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„Wissen und Technologien sind da, es braucht einen Bewusstseinswandel“

Der Ruf nach mehr Umweltschutz und nachhaltigem Leben wird immer lauter. Doch viele verdrängen die Krise, weil sie glauben, zu wenig bewirken zu können. Ein Gespräch über Chancen mit Susanne Krämer.

PORTAL FÜR ACHTSAMKEIT IN DER PÄDAGOGIK

Das Gespräch führte Marika Muster

Welche Verbindung besteht zwischen Nachhaltigkeit und Achtsamkeit?

Susanne Krämer: Ich sehe da hauptsächlich drei Stränge. Einerseits geht es darum, dass wir uns durch Achtsamkeit selbst wahrnehmen und in Kontakt mit unseren Werten sind. In der Verbindung zu uns selbst merken wir, ob wir aus alten Mustern heraus handeln oder aus unserer persönlichen Ethik.

Zum zweiten geht es um Naturverbundenheit. Wie wir in der Forschung gesehen haben, gibt es eine starke Korrelation zwischen Naturverbundenheit und Umweltschutz. Denn womit man sich verbunden fühlt, das möchte man schützen.

Hinzu kommt der Umgang mit Emotionen. Wenn wir uns dem Thema Klimawandel zuwenden, können existenzielle Ängste aufkommen und wir bekommen das Gefühl, nur wenig bewirken zu können. Eine niedrige Selbstwirksamkeitserwartung führt dazu – und das ist ein ganz normaler psychologischer Vorgang – , dass man sich abwendet, dass man verdrängt und verleugnet.

Dann entstehen Sätze wie ‚Es wird hier schon nicht so extrem werden.‘ oder ‚Erst muss China anfangen, sich zu ändern.‘ Wir relativieren, was uns überwältigt. Wir weichen aus und leben den Status quo weiter.

Wir können unser Kümmern um die Umwelt als Akt der Selbstliebe verstehen.

Führt Selbstliebe zu mehr Umweltschutz?

Krämer: Ich glaube, es ist eine falsch verstandene Selbstliebe, wenn wir eine egozentrische Haltung einnehmen. Es geht vielmehr darum, die Interdependenz zur Umwelt wahrzunehmen. Wir brauchen ein wirkliches Verständnis von wechselseitiger Abhängigkeit. Diese permanente Wechselbeziehung wahrzunehmen, führt dazu, dass wir unser Kümmern um die Um- und Mitwelt als Akt der Selbstliebe verstehen können.

Haben Sie Beispiele dafür?

Krämer: Jeder Atemzug ist nur möglich, weil Pflanzen uns Sauerstoff zur Verfügung stellen. Über das Prinzip der Nahrung und unserer Nahrungsketten können wir eine unmittelbare Verbindung mit der Natur spüren. Wir sind in die natürlichen Kreisläufe eingebunden, was wir durch das Leben in künstlichen Welten oft nicht mehr erfahren. Es ist nur eine Illusion, dass wir getrennt von der Umwelt sind. Es gilt ein neues Mensch-Natur-Verhältnis zu entdecken und wahrzunehmen, wie alles global auf uns zurückwirkt.

Wie können wir anfangen, uns für die Umwelt einzusetzen?

Krämer: Unser Alltagsdenken funktioniert sehr in Kategorien. Achtsamkeit hilft uns dabei, die Verbindung zwischen den Dingen besser zu erkennen und in Resonanz zu gehen. Vom Ego- zum Ecosystem. Wir sind ein Teil des Ganzen, mit allen Konsequenzen. Mit dem, was wir positiv beisteuern und dem, was wir an Zerstörung in die Welt geben. Wir müssen Verantwortung für unsere eigenen Ressourcen übernehmen, die der Mitwelt und der Umwelt.

Sie haben auch von schwierigen Emotionen gesprochen, müssen wir also lernen, unsere Unsicherheiten anzunehmen?

