch den Palmengarten zu ihrer nahegelegenen Schule. Hier stellte sie den großen, lichtdurchfluteten „Achtsamkeits-Raum“ vor, der ausgestattet mit Yogamatten, Sitzkissen, Büchern, Gong und Tafel, Schüler*innen und Pädagog*innen einlädt, miteinander zu sein. Die Schulleiterin erzählte und beantwortete Fragen der beeindruckten Runde. Hier gehen Samen auf, Projekte werden initiiert, unterstützt und fortgeführt.

Nicht zuletzt ist das Dank einer unermüdlichen Arbeit von Achtsamkeitslehrenden deutschlandweit in den letzten 15 Jahren möglicher geworden – nicht zu vergessen Österreich und Schweiz, die ebenfalls mit großem Engagement wertvolle Angebote machen und Impulse geben (MoMento Schweiz, PAS Österreich). Und von diesen Akteuren waren viele vor Ort, die erfreut und erfüllt miteinander in den Austausch gingen und allseits die angenehme Atmosphäre betonten.

Und gerade, weil der Boden bereitet ist, geht es nun verstärkt an Themen wie strukturelle und vielleicht auch strukturierte Implementierung von Achtsamkeit in Schulen, Hochschulen und anderen Bildungseinrichtungen – oder wie Dr. Nina Bürklin es resümierte „Das Fundament ist gegossen, nun gilt es, darauf aufzubauen.“

Zukunftswerkstatt Bildung

Wie dies geschehen könnte, darüber kamen am Folgetag der Konferenz ca. 60 eingeladene Bildungsakteure aus Ministerien, Landesämtern, Stiftungen, Gewerkschaften, Forschung und Repräsentant*innen aus Hochschule und Schule für eine „Zukunftswerkstatt Bildung“ zusammen.

Die Keynote von Gert Scobel eröffnete die Werkstatt mit einem abschließenden Apell, nun gemeinsam ins Handeln zu kommen. Sein Vortrag führte über in moderierte Kleingruppenarbeit für die vier Bereiche Schule, Hochschule, Lehrkräfteaus- und weiterbildung. Hier wurde ausgetauscht und diskutiert, die Ergebnisse wurden am Ende im Plenum zusammengetragen und vorgestellt.

In einer Gruppe zeigten sich die Themen, wo es noch Klärungsbedarf gibt. In anderen Gruppen herrschte ein stimmungsvolles Aufbruchsgefühl. Der Vorschlag von Gert Scobel, für die Themen Räume im System zu finden, an die man Anknüpfungspunkte nutzen kann, fand breiten Zuspruch. So könne man beispielsweise die zwei scheinbar gegensätzlichen Themen „Digitalisierung“ und „bewusstes Sein und Handeln“ zusammenbringen und hilfreiche Impulse geben. Die Zukunftswerkstatt endete mit dem motivierten Impuls: „Krempeln wir die Ärmel hoch und packen es an!“

Gert Scobel bei der Abschlussrunde der Zukunftswerkstatt

 

Achtsamkeit als Haltung in Prozessen

Tatsächlich ging es den Initiatorinnen bei dieser Konferenz aber nicht nur darum, Achtsamkeit als Unterstützung für einen gesünderen Umgang mit Stress zu beschreiben, wie es medial und auch in den Institutionen oft dargestellt wird. Vielmehr sehen sie, dass wir gesellschaftlich aufgrund von multiplen Krisen an dem Punkt sind, dass es einen Bewusstseinswandel auf allen Ebenen braucht – nicht nur im Bildungssystem oder auf der individuellen Ebene bei Lehrenden und Schüler*innen.

Denn darin sind sich inzwischen viele einig: Achtsamkeitstrainings dürfen nicht dafür herhalten, Menschen resilienter und leistungsfähiger zu machen, um in einem fehlerhaften System besser zu funktionieren. Im besten Fall hilft die Achtsamkeitspraxis dem Einzelnen, für sich selbst und auch andere bessere und gesündere Entscheidungen zu treffen und sich stärker miteinander verbunden zu fühlen.

Bewusstsein für komplexe Systeme

Hier wird auch das Potential für einen gesellschaftlichen Wandel sichtbar: Für die anstehenden Herausforderungen braucht es die Fähigkeit einen perspektivenreichen, kreativen Blick zu behalten und ein Bewusstsein für sich selbst, aber auch für alle anderen Menschen, Pflanzen und Lebewesen zu entwickeln. Achtsamkeit gepaart mit einer mitfühlenden Haltung kann die Bewältigung der individuellen Erfahrungen einerseits und die notwendigen globalen Transformationsprozesse andererseits unterstützen.

