Kinder meditieren

Projekt: Achtsamkeit an Berliner Grundschule

An der Berliner Adolf-Glasbrenner-Grundschule hat sich der Großteil des Schulkollegiums ein halbes Jahr intensiv mit Achtsamkeit und empathischer Beziehungsgestaltung beschäftigt. Wir haben bei den Initiatoren Mathias Gugel und Nils Altner nachgefragt.

PORTAL FÜR ACHTSAMKEIT IN DER PÄDAGOGIK

Lehrer:innen und Erzieher:innen in deutschen Schulen und Kitas nutzen zunehmend bewusste Stille-Momente sowie Achtsamkeits- und Mitgefühlsübungen in ihrer Arbeit – für sich und die Kinder. An der Berliner Adolf-Glasbrennner-Grundschule hat sich nun der Großteil des Schulkollegiums – Lehrer:innen und Erzieher:innen – ein halbes Jahr lang, von September 2019 bis März 2020, intensiv mit Achtsamkeit und empathischer Beziehungsgestaltung beschäftigt.

Das zugrunde liegende Programm heißt GAMMA und steht für „Gesundheit, Achtsamkeit und Mitgefühl im pädagogischen Alltag“. Es beinhaltet vier Module mit je zwei Studientagen. Es soll Pädagog:innen dazu befähigen, Meditationen, achtsame Bewegung und empathische Beziehungsgestaltung in den Schulalltag zu integrieren. Mathias Gugel (MBSR Lehrer und ehemaliger Mitarbeiter vom Verein AKiJu) hat das Projekt zusammen mit Dr. Nils Altner, Entwickler des Programms, ins Leben gerufen.

Das Gespräch führte Sarina Hassine           

Dr. Nils Altner, Mathias Gugel, ich gratuliere Ihnen zu Ihrem Projekt. Ich habe das Feedback des Schulleiter gelesen: „Dank der GAMMA-Fortbildung haben wir bisher die Corona-Krise mit Gelassenheit und Humor meistern können“. Das klingt ja schon mal sehr positiv! Nicht immer unterstützt die Schulleitung solche Projekte.

Nils Altner: Hier haben beide Schulleiter sehr engagiert und unterstützend teilgenommen und sich eingebracht. Das ist auch zentral und wichtig für die Führungs- und Kulturentwicklung einer Schule. Die Leitung fungiert hier als Gatekeeper.

Die Weiterbildung lief ja auf freiwilliger Basis. Es haben 36 von 50 Lehrer:innen aus dem Kollegium teilgenommen. Was denken Sie über die Vor-und Nachteile von verpflichtenden Veranstaltungen zur Achtsamkeit?

Altner: Der erste Schulungstag war für alle Lehrer:innen und Erzieher:innen verpflichtend. Dann ging es freiwillig weiter. Es war klar, dass einige den Schulbetrieb aufrecht erhalten mussten, während die anderen an der GAMMA-Weiterbildung teilnahmen.

Freiwilligkeit ist die Voraussetzung für eine selbstbestimmte und selbstverantwortliche Entwicklung. Und eine Schulung in Achtsamkeit passt nicht für jede/n zu jeder Zeit des Lebens. Das gilt übrigens auch für die Kinder.

Gab es Pädagog:innen, für die es gerade nicht gepasst hat und die vielleicht sogar abgebrochen haben?

Nils Altner: Nach dem ersten GAMMA-Tag hat sich eine Teilnehmerin ab- und eine andere angemeldet. Dann haben alle bis zum Schluss mitgemacht. Aber, sich mit Präsenz, Geduld und Aufmerksamkeit dem eigenen Innern und dann dem Miteinander zuzuwenden, kann herausfordernd sein. Das Wahrgenommene dann auch noch in Sprache zu bringen und sich immer wieder mit den Kolleg:innen auszutauschen, das passt nicht jeder/m.

Deshalb ist Freiwilligkeit basal. Das Programm wirkt nur, wenn es zu den Bedürfnissen, Fähigkeiten und Wünschen der Teilnehmer:innen passt.

Wie wirken denn die Inhalte der Weiterbildung?

Altner: Wir wollen die Selbstwahrnehmung und die Selbstverantwortung stärken. Die wissenschaftliche Begleitung in Berlin und Essen zeigte, dass die Fähigkeiten für Erholung und Emotionsregulation bei den Pädagog:innen zunehmen. Auch die Werte für Selbstmitgefühl, Achtsamkeit und Teamqualität steigen. So verbesserten sich im Team vor allem der kollegiale Zusammenhalt und die Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung. Eine Teilnehmerin sagte:

„Durch meine eigene täglich praktizierte Achtsamkeit erlebe ich nicht nur Selbstwirksamkeit in Bezug auf mein Umfeld, sondern ganz bewusst körperliche Veränderungen bei mir.

Ich mag den Bodyscan, die Sitzmeditation, das immer wieder Innehalten, das bewusste Atmen in den Bauchraum, das Autofahren ohne Radio zu hören, das bewusste Händewaschen, das mir besonders gut gefällt, oder das achtsame Beobachten, Zuhören, Nachfragen bei den Kindern und Kolleginnen.

Ich bin in vielen Situationen ruhiger und gelassener geworden. Ich bin bereiter, Dinge nicht sofort verändern zu wollen, sondern kann die Dinge, die sich jetzt nicht ändern lassen, liebevoller annehmen.“

Die Weiterbildung ist in vier Module strukturiert. Können Sie die Inhalte kurz skizzieren?

Altner: Im ersten Modul „Zu mir und zur Ruhe finden“ werden gemeinsam erste achtsame Erfahrungen gemacht und in achtsamen Gesprächen in Form des sogenannten „verkörperten phänomenologischen Dialogs“ reflektiert.