Krämer: Ja. Es geht darum, die Toleranzfenster für Verunsicherung und Ängste zu erweitern, uns dem Ausmaß und der Komplexität zu stellen. Denn wenn wir lernen, unangenehme Gefühle wahrzunehmen, zu akzeptieren und sie anzunehmen, wenn wir verstehen, was unsere Gefühle uns sagen wollen, dann kommen wir ins Handeln: ‚Wo möchte ich mich einsetzen? Was kann ich aus meinen eigenen Ressourcen heraus leisten?‘ So kommen wir zu einem stimmigen Verhalten.

Wir können Umweltschutz nicht lehren, ohne es zu leben.

Die meisten Menschen finden das anstrengend…

Krämer: Deshalb möchte ich Lust an Veränderungsprozessen erwecken, indem ich zu Selbstwirksamkeitserfahrungen anrege, erste auch kleine Schritte zu gehen. Im Wissen, dass dies nicht den kompletten Wandel bringen wird. Dazu braucht es ein Handeln auf allen gesellschaftlichen Ebenen, aber es ist ein Beitrag zum Ganzen.

Und wenn ich das in allen meinen Wirkungsbereichen lebe, dann ermutige ich andere durch mein Vorbild. Dieser Aspekt einer gesellschaftlichen Transformation ist sehr wichtig zu nehmen – vor allem im Kontext Schule. Wir können Umweltschutz nicht lehren, ohne es zu leben. Außerdem können kleine Schritte zu großen werden. Wir brauchen Mut zur Veränderung und Hoffnung.

Ich finde mein Verständnis davon sehr in einem Zitat von Vaclav Havel wieder: ‚Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht.‘ Denn auch, wenn manche Schritte zu spät sein könnten, dann gilt es dennoch Zukunft zu gestalten.

Wenn wir von Umweltschutz sprechen, denken wir oft an Verzicht. In Wirklichkeit können diese Prozesse freudvoll und gewinnbringend sein.

Was ist ein sinnerfülltes Leben?

Krämer: Für mich ist es ein Leben, das nach eigenen Werten im Verständnis der wechselseitigen Verbundenheit verantwortungsbewusst gestaltet wird. Wenn wir von Umweltschutz sprechen, denken wir oft an Verzicht. In Wirklichkeit können diese Prozesse freudvoll sein und ein Gewinn an Lebensqualität. Wir sollten unseren Lebensstil hinterfragen: ‚Woher kommt er? Sind das meine Bilder? Wie wurde ich sozialisiert? Wer sagt uns, dass ein Urlaub in Thailand uns glücklicher macht als einer in Mecklenburg?

Ist unser Leben nicht oft von einem Zuviel geprägt und ein Weniger würde uns mehr Qualität schenken? Was macht mich wirklich glücklich?‘ Unsere Selbstbilder und Narrativen sind über Jahrhunderte entstanden und geprägt worden. Wenn wir sie hinterfragen und neugestalten, dann gibt uns das eine große Freiheit. Es braucht natürlich auch einen Wandel auf anderen Ebenen, etwa in der Politik. Durch unsere eigene Transformation können wir aber die Basis dafür stellen, dass wir zur Umsetzung beitragen.

Im neuen Bericht an den ‚Club Of Rome‘ werden ganz konkrete Handlungsoptionen für eine gelingende Zukunft beschrieben.

Wie tragen die Medien zu unseren Narrativen bei?

Krämer: Im Bereich der Nachhaltigkeit tragen sie viel zu einem Vermeidungsverhalten bei. Bilder von Dystopien sollten durch konkrete positive Handlungsszenarien ersetzt werden. Ich sehe es in meinem Berufsalltag, dass viele Studierende schon daran scheitern, sich überhaupt eine gelingende Zukunft vorstellen zu können. Dabei gibt es bereits gute Ansätze. Im Bericht des ‚Club of rome‘ [1] werden ganz konkrete Handlungsoptionen beschrieben.

Es wurden auf wissenschaftlicher Basis konkrete Schritte erarbeitet und in Lebensszenarien beschrieben, die durchaus machbar sind, wenn wir gesellschaftlich und politisch den Willen dazu aufbringen. Wissen und Technologien sind vorhanden, es braucht einen Bewusstseinswandel.

Welche Rolle spielen Digitalisierung und Technologie in diesem Zusammenhang, vor allem in Schulen?

