Stress und Trauma bei Kindern regulieren

Wenn Kinder gestresst sind, merken Eltern das sofort. Oder? Schlafstörungen, auffälliges Verhalten, Rückzug – all das sind Anzeichen für ein gestresstes Nervensystem. Traumatherapeutin Kati Bohnet arbeitet mit Eltern und Pädagog*innen dazu.

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 „Sie will einfach nicht mitmachen“. „Er stellt sich an“. „Sie muss doch keine Angst haben“. Oft reagieren Eltern oder Lehrkräfte mit solchen Äußerungen auf Kinder, die sich „auffällig“ verhalten, also zum Beispiel sehr unruhig sind oder fast erstarrt wirken, sich nicht konzentrieren können oder bei anderen Menschen anecken.

Doch solche Reaktionen der Erwachsenen verändern in der Regel nichts am Verhalten der Kinder. Die Traumatherapeutin Kati Bohnet hat eine Erklärung dafür: „Wenn die Kinder unter Stress stehen, können sie sich möglicherweise gar nicht anders verhalten – selbst wenn sie es gerne möchten“. Um das zu verstehen, braucht es ein Grundverständnis des menschlichen Nervensystems.

Wie das Nervensystem funktioniert

Vielleicht steht in der Schule ein wichtiger Test an. Oder ein Kind steht unter Druck, weil seine beste Freundin nichts mehr mit ihm zu tun haben will. Vielleicht haben auch die Eltern viel zu tun und drängen ihr Kind deshalb schon am Frühstückstisch zur Eile. Die Amygdala, das Alarmzentrum in unserem Gehirn, schüttet in solchen Situationen bestimmte Hormone wie Adrenalin oder Cortisol aus.

Das kann verschiedene Folgen haben: Vielleicht werden die Kinder hibbelig, vielleicht schotten sie sich ab. Vielleicht können sie nicht mehr still sitzen bleiben, selbst einfache Aufgaben nicht mehr lösen, sich nicht mehr in ihre Mitschüler*innen einfühlen.

Sobald die stressige Situation vorbei ist, beginnt unser Gehirn normalerweise, die Stresshormone wieder abzubauen, so dass wir uns auch wieder „normal“ verhalten können. Wenn wir allerdings dauerhaft unter Stress stehen, kann es passieren, dass dem Körper das nicht mehr gelingt. Mit gravierenden Folgen: Wir haben dann zum Beispiel keine Kapazitäten mehr, um unser Immunsystem instand zu halten, so dass wir häufig krank sind.

Wenn die Kinder schlecht schlafen

Auch andere Schwierigkeiten – zum Beispiel Schlafprobleme – lassen sich besser verstehen, wenn man die Funktionsweise des menschlichen Nervensystems kennt: Je nachdem, welcher Part unseres Gehirns aktiv ist, sind wir in einem bestimmten körperlichen Zustand, einer bestimmten Physiologie. Und jede Physiologie unterstützt ein bestimmtes Verhalten. Es gibt auch eine körperliche Verfasssung, die den Schlaf unterstützt und in der keine Stresshormone vorkommen. „Wenn ein Kind dauerhaft gestresst ist, verlassen die Stresshormone den Körper nicht mehr, so dass es zwangsläufig zu Schlafproblemen kommen wird“, erklärt Kati Bohnet.

Wenn ein Mensch es gar nicht mehr schafft, aus einem solchen Zustand herauszukommen, sprechen Experten wie Kati Bohnet von einem Trauma. Natürlich können Laien nicht erkennen, ob ein Kind oder ein Jugendlicher ein Trauma hat. Dafür braucht es die Unterstützung durch einen Profi. Psychotherapeut*innen mit Trauma-Qualifikation können eine solche Diagnostik durchführen.