Im zweiten Modul vertiefen wir die eigene Achtsamkeitspraxis und beginnen, die persönliche Erfahrung in den Arbeitsalltag zu übertragen. Hier lernen die Pädagog:innen auch, erste Achtsamkeitsübungen selbst anzuleiten.

Im dritten Modul geht es um die zwischenmenschlich gelebte Achtsamkeit, also die achtsam-empathische Kommunikation und Beziehungsgestaltung. Außerdem werden die Konzepte des Selbstmitgefühls und der positiven Neuroplastizität vermittelt.

Abschließend überlegt die Gruppe, wie sie Achtsamkeit gemeinsam nähren und ins Arbeitsleben integrieren kann. So wird das achtsame Miteinander im Team und an der Schule aufgebaut.

Angeregt durch das Projekt, haben sich die Kinder eine Stille-Ecke gewünscht und diese dann auf dem Schulhof selbst mitgestaltet. Meiner Tochter ist es in der Schule auch zu laut und es fehlen einfach Rückzugsmöglichkeiten.

Mathias Gugel, Sie waren Hauptinitiator des Projekts und begleiten die Schule weiter. Haben Sie Erfahrungen, wie es mit der Ecke weitergegangen ist? Ist es dort ruhig, wird das respektiert und sitzen dort auch mal Lehrer:innen?

Mathias Gugel: Mit Unterstützung der Schulleitung, des Senats und der Agentur bauereignis.de konnten die Kinder aus ökologischem Baumaterial auf dem Schulhof einen schönen Ort der Stille bauen. Das ist eine Holzplattform und eine Bank in einer ruhigen Ecke des Schulhofs.

Eine gemeinsame Ruhezeit für Lehrer:innen und Kinder zwei Mal pro Woche in der Aula wurde direkt während des GAMMA-Kurses schon eingerichtet. Aber diese Zeit konnten die Kinder nicht selbst initiieren. Es brauchte Erwachsene, die einen Schlüssel haben.

Die Etablierung des Ortes für regelmäßige Nutzungen ist m. E. dem „Corona-Wirbel“ zum Opfer gefallen – wir werden das im Rahmen der weiteren Begleitung jedoch wieder mit dem Kollegium angehen.

Thema Nachhaltigkeit: Wie geht es weiter? Haben Sie den Eindruck, dass die Lehrer:innen dabei bleiben?

Mathias Gugel: Ja. Ich bin weiterhin eng mit der Schule verbunden und darf die nächsten Schritte begleiten. Ein Großteil der Pädagog:innen setzt inzwischen Achtsamkeits- und Mitgefühlsübungen mit den Kindern um. So beginnt eine Kollegin ihre Stunden z.B. mit einer Phase der ruhigen Sammlung und Konzentration mittels einer Hörübung.

Während der Weiterbildung entstand die Idee, die Schulaula für „ruhige Pausen“ zu öffnen. Seither werden diese regelmäßig von drei Pädagog:innen für Schüler:innen und Kolleg:innen angeboten, um gemeinsam inmitten des trubeligen Schulalltages zur Ruhe zu kommen.

Außerdem haben wir eine „Achtsame Runde“ ins Leben gerufen, das sind zweistündige Treffen der Pädagog:innen, die alle sechs Wochen stattfinden. Hier ist es den Pädagog:innen einerseits wichtig, gemeinsam in der Gruppe Achtsamkeit zu praktizieren. Zum anderen besteht ein großer Bedarf nach Erfahrungsaustausch darüber, wie es ist, die Achtsamkeitsübungen in den Unterricht mit Schüler:innen einzubinden.

Beidem wird in diesen Treffen Raum gegeben. Zudem wird das gegenseitige von- und miteinander Lernen zukünftig noch durch (Peer-)Supervision im Unterricht ergänzt.

Vielen Dank für das Gespräch!

Mehr Informationen zum Projekt

Ausführliche Infos zum Projekt, den Inhalten und einen Forschungsbericht mit allen quantitativen und qualitativen Ergebnissen finden Sie hier im Projektbericht.

Das vom Berliner Senat geförderte Kooperationsprojekt entstand durch das Zusammenwirken der Leitungen von Schule (Peter Rahrbach und Rüdiger Röfke) und Freizeitbereich (Uwe Reichwaldt und Franziska Carus vom Diakonischen Werk Berlin-Stadtmitte e.V.) sowie Mathias Gugel vom Verein AKiJu (Achtsamkeit für Kinder und Jugendliche) und der Essener Arbeitsgruppe unter Leitung von Dr. Nils Altner.

Das Programm GAMMA wurde von Dr. Nils Altner und Kolleg:innen in der u.a. vom AVE Institut geförderten AG Gesundheit und Prävention am Lehrstuhl für Naturheilkunde und Integrative Medizin an der Universität Duisburg-Essen auf der Basis des MBSR-Programms entwickelt.

Mehr über die Arbeit von Dr. Nils Altner lesen Sie hier.

Die Kurs-Angebote von Mathias Gugel finden Sie hier.

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Sarina Hassine unterrichtet seit 2012 Achtsamkeit und Meditation. Da ihr Kinder und die Zukunft der Erde sehr am Herzen liegen, arbeitete sie von Anfang an mit Eltern und Pädagog:innen, u.a. seit 2017 im Rahmen von AiSchu. Sie liebt die Natur, das Meer und die Kunst, ist Mutter von zwei Kindern. Mehr Infos auf ihrer Seite.

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  • Kinder meditieren in der Grundschule: Nils Altner / Glasbrenner Grundschule
  • Ort der Stille Bau: Glasbrenner Grundschule