Krämer: Digitalisierte Formate können individuelle Lernwege aufzeigen. Allerdings wird Digitalisierung noch zu sehr als Wert an sich gesehen, statt als passendes didaktisches Mittel, das gezielt eingesetzt wird.

Es wird auch noch zu wenig über die psychologischen Begleiterscheinungen gesprochen, vor allem im Hinblick auf KI. Was macht unsere Qualität als Menschen aus? Alles, was Selbstwirksamkeitserfahrung, sozio-emotionales Lernen, Kreativität betrifft, kann nicht über Digitalisierung stattfinden, ebenso wenig wie der Zugang zur Naturverbundenheit.

Die Debatte wird auch noch zu einseitig geführt. Es wird zum Beispiel nicht mitbedacht, dass digitale Tafeln und Tablets sowie die Speicherung von Materialien auf Servern zu einem hohen Energieverbrauch führen. In Grundschulklassen gibt es jetzt Interactivboards, auf denen Schreibschrift schlecht lernbar ist. Gleichzeitig fressen sie die ganze Zeit Strom, um dann nur genutzt zu werden, um die Uhrzeit anzuzeigen.

Es geht nicht darum, auf Digitalisierung zu verzichten, aber man muss sie gezielt und themenorientiert einsetzen, wo es sinnvoll ist.

Wir müssen für unsere Kinder das Fundament legen, damit sie Zukunft weiterbauen können.

Müssen unsere Kinder ausbaden, was wir nicht geschafft haben?

Krämer: Nein, nicht die nächste Generation muss die heutigen Probleme lösen, sondern wir! Wir wählen, wie wir die Zukunft gestalten. Und damit müssen wir jetzt beginnen, sonst ist es zu spät. Außerdem dürfen wir die Jugendlichen nicht in die Hilflosigkeit entlassen. Wir sind gefragt, um Ihnen das Fundament zu legen, damit sie Zukunft weiterbauen können.

Um hier nicht in eine Überforderung zu gehen, brauchen wir einen systemischen Blick. Der Einzelne wird nicht alleine etwas ändern, aber er hat einen Einfluss auf Systeme und das ist entscheidend. Wir müssen uns unser Handeln oder Nichthandeln wieder ins Bewusstsein rücken. Wenn wir verinnerlichen, dass es um unser Wohlergehen geht, dann kann man aus Dankbarkeit und Freude heraus handeln und verstehen, dass man die Möglichkeit hat, sich anders zu verhalten.

Was wünschen Sie sich für die nächsten Jahre?

Krämer: Ich würde mir wünschen, dass die Persönlichkeitsentwicklung fester Bestandteil im Bildungskanon wird, damit wir uns mehr nach ethischen und lebensbejahenden Aspekten ausrichten können.

Danke für das Gespräch!

[1] Earth for All: Ein Survivalguide für unseren Planeten. Der neue Bericht an den Club of Rome, oekom verlag, 2022

 

Foto Susanne KrämerSusanne Krämer leitet das Projekt „Achtsamkeit in der Bildung und Hoch-/Schulkultur“ (ABiK) an der Universität Leipzig. Sie ist in den Netzwerken „Achtsamkeit in der Bildung“ und „Achsame Hochschulen“ aktiv. Zu ihrem Buch „Wache Schule: Mit Achtsamkeit zu Ruhe und Präsenz“ bietet Susanne Krämer eine gleichnamige Fortbildung für Lehrer*innen an. Sie ist Dozentin in der AVE-Weiterbildung für Pädagog*innen.

Konferenz und Fachtagung: Achtsamkeit in der Bildung

Am 21. & 22. September 2023 findet die erste deutschlandweite Konferenz Achtsamkeit in der Bildung zum Thema „Basis für Resilienz und gesellschaftliches Engagement“ mit anschließender Fachtagung in Form einer „Zukunftswerkstatt Bildung“ an der Universität Leipzig statt.

Die Veranstaltung wird durchgeführt unter der Leitung von Susanne Krämer (ABiK) in Kooperation mit dem AVE Institut. Mehr hier.

 

„Achtsamkeit ist bisher zu unpolitisch“

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  • Naturverbunden: nicolasberlin / photocase.de
  • Susanne Krämer: Christian Hüller