Kati Bohnet erklärt, warum das so wichtig ist: „ADHS zum Beispiel äußert sich ganz ähnlich. Und natürlich gibt es auch Menschen, die sowohl ein Trauma als auch ADHS haben. Dann ist es wichtig, beides zusammen zu behandeln.“

Material für Erwachsene, die Kindern helfen

Die 45-Jährige Traumatherapeutin arbeitet in ihrer Berliner Praxis vor allem mit Erwachsenen, die Kinder begleiten. Darüber hinaus erreicht sie mit ihren Materialien zahlreiche Menschen in Deutschland und darüber hinaus. Ihr Buch „Die Reise des Schmetterlings“ sowie das pädagogische Begleitmaterial dazu gibt es zum Beispiel nicht nur auf Deutsch, sondern auch auf Englisch, Türkisch, Ukrainisch und demnächst auf Farsi.

Ob nach der Hochwasserkatstrophe im Ahrtal, nach dem russischen Angriff auf die Ukraine oder nach den Erdbeben in der Türkei – Kati Bohnet startet auch immer wieder Soli-Aktionen, um das Buch mithilfe von Spenden in Krisenregionen zu schicken. Denn dort erleben viele Menschen Unsicherheit und großen Stress.

Peter Levine: Somatic Experiencing

Grundlage ihrer Arbeit ist die Methode Somatic Experiencing®, die der amerikanische Traumatologe Peter Levine begründet hat. „Er hat die Funktionsweise des Nervensystems von Säugetieren beobachtet – wir sind ja menschliche Säugetiere“, erklärt Kati Bohnet. Dadurch habe er unser Verständnis davon revolutioniert, was bei Stress und Trauma in unserem Körper passiert. Davon können alle profitieren, denn die Präventionsarbeit ist natürlich ein wichtiger Teil der Trauma-Arbeit.

„Ob in einer Situation bei einem Menschen der ‚innere Alarm‘ angeht, ist ganz subjektiv“, betont Kati Bohnet. Denn manchmal rutsche das Nervensystem in einer aktuellen Situation quasi versehentlich in eine Erfahrung, die in die Vergangenheit gehört, ohne dass uns das überhaupt bewusst ist.

Ein Beispiel: „Wenn ein Kind mal von jemandem mit einer roten Kappe was über die Rübe bekommen hat, kann es sein, dass sein Gehirn die Farbe Rot als gefährlich abgespeichert hat. Selbst wenn das Kind sich nicht mehr daran erinnert, kann es passieren, dass es dann ausrastet, sobald es etwas Rotes sieht“.

Erste Hilfe bei Stress oder Trauma

Erwachsene können Kinder und Jugendliche in solch einer Situation unterstützen, in dem sie sie behutsam wieder ins Hier und Jetzt zurückholen – etwa durch bewusstes Umherschauen oder Anfassen bestimmter Gegenstände. Im ersten Schritt geht es darum, dass die betroffenen Kinder und Jugendlichen sich wieder sicher fühlen können.

Ein Beispiel: Menschen, die eine Hochwasserkatastrophe erlebt haben, sehen manchmal plötzlich nur noch überall Wasser. Ihnen kann es helfen, bewusst die Gegenstände um sich herum zu berühren und festzustellen: Hier ist nichts nass, alles ist trocken. Genauso können Menschen, die nach einem Erdbeben ihr Vertrauen in den sicheren Boden verloren haben, wieder ganz bewusst die Erfahrung machen, dass sie gehalten werden und sicher sind.

S-O-S Übungen

Auf ihrer Plattform helperscircle.de unterstützt Kati Bohnet Menschen, die traumatisierte Kinder begleiten. Mit ihren S-O-S Übungen zur emotionalen ersten Hilfe und Stressregulation stellt sie eine Sammlung von Praktiken bereit, die Erwachsenen helfen, gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen in Momente der achtsamen Wahrnehmung zu gehen. Einen Einblick dazu bietet ein kostenloses Mitmach-Video.

Janna Degener-Storr

Die Ruhe einladen – Selbstregulation für Kinder

Kinder behutsam anleiten – Traumasensitive Achtsamkeit

Janna Degener-Storr arbeitet seit 15 Jahren als freie Journalistin und schreibt unter anderem über Achtsamkeitsthemen. Sie lebt mit ihrem Mann, ihrem Sohn und ihren zwei Töchtern in Königs Wusterhausen bei Berlin. Sie praktiziert Yoga und hat schon als Kind gemeinsam mit ihrem Vater meditiert.

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  • Kati Bohnet: Sascha Radke