So gab es gemäß der Ausrichtung der Konferenz „Achtsamkeit als Basis für Resilienz und gesellschaftliches Engagement“ auch Angebote wie einen Workshop zu „Achtsamkeit und Ethik“, „Achtsamkeit und Demokratiebildung“ oder zu „Verbundenheit und Engagement“ mit einer praktischen Einführung in den „Social Bodyscan“.

Auch die vier Intensiv-Workshops zu Achtsamkeit und Nachhaltigkeit am zweiten Konferenztag stießen bei vielen Lehrenden und Studierenden auf Interesse. Die Nachfrage war groß und die Resonanz emotional. Viele Teilnehmer*innen kamen in Berührung mit ihren Ängsten, Sorgen und Wünschen, welche die globalen Krisen wie die Klimakrise in ihnen auslösen.

In seiner Keynote „Neue Auf-Klärung – Zwischen Wissenschaft, Bewusstseinskultur und transformativem Handeln“ betonte Gert Scobel „Die Dinge ändern sich sehr schnell und vor allem unvorhersehbar.“ Schon Schüler*innen müssten lernen, komplexe Systeme zu verstehen, um sie besser gestalten zu können. Es ginge weniger darum, immer mehr Wissen zu erlangen oder sogar auswendig zu lernen. Jeder trage heutzutage sein wandelndes Universal-Lexikon in Form des Smartphones mit sich. Entscheidend sei die Fähigkeit, den Herausforderungen und Veränderungen adäquat begegnen zu können und am Ende tatsächlich weise Entscheidungen treffen zu können.

Fazit und Ausblick

Die Vielzahl an Angeboten und die Präsenz und Beiträge von Akteur*innen aus diversen Feldern auf der Konferenz zeigte: Das Fundament ist da, um Achtsamkeit im Bildungskontext zu implementieren. Es braucht nun kreative und strukturierende Maßnahmen, um dem Thema den nötigen Raum zu geben, sodass die Ideen ihren Weg in die Institutionen finden und sich das Potential nachhaltig in der Gesellschaft entfalten kann.

Deutlich wurde ebenfalls, dass die Achtsamkeitspraxis eine Basis für einen Bewusstseinswandel sein kann, und sie sich in unterschiedlichen Facetten, Anwendungsmöglichkeiten und individuellen Spielweisen leben lässt.

Ein wesentlicher Aspekt, den das Zusammenkommen außerdem sichtbar machte: Es braucht Vernetzung, Gespräche und das Kreieren von Synergien, sodass das Engagement des Einzelnen gestärkt wird und Kreise ziehen kann. Ein Ergebnis vieler Synergien ist wohl diese Konferenz gewesen.

Sarina Hassine

Weiterführende Informationen und Artikel (Auswahl)

Artikel Empathie macht Schule

Artikel Mandy Frömmel – Schule am Palmengarten

Artikel Aufzeichnung Keynote Gert Scobel (folgt)

Artikel SEE Learning

Artikel Studie „Atempause“

Website ABiK

Pressebereich AVE Institut

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  • Dr. Nina Bürklin, Susanne Krämer: Sarina Hassine / AVE Institut
  • Magret Rasfeld und Stifter Hanna und DieterPaulmann: Sarina Hassine / AVE Institut
  • Dr. Cécile Cayla und Dr. Nils Altner: Sarina Hassine / AVE Institut
  • Helle Jensen und Vera Kaltwasser: Sarina Hassine / AVE Institut
  • Detlev Vogel, Karlheinz Valtl, Nils Altner, Stefan Schmidt: Sarina Hassine / AVE Institut
  • Dr. Corina Aguilar-Raab: Sarina Hassine / AVE Institut
  • Büchertisch Konferenz Leipzig: Sarina Hassine / AVE Institut
  • Carola Sieglin, AVE Infostand: Sarina Hassine / AVE Institut
  • Stefanie Hammer / moment by moment: Sarina Hassine / AVE Institut
  • Wissenschaftliches Symposium / Konferenz: Sarina Hassine / AVE Institut
  • Was ist Achtsamkeit: Sarina Hassine / AVE Institut
  • Mandy Frömmel: Sarina Hassine / AVE Institut
  • Schule am Palmengarten: Sarina Hassine / AVE Institut
  • Mandy Frömmel / Schule am Palmengarten: Sarina Hassine / AVE